Seien wir einmal ehrlich, Instagram ist schon immer ziemlich hässlich. Das hat einen sehr einfachen Grund. Die wenigsten Menschen sind herausragende Fotografen, auch wenn natürlich heute jeder ein Fotograf sein kann. Um ein Foto machen zu können, muss man kein Handwerk mehr erlernen und keine teure Ausrüstung besitzen. Das Smartphone ist eh immer griffbereit in der Hosentasche, der Knopf schnell gedrückt und mit Hilfe von ein paar Filtern und Apps sind Farben und Linien genauso schnell irgendwie in Ordnung gebracht. So in Ordnung zumindest, dass die Bilder und Videos als Mittel der Kommunikation in den sozialen Medien genutzt werden können.
Kürzlich meldete "The Atlantic", dass jetzt selbst Influencer keine Lust mehr auf die typische Instagram-Ästhetik haben und es authentisch wollen. "The Instagram Aesthetic is Over", lautete der Titel. Viel Weiß, viel Vase, viel Bett, minimalistisch eingerichtete Wohnungen, bunte Wände, Pastellfarben, Avocadotoast, strahlende Gesichter, perfekte Leben. Und irgendwie schaukelte sich die Geschichte dann über den "Guardian" bis zur "Zeit" hoch.
Junge Menschen müssen es wissen
Im "Atlantic" ging es recht nüchtern mit einem gründlich recherchierten Beitrag los. Influencer fotografieren sich vor bunten Wänden oder in beliebigen Pop-up Museen, Influencer schleppen schwere Kameras an den Strand, Influencer machen irgendwas mit langen Fingernägeln und Kaffeetassen. Das alles will niemand mehr sehen. Das haben Menschen bestätigt, die in Influencer-Marketing-Agenturen arbeiten. Und junge Menschen. Die müssen es ja wissen. Junge Menschen also zeigen sich lieber authentisch – wirklich authentisch, nicht fake authentisch. Ungefiltert. Nicht inszeniert. Der Influencer Overload sei erreicht, sagt ein Agenturmitarbeiter, mit pinken Wänden und Avocadotoast könne sich heute niemand mehr identifizieren.
Ein paar Tage später legte "Quartzy" nach, unter dem Titel "The Age of the Influencer has Peaked. It’s Time for the Slacker to Rise". Selbst Postings von Privatpersonen auf Instagram würden sich lesen wie Mini-Pressestatements. Man sehne sich jetzt also zurück in die 90er, damals gammelte Winona Ryder noch mit Ethan Hawke in "Reality Bites" herum. Damals habe niemand seinen Lifestyle monetarisiert oder sei mit Brands ins Bett gestiegen. Und heute? "Nothing is sacred, art has been replaced by content, and everything is for sale", steht beispielsweise im Text. Uncool. Irgendwann müsse es auch mal wieder gut sein mit der Selbstoptimierung, irgendwann würde es den Menschen wieder unangenehm sein, sich mit Unternehmen einzulassen.
Taylor Swift kotzt Regenbögen
Der "Guardian" wusste schon bald, wer verantwortlich gemacht werden könnte. "Reality v Instagram: did Taylor Swift’s ME! kill the kooky social media aesthetic?", titelte die britische Zeitung. Okay, Taylor Swift also. Ihr Video kotzt wie dieser eine Smiley Regenbögen, nur in fröhlich. Und dann sind da auch ein bisschen zu viele Kaugummi-Farben und Menschen in Kaugummi-Farben und Menschen mit Regenschirmen, die durch die Luft fliegen und herumtanzen. Eigentlich ist das Video so cheesy, das es schon wieder gut ist, aber der "Guardian" ist da anderer Meinung und fragt sich, was nun cool sei. Auch hier die Antwort: Authentizität.
Und auch die "Zeit weiß": "#eyecandy is over". Statt einer Person wird hier der neue Themenpark "ThisIsEyeCandy" in Toronto zur Verantwortung gezogen und das baldige Ende des Kitsch-Overloads auf Instagram herbeigesehnt. Noch einen Themenpark voller Selfie-Kulissen, wie wir sie alle schon zu oft gesehen haben, das müsse nicht sein. Schlange stehen, Selfies machen, Likes einsammeln. Aber wenn es den Leuten doch Spaß macht, könnte man einwerfen. Rabea Weihser lässt kein "ja, aber" zu. "Den Hochstapler-Kapitalismus von Instagram treibt dieses Projekt auf die Spitze: Je mehr #dolcevita, desto mehr Follower, desto mehr Marktwert", heißt es. Gnadenloser Realismus und Awkwardness seien die Rettung.
