Was muss passieren, damit ein Fotograf seine eigene Kamera zerstört? Über Monate war Leandro Feal in die Roma Bar gegangen. Manchmal dachte er, genug, es reicht. Aber jede Nacht war anders, und er wollte jede einzelne erleben. Im Dezember 2016 hatte ein junger kubanisch-amerikanischer Unternehmer den Club im Dachgeschoss des ehemaligen Hotel Roma in der Altstadt von Havanna aufgemacht. Nach und nach wurde das halbe Haus Teil der Sache, viele Bewohner arbeiteten für den Club, als Türsteher, Aufzugswärter, Barleute. Auch die Toiletten waren in den Wohnungen der Nachbarn, ihre Wohnzimmer wurden zur VIP-Lounge der Feiercrowd. Kike Wolf, Begründer des kubanischen Acid Techno, war der Resident DJ und lud Kollegen aus aller Welt ein, man hörte auch kubanische Klassiker, R & B, House, Salsa.
Normalerweise sei das Nachtleben von Havanna ziemlich langweilig, sagt Leondro Feal. Aber die Roma Bar war anders. Als hätte sich plötzlich ein Raum der Freiheit geöffnet. Auf der Dachterrasse feierten Künstler und Studenten, Kellner aus den anderen Cafés und Bars der Stadt, Bohemiens, Nachtschwärmer. Ihre Freiheit war auch eine der Körper: Manchmal küssten sich plötzlich alle, und wenn der Club zumachte, wurde die Party zur Orgie.
Feal war so etwas wie der offizielle Fotograf der Roma Bar, er bespielte den Instagram-Account, in dem jeder auftauchen wollte für fünf Minuten Ruhm. Seine Kamera wurde zum Katalysator des Exzesses: Die Leute knutschten vor dem Objektiv, sie feierten für sein Bild. "Irgendwann war alles eins: meine Sucht nach diesem Ort, meine Sucht nach dem Fotografieren", berichtet Feal. "In einer Nacht steigerte sich die Intensität immer weiter. Die Kamera machte uns alle euphorisch und enthemmt. Plötzlich hatte ich das Gefühl, dass die Fotografie nicht mehr meinen Blick objektivierte, sie objektivierte mich selbst."
Feal schleuderte die Kamera auf den Boden. "Es musste ein Opfer geben, eine Art Exorzismus, das den Filter zwischen der Realität und mir zerstörte." Am nächsten Abend ging er wieder in die Roma Bar. Die kaputte Kamera hing von der Decke wie ein historisches Relikt.
Heute sind die Fotos dieser Nächte wirklich historisch. Nach neun Monaten musste die Roma Bar wegen Problemen mit einigen Wohnungsbesitzern im Haus schließen. Leandro Feals Serie "Hotel Roma" erzählt aber mehr als die bekannte Geschichte eines Clubs, der wie eine Sternschnuppe aufsteigt und vergeht. Sie spürt dem Möglichkeitsraum nach, der sich in der kubanischen Gesellschaft öffnet.
Feal, 1986 in Havanna geboren, war 2008 nach Spanien gegangen: "Kuba ist eine transnationale Nation, es gibt Kubaner in aller Welt, vor allem viele junge Leute haben das Land verlassen", erzählt er. Doch 2014 kam er zurück, heute arbeitet er sowohl in Havanna als auch in Madrid – einer von vielen zurückgekehrten Exilkubanern, die neue Ideen ins Land bringen.
Eigentlich hat Feal in Havanna bildende Kunst studiert – unter anderem bei Tania Bruguera – und die Kamera nur benutzt, um seine Skulpturen zu dokumentieren. Doch dann wurde er so in die Fotografie und ihre Geschichte hineingesogen, dass sie zu seinem wichtigsten künstlerischen Medium wurde. Immer wieder sind es Blitze von Freiheit, die ihn anziehen, die Momente, wenn feste Strukturen aufbrechen.
"Mein größter Einfluss ist die kubanische Fotografie der Revolutionszeit. Fotografen wie Alberto Korda haben es geschafft, das Bild eines neuen Landes zu schaffen, in einer neuen Bildsprache. Mein großes Ziel ist, neue Bilder für das neue Kuba zu schaffen, das so viele Leute heute aufbauen wollen. Ich möchte ein visuelles Dokument dieser Ära kreieren – eines, das nicht idealistisch ist, wie damals, sondern neu."