Als Sammler ist Reiner Speck ein Fall für sich. Dem Kunstbetrieb steht er eher ablehnend gegenüber. Auch Sammlerkollegen haben es schwer. Seine unverbindliche Art lässt auf Nichtachtung, nicht selten Missachtung schließen. Und es geht Speck um Überhöhungen und mystische Zusammenhänge bis hin zur Legendenbildung.
Sein Wohnhaus in Köln-Lindenthal liegt in der Brahmsstraße, und Johannes Brahms wurde in Hamburg in der Speckstraße geboren. Marcel Proust, sein Idol und Alter Ego, wählte im Hotel immer das letzte Zimmer links. Speck: „Selbstverständlich habe ich in der Brahmsstraße das letzte Haus links genommen.“ In seiner Kollektion befindet sich eine Locke des 1922 Verstorbenen. Bei einer Ausstellung in Köln raunte der Sammler Anwesenden zu: „Achten Sie auf die Farbe seiner Strähne, Proust hatte mit 51 Jahren noch kein graues Haar!“
Sein Auto, ein dunkelblauer Oldtimer-Jaguar, ist im inneren Bereich zu einer „fahrenden Hundehütte“ (Speck) für seine Lieblinge Artus (ein Dobermann) und Anastasia (ein Weimaraner-Weibchen) ausgebaut worden. Das Nummernschild „K-RS“ weist auf ihn selbst, eher unüblich in gehobenen Kreisen, und es heißt weiter: „K-RS 1304“. Damit ist das Geburtsjahr seines zweiten Hausheiligen, des italienischen Gelehrten, Humanisten und Poeten Francesco Petrarca, markiert. Für den Gelehrten und eben auch Speck sind „das Haus, der Garten und die Bibliothek“ alles, was ein Mensch braucht. Ein fürwahr romantischer Rückzug in die eigene Welt!
Speck, Urologe, Mediziner in der fünften Generation, der mit einer Arbeit über Gottfried Benns Stilelemente promovierte, und seine Frau Gisela, eine Lungenfachärztin, haben ihre Tochter Laura, Neurologin, nach einer Dichterliebe Petrarcas benannt. Seinem Freund Joseph Beuys, der nur noch eine Niere besaß, empfahl er auf dessen Frage, was jetzt zu tun sei: „Fachinger trinken.“
Speck gibt sich bescheiden, bucht niemals Luxushotels und erledigt seine Fahrten – immer distinguiert passend zum Schnäuzer gekleidet – auf dem Fahrrad, soweit Wetter und Artus und Anastasia es zulassen. Bleibt anzumerken, dass Specks Lieblingszahl 7 dem Geburtsdatum 1.7.1941 entlehnt ist. Nur den Geburtsort verschweigt der Sammler. Ihn interessieren die größeren Zusammenhänge. Immerhin können wir festhalten: Reiner Speck lebt und arbeitet in Köln.
Speck ein Bohemien, Flaneur, Snob? Mag sein, aber dem komplexen Bezugssystem Specks, das auf Distinktionsgewinn angelegt ist, kommt man durch Typisierungen dieser Art nicht auf die Spur. Seine Erinnerungs- und Erlebniswelt ist ein offenes System mit tiefen Wurzeln in der Vergangenheit und nur noch rhizomatischen, auf Dekonstruktion angelegten Verkettungen in der Gegenwart. Speck verbindet die Leichtigkeit des Seins mit Beharrlichkeit und minutiöser Genauigkeit.
Mit seiner Bibliothek und Dokumentensammlung zu Proust und Petrarca hat Speck Maßstäbe gesetzt und parallel dazu seit Ende der 60er-Jahre über mehr als drei Jahrzehnte eine einzigartige Sammlung der Gegenwartskunst aufgebaut. Sie spiegelt mit ihren konzeptionellen, politischen und anarchisch-frechen Positionen die Aufbruchstimmung der Nachkriegskunst wider und bildet einen Gegenpol zum statuarischen Charakter der Bibliothek. Es ist diese Verzahnung, die der Sammlung Speck Rang verleiht und sie von den Sammlungen typischer, vom Besitz ihrer Kunstwerke beseelter Sammler absetzt.
Die Ausstellung 1996 im Kölner Museum Ludwig mit 750 Exponaten aus allen Bereichen der Kollektion war Höhepunkt im Sammlerleben Specks. Der umfangreiche Katalog ist eine Fundgrube. Peter Ludwig, der noch vor Erscheinen des Katalogs verstarb, hielt in seinem Grußwort ein Plädoyer für Speck und verband es mit dem Wunsch, dass diese Sammlung Dauerbestand des Kölner Museums werden könne. Dazu ist es trotz achtjähriger Verhandlungen nicht gekommen. Speck musste andere Wege gehen. 2008 verkaufte er etwa ein Viertel seiner Werke, insbesondere die großen Formate, an die Sammlung Rheingold.
Dies war entgegen vielfach erhobener Kritik ein richtiger und guter Schritt. Er ermöglichte Speck, die Organisation seiner Sammlung zu vereinfachen, und verschaffte ihm die Mittel, um sie langfristig zu erhalten. Es entsteht jetzt ein Haus für Proust und Petrarca, in dem auch die bildende Kunst ihren Platz findet.
Auf Reiner Speck trifft zu, was Giorgio de Chirico 1920 über den Symbolisten Max Klinger gesagt hat: „Er ist der moderne Künstler schlechthin. Modern nicht in dem Sinne, den man heute dem Begriff gibt, sondern im Sinne eines gewissenhaften Manns, der das Erbe an Kunst und Denken aus Jahrhunderten und Aberjahrhunderten achtet, der wachen Auges in die Vergangenheit, in die Gegenwart und in sich selbst blickt.“ Reiner Speck wird am 1. Juli 70 Jahre alt. Ich ziehe den Hut.
