Vor dieser Hexe braucht sich niemand zu fürchten, sie ist keine Gehilfin des Teufels. Unter Hasenohren erstreckt sich ihr zartes Gesicht, die Hände liegen zum Gebet aneinander, und ihr geöffneter Mantel verspricht Geborgenheit. Ob sie uns retten kann?
Leiko Ikemuras Hasenfiguren, die als Reaktion auf die Atomkatastrophe in Fukushima entstanden, bilden den Auftakt einer Ausstellung, die auf 30 Jahre Schaffenszeit zurückblickt und die man doch nicht als Werkschau oder Retrospektive bezeichnen möchte. Zu abstrakt wirken solche Begriffe für die spirituelle Atmosphäre, die Ikemuras Skulpturen in den modernistisch kargen Bau des Kolbe Museums bringen.
"Witty Witches" nennt die Künstlerin ihre Geschöpfe aus Keramik, Bronze oder Glas. Die "listigen Hexen" sind hybride Wesen zwischen Mensch und Natur: Figuren verwandeln sich in Bäume; Puppen hängen wie Kokons von der Decke; eine liegende Geisterfigur, "Memento Mori" betitelt, sprießt auf wie eine Blume. Aktuelle Diskurse zum Posthumanismus kommen in den Sinn, aber mehr noch existenzielle Fragen über Wachstum und Zerfall, Weiblichkeit, Körper und Geist.
Die 1951 in Japan geborene, seit 30 Jahren in Berlin lebende Künstlerin greift dabei auf europäische wie auf fernöstliche Kulturen zurück. Schon in den frühen 1990er-Jahren beschäftigt sich Ikemura in ihren ausgehöhlten Mädchenfiguren mit der Transformation des Körpers. Schwäche erscheint darin als Qualität, Leere als Form. Und manche listige Hexe verzaubert mit Humor. "Catwoman" erinnert an japanische Winkekatzen, die angeblich Wohlstand ins Heim bringen. Ikemuras Exemplar hat sich als Serviette einen Fisch umgebunden. Auch so kann man die Evolution zur Kunst machen.