Frau Adrien, auf der Venedig-Biennale werden nächstes Jahr sowohl Deutschland als auch Frankreich von einer Künstlerin vertreten. Wieso ist das nur für Frankreich noch immer eine Besonderheit?
Für Frankreich ist es definitiv ein riesiger Schritt und ein wichtiges Zeichen, dass die Wahl für Venedig diesmal auf Zineb Sedira fiel. Generell hinkt Frankreich ein wenig hinter Deutschland her, was die Diversität der Kunstwelt angeht. Einerseits fehlt uns die Repräsentation von Frauen, aber dann nochmal besonders die von Women of Color. Das ist ja untrennbar miteinander verbunden: Wenn man die Büchse der Pandora öffnet, sieht man erst, wie viele andere Büchsen der Pandora noch in ihr drin stecken.
Was genau läuft falsch?
In jedem einzelnen Jahr seit der Französischen Revolution hat Frankreich Kunstwerke eingekauft. Sogar im Zweiten Weltkrieg, als es offiziell gar keine Politik gab, wurde weiter eingekauft. Mit ihren 160.000 Werken ist die französische Nationalsammlung also eine gigantische Sammlung. Schaut man sich nun den Anteil der Künstlerinnen an den Neuerwerbungen an, wie ich es mithilfe eines Stipendiums machen durfte, dann nimmt der Anteil interessanterweise nicht kontinuierlich zu, sondern bewegt sich immer wieder in Wellen auf und ab. 1840 waren es schon einmal 30 Prozent Frauen gewesen, das ist aus heutiger Sicht ziemlich viel. Aber 150 Jahre später, im Jahr 1988, waren es nur noch vier Prozent Frauen. Darin wird deutlich, dass das soziopolitische Klima im Land entscheidend ist. Wann immer ein konservativer backlash wie etwa der Baby-Boom kommt, nimmt der Anteil der Frauen wieder ab. Auch heute noch gibt es Leute in Schlüsselpositionen des französischen Kunstbetriebs, die kein Interesse an Gleichberechtigung haben, sondern sehr altmodische Ideen vertreten.
Vier Prozent Frauen im Jahr 1988 – hat das in den 1980er-Jahren nicht auch den Rebellionsgeist einer neuen Generation angeheizt?
Doch, wir hatten damals eine radikale Avantgarde von exzellenten Frauen, besonders in der Videokunst, die sehr ehrgeizig und aggressiv waren. Das hat ihre Verkaufszahlen schnurstracks wieder nach oben getrieben.
Wird es dann jemals Kunst von Frauen geben, die ohne diesen Aktivismus auskommt?
Ich wünsche es mir! Ich sage jetzt einfach mal ja, da ich eine Optimistin bin. Aber ich glaube nicht, dass wir das noch erleben werden, wenn ich mir die langsamen letzten 200 Jahre anschaue. Dabei könnte das mit ein paar Stellschrauben viel schneller gehen. Wieso bekommen Museen öffentliche Gelder für ihre Programme, ohne sich zu einem 50-50-Geschlechterverhältnis bei ihren Ausstellungen zu verpflichten? Warum steht das nicht einfach im Vertrag festgeschrieben, als eine kleine Gegenleistung für zig Millionen Euro?
Ist der "Gender Gap" bei Ausstellungen denn größer als bei den Anschaffungen?
Wann immer ich in Deutschland oder Frankreich eine Ausstellung besuche, zähle ich im Kopf die Frauen. Später gehe ich online, wo sich mittlerweile ja jede öffentliche Sammlung einsehen lässt – das ist ideal, um den Museen auf die Finger zu schauen. Dort findet man dann plötzlich fantastische Künstlerinnen, die gerade nicht verliehen, aber eben auch nicht gezeigt werden, sondern einfach im Keller des Hauses herumstehen. Es handelt sich um zwei parallele Effekte. Wenn Frauen nichts verkaufen, ist das schlecht für ihr Überleben als Künstlerin. Aber wenn ihre Arbeiten erworben und dann nicht ausgestellt werden, ist das schlecht für die Bildung der Bevölkerung.
Wen haben Sie im Keller der französischen Nationalsammlung gefunden, für Ihre Wanderausstellung in München, Köln, Düsseldorf und Hamburg? Camille Henrot, die mit einer Arbeit vertreten ist, brauchte ja nicht mehr von Ihnen entdeckt zu werden.
Die Videos von Shirley Bruno finde ich wirklich großartig, aber auch die von Salomé Lama. Beide sind aufstrebende Künstlerinnen mit ganz jungen Stimmen, noch weit entfernt von der Bekanntheit einer Camille Henrot. Außerdem, Bekanntheit hin oder her: Marguerite Duras mag eine Legende der Literatur gewesen sein, aber die meisten Leute haben keine Ahnung, dass sie auch Videokunst gemacht hat. Jetzt ist auch sie bei den 15 Künstlerinnen dabei, die wir in Deutschland zeigen.
Was macht die Videokunst von Shirley Bruno oder Salomé Lama aus?
Es ist fast unmöglich, über das Schaffen von Künstlerinnen etwas verallgemeinerndes zu sagen, weil sie so viele verschiedene Persönlichkeiten und Stile haben. Trotzdem, bei einzelnen Aspekten gibt es Besonderheiten, etwa beim Umwelt-Thema. Frauen haben andere Perspektiven auf und Beziehungen zur Natur, das lehrt uns ja der Öko-Feminismus. Gegenüber mir als Kuratorin zeigen sie meist weniger Ego als männliche Künstler. Und untereinander mögen alle die Arbeiten der anderen sehr gern.
Wie soll die weitere résistance gegen das Patriarchat nun aussehen?
Ich glaube fest an Quoten an Kunstbetrieb. Hauptsächlich, weil ich dem Betrieb ohne Quoten nicht traue. Ein anderer Weg führt über mehr öffentliches Bewusstsein für die Problematik, das fängt schon im Kunstunterricht an. Die Allgemeinbevölkerung hätte die Macht, gegen einzelne Ausstellungen Beschwerde einzulegen oder Briefe zu schreiben. Solche Post will wirklich kein Museum bekommen. Auch männliche Künstler könnten viel mehr Einfluss nehmen, indem sie Kooperationen verweigern.
In britische Museen wird manchmal eine feministische Barbie-Puppe geschmuggelt, die ein vorwurfsvolles Protest-Schild mit Zahlen und Fakten in die Höhe reckt. Wer ein bisschen mehr Geld zur Verfügung hat, kann sogar die Vordertür des Museums nehmen: etwa, als Beyoncé den Louvre gemietet hat, um der gezeigten Kunst ein subversives Musikvideo entgegenzuhalten.
Beyoncé ist eine fantastische Frau, aber für mich braucht es immer die Aufklärung, also die Zahlen und Fakten. Da ist der Schockeffekt einfach noch größer. Wann immer man sich zur fehlenden Repräsentation von Frauen äußert, schlagen einem so viele verschiedene Emotionen und Behauptungen entgegen, durch die man sich erstmal durcharbeiten muss. Da gibt es einmal die große Genervtheit. Dann natürlich das klassische "Das war einmal". Ich beobachte immer sehr gern, wie mein Gegenüber auf die Kritik reagiert. Harte, unmissverständliche Zahlen hingegen lassen nur noch eine mögliche Reaktion zu. Jeder von uns weiß sofort instinktiv, dass 20 Prozent Frauen für eine Ausstellung eine miserable Bilanz ist.