Sie wohnen einfach. Sie bauen sich Betten, sie kochen Kaffee, sie pellen ein Ei. Zum Ärger anderer. Weil ihr Wohnraum "zu billig" ist, weil dort keine luxuriösen Neubauten entstehen können. Weil sie sich ein Recht auf Stadt und ein Recht auf urbanes Wohnen einfach selbst genehmigen. Diese Rechte sind für viele Menschen nur noch eine Utopie. Oder eben eine Kampfansage. Ihr Wohnen ist Widerstand und wird zur lebens-performativen Waffe gegen die Gentrifikation. Ihre Gemeinschaft stellt sich dem Profitstreben gegenüber, ihre Häuser entziehen sich der Kontrolle der Privilegierten.
Die Gentrifizierung hat in den meisten Stadtzentren längst gewonnen. Das urbane Wohnen, die Kultur, die Gemeinschaft – Menschen mit ausreichenden finanziellen Mitteln dürfen daran teilnehmen. Andere immer weniger. Manche von ihnen lassen sich aber nicht wortlos zurückdrängen.
Einige Bewohner solcher alternativen Wohnprojekte hat Laura Fiorio porträtiert. Die italienische Fotografin lebt in Berlin und fand Zugang zu Menschen und Innenräumen, die vielen anderen verwehrt bleiben. Es sind besondere und respektvolle Aufnahmen hinter den Kulissen, im Gegensatz zu vielen Presseartikeln, in denen es um Auseinandersetzungen mit der Polizei geht, mit entsprechend chaotischen Bildsituationen. Fiorio fotografierte die Bewohner in ruhigen Momenten, oft frontal, alleine, auf dem Bett oder auf dem Fußboden sitzend – ein friedliches, fast meditatives Gegenübersein.
Alles selber machen (lassen)
Nach der Wende herrschte großer Leerstand in Ostberlin. Menschen nahmen sich Schlafzimmer, richteten Küchen ein, bauten Ateliers, Cafés und Kulturzentren. Es gibt Hausgemeinschaften, die sich zusammen ihr Haus gekauft haben, damals für wenig Geld. Andere bekamen faire Mietverträge. Diese wurden in den letzten Jahren regelmäßig von neuen Gebäudebesitzern gekündigt, die mehr Profit machen wollen.
Im Stadtteil Prenzlauer Berg, nahe der beliebten und inzwischen teuren Kastanienallee, steht noch ein sozial verwaltetes Hausprojekt: Das Mehrfamilienhaus war zerstört, Anfang der 2000er-Jahre halfen Obdach- und Mittellose beim Aufbau. Sie fliesten Bäder, trugen Balken und Ziegel. Dafür bekamen sie Wohnungen zu niedrigen Preisen – in den viele bis heute leben. Damals schliefen sie schon auf der Baustelle, heute finden sie sich in einer gentrifizierten Nachbarschaft wieder. Dabei haben sie denselben Terrassenblick auf den Mauerpark wie die Bewohner der Luxus-Apartments hoch oben im 5. Stock.
Nur noch wenige Häuser sind besetzt. Noch entstehen auf Höfen und Brachen Zeltlager und Wohnwagendörfer. Da wo der Stadtraum etwas Platz hat, werden Hütten aus Holz, Blech und kleinen Fenster zusammengeflickt. Die Innenarchitektur dieser alternativen Wohnprojekte entspricht durch und durch dem Do-It-Yourself (DIY). "Statt Handwerker zu rufen, macht man einfach alles selbst", erzählt Laura F. Auf ihren Fotos sieht man viele selbst gestrichene Wände, Durchbrüche, die sich in den Wohnraum einfügen, Möbel, Leiter und Betten aus Holzlatten und Paletten, verhangene Tipizelte mit Stoffen und Fellmustern. Oft stehen Musikinstrumente darin, auch Platten, CDs, Büchersammlungen und Flyer türmen sich.
Freie Räume als Nährboden der Kunst
Die Ästhetik des Wohn- und Protest-DIY adoptierten viele namhafte Künstler, die damit in der offiziellen Kunstwelt auffahren, etwa Oscar Murillo, Thomas Hirschhorn, Christoph Schlingensief, Phyllida Barlow oder auch ganze Designteams von internationalen Biennalen. Dies ist kein Vorwurf an die Künstler, man sollte sich aber bewusst machen, woher Einflüsse kommen und wie stark Subkulturen die etablierte Kunst, wie auch die Musik, die Theater und Bühnenbilder oder die Mode prägen. Subkulturen und freie Räume zählen zum natürlichen Nährboden jeder Kunst.
Laura Fiorio wohnte selbst in alternativen Hausprojekten, in Italien, in London und in Berlin. Mit ihrer Fotoserie wollte sie das festhalten, was in Gefahr ist, was es vielleicht bald nicht mehr gibt, aber wo sie sich lange zu Hause gefühlt hat. Was mit soviel Liebe und Hingabe, und manchmal auch mit etwas brachialer, überschwänglicher Energie, aufgebaut und behütet wurde.
Was das Leben dort ausmacht, sei das Gemeinschaftsgefühl, erzählt sie. Nicht wie in einem Mietshaus, wo jede Partei in ihrer eigenen Wohnung lebt und man sich ab und zu im Hausflur grüßt. Oder wie in WGs, wo jeder seine eigenen Lebensmittel gut sichtbar von denen der anderen separiert.
Eine lebendige Stadt muss Gestaltungsräume offenhalten
In vielen dieser Häuser gibt es Gemeinschaftsküchen auf jeder Etage und Essenskassen, wo jeder etwas einzahlt. Oft leben Kinder mit in den Haushalten, für sie gibt es extra Kinderschlafzimmer. Das Familienmodell ist dort erweitert, viele Erwachsene kümmern sich zusammen um ihre und die Kinder der anderen. Jedes Hausprojekt hat aber auch seine eigenen Regeln. Sie werden zusammen diskutiert und gewählt. Auch ein Veto ist möglich. Gemeinsam werden politische Aktionen vorbereitet oder Ausstellungen organisiert.
In den Tipi-Zelten wird es im Winter kalt, daher sind sie mit Feuerstellen ausgestattet. Manche leben hier das ganze Jahr über, andere haben Ausweichmöglichkeiten und kommen nur im Sommer. Da es dort keine Haustüren und Wände gibt, gesellen sich regelmäßig Leute dazu, auch Obdachlose finden dort einen Anlaufpunkt.
Entgegen dem gängigen Klischee wohnen nicht nur junge Punks in den Hausprojekten, sondern auch ältere Leute, Paare mit Kindern und eben alle solche, die nicht in den gesellschaftlichen Mainstream passen. Hier entstehen Subkulturen und soziale Praktiken.
Gemeinschaft und Kulturräume lassen sich nicht auf dem Zeichenbrett oder in 3D-Modellen planen. Übersetzungen aus der Theorie ins reale Leben scheitern meistens. Auch lassen sich Städte nicht allein aus einem gentrifizierten Zentrum her gesund halten. Für eine lebendige, vitale Stadt müssen Gestaltungsräume offenbleiben, Privilegierte dürfen die Zentren nicht wie eine Festung einnehmen. Ansonsten entstehen Gegen-Festungen.