Harald Falckenberg ist Sammler in Hamburg
Sein Wohnhaus in Köln-Lindenthal liegt in der Brahmsstraße, und Johannes Brahms wurde in Hamburg in der Speckstraße geboren. Marcel Proust, sein Idol und Alter Ego, wählte im Hotel immer das letzte Zimmer links. Speck: „Selbstverständlich habe ich in der Brahmsstraße das letzte Haus links genommen.“ In seiner Kollektion befindet sich eine Locke des 1922 Verstorbenen. Bei einer Ausstellung in Köln raunte der Sammler Anwesenden zu: „Achten Sie auf die Farbe seiner Strähne, Proust hatte mit 51 Jahren noch kein graues Haar!“
Sein Auto, ein dunkelblauer Oldtimer-Jaguar, ist im inneren Bereich zu einer „fahrenden Hundehütte“ (Speck) für seine Lieblinge Artus (ein Dobermann) und Anastasia (ein Weimaraner-Weibchen) ausgebaut worden. Das Nummernschild „K-RS“ weist auf ihn selbst, eher unüblich in gehobenen Kreisen, und es heißt weiter: „K-RS 1304“. Damit ist das Geburtsjahr seines zweiten Hausheiligen, des italienischen Gelehrten, Humanisten und Poeten Francesco Petrarca, markiert. Für den Gelehrten und eben auch Speck sind „das Haus, der Garten und die Bibliothek“ alles, was ein Mensch braucht. Ein fürwahr romantischer Rückzug in die eigene Welt!
Speck, Urologe, Mediziner in der fünften Generation, der mit einer Arbeit über Gottfried Benns Stilelemente promovierte, und seine Frau Gisela, eine Lungenfachärztin, haben ihre Tochter Laura, Neurologin, nach einer Dichterliebe Petrarcas benannt. Seinem Freund Joseph Beuys, der nur noch eine Niere besaß, empfahl er auf dessen Frage, was jetzt zu tun sei: „Fachinger trinken.“
Speck gibt sich bescheiden, bucht niemals Luxushotels und erledigt seine Fahrten – immer distinguiert passend zum Schnäuzer gekleidet – auf dem Fahrrad, soweit Wetter und Artus und Anastasia es zulassen. Bleibt anzumerken, dass Specks Lieblingszahl 7 dem Geburtsdatum 1.7.1941 entlehnt ist. Nur den Geburtsort verschweigt der Sammler. Ihn interessieren die größeren Zusammenhänge. Immerhin können wir festhalten: Reiner Speck lebt und arbeitet in Köln.
Speck ein Bohemien, Flaneur, Snob? Mag sein, aber dem komplexen Bezugssystem Specks, das auf Distinktionsgewinn angelegt ist, kommt man durch Typisierungen dieser Art nicht auf die Spur. Seine Erinnerungs- und Erlebniswelt ist ein offenes System mit tiefen Wurzeln in der Vergangenheit und nur noch rhizomatischen, auf Dekonstruktion angelegten Verkettungen in der Gegenwart. Speck verbindet die Leichtigkeit des Seins mit Beharrlichkeit und minutiöser Genauigkeit.
Mit seiner Bibliothek und Dokumentensammlung zu Proust und Petrarca hat Speck Maßstäbe gesetzt und parallel dazu seit Ende der 60er-Jahre über mehr als drei Jahrzehnte eine einzigartige Sammlung der Gegenwartskunst aufgebaut. Sie spiegelt mit ihren konzeptionellen, politischen und anarchisch-frechen Positionen die Aufbruchstimmung der Nachkriegskunst wider und bildet einen Gegenpol zum statuarischen Charakter der Bibliothek. Es ist diese Verzahnung, die der Sammlung Speck Rang verleiht und sie von den Sammlungen typischer, vom Besitz ihrer Kunstwerke beseelter Sammler absetzt.
Die Ausstellung 1996 im Kölner Museum Ludwig mit 750 Exponaten aus allen Bereichen der Kollektion war Höhepunkt im Sammlerleben Specks. Der umfangreiche Katalog ist eine Fundgrube. Peter Ludwig, der noch vor Erscheinen des Katalogs verstarb, hielt in seinem Grußwort ein Plädoyer für Speck und verband es mit dem Wunsch, dass diese Sammlung Dauerbestand des Kölner Museums werden könne. Dazu ist es trotz achtjähriger Verhandlungen nicht gekommen. Speck musste andere Wege gehen. 2008 verkaufte er etwa ein Viertel seiner Werke, insbesondere die großen Formate, an die Sammlung Rheingold.
Dies war entgegen vielfach erhobener Kritik ein richtiger und guter Schritt. Er ermöglichte Speck, die Organisation seiner Sammlung zu vereinfachen, und verschaffte ihm die Mittel, um sie langfristig zu erhalten. Es entsteht jetzt ein Haus für Proust und Petrarca, in dem auch die bildende Kunst ihren Platz findet.
Auf Reiner Speck trifft zu, was Giorgio de Chirico 1920 über den Symbolisten Max Klinger gesagt hat: „Er ist der moderne Künstler schlechthin. Modern nicht in dem Sinne, den man heute dem Begriff gibt, sondern im Sinne eines gewissenhaften Manns, der das Erbe an Kunst und Denken aus Jahrhunderten und Aberjahrhunderten achtet, der wachen Auges in die Vergangenheit, in die Gegenwart und in sich selbst blickt.“ Reiner Speck wird am 1. Juli 70 Jahre alt. Ich ziehe den Hut.
Harald Falckenberg ist Sammler in Hamburg