Wenn irgendetwas seinen Höhepunkt erreicht hat, dann ist das dieses penetrante Influencer- und Avocadotoast-Bashing. Und es ist ganz sicher nicht dieser eine Themenpark oder dieses eine Musikvideo, das der Anfang vom Ende ist, weil: Jetzt muss es aber doch wirklich mal gut sein mit den perfekten Fotos vom perfekten Leben. Denn damit ist es schon länger gut. Es gibt längst Gegenbilder auf Instagram, eigentlich schon die ganze Zeit, weil sich die Mehrheit der Nutzer eben doch nie grinsend vor bunte Wände gestellt hat.
Follower lassen sich jetzt stören
Als Instagram im Jahr 2010 neu war, wusste niemand so recht, wohin es mit diesem sozialen Netzwerk gehen wird, das offenbar erst einmal dazu da ist, Fotos einen Vintage-Look zu verpassen. Mit polaroidigen Aufnahmen konnte man Freunde wissen lassen, wie schön es gerade hier und da ist und wie gut es einem geht. Bald war klar, dass man mit den richtigen Inhalten Follower und Likes sammeln konnte – das war erst einmal angenehm fürs Gehirn. Bald war auch klar, wenn man alles richtig macht, lässt sich mit Followern und Likes Geld verdienen. Dafür muss das eigene Leben inszeniert und als unfassbar wunderbar dargestellt werden. Was Influencer erreicht haben, nämlich Geld dafür zu bekommen, dass sie ein unfassbar wunderbares Leben haben, ständig in Urlaub fahren und Kleidung geschenkt bekommen, das wurde zum Traum der Vielen. Berufswunsch Influencer statt Feuerwehrmann oder Lehrer oder Astronaut.
Zwischendurch haben Studien belegt, dass sich Follower nicht an Werbung stören. Das hat sich geändert. Jüngstes Beispiel: Marteria und u.a. Bonnie Strange machen Werbung für Wasser von Coca-Cola aus einer Plastikflasche. Ihre Follower sind entgeistert. Bonnie Strange wird beschimpft, weil sie Werbung für eine Umweltsünde macht. "Diese Kampagne ist nicht mein Fall! Du warst mir bis dato authentisch?!", kommentiert beispielsweise @_elli_pelli. Wer Vegetarier ist, darf nicht für Getränke in Wasserflaschen von einem Großkonzern werben. Überhaupt soll niemand für Plastikflaschen Werbung machen, so die verbreitete Meinung.
Nicht Influencer sind out, sondern Haltungslosigkeit und Beliebigkeit. Und dazu gehört generischer Content. Menschen vor bunten Wänden, Sie wissen schon. Oder irgendwas mit Millennial Pink. Plötzlich nämlich geht es nicht mehr um Content, also um Klickbares, das dem Gehirn für ein paar Sekunden gute Laune zaubert, sondern um Inhalte. Um Persönlichkeiten, die eine Meinung äußern. Wie Greta Thunberg. Wie Rezo. Selbstverständlich kann die "FAZ" gegen Rezo anschreiben und in den Raum stellen, dass er doch nur finanzielle Interessen vertrete und dabei wirke wie ein authentischer Nachbarsjunge von nebenan. Gut durchdacht ist diese Argumentation nicht, weil Medien eben auch finanzielle Interessen haben. Solch eine Reaktion kommt beleidigt daher. Traditions-Journalisten spüren, dass ihnen etwas entglitten ist, so Sascha Lobo in seiner Kolumne.
Und ja, natürlich, auf Instagram war es in den letzten Jahren sehr gemütlich. Wer dem Alltag entfliehen wollte, klickte sich beispielsweise durch ein paar schöne Landschaftsfotos. Das war aber nur so lange schön, bis der Account @insta_repeat hämisch entlarvte, was sowieso schon alle wussten: Postings von Influencern sind austauschbar. Ein Foto ist wie das andere. Am Beispiel der Landschaftsfotografie dekliniert @insta_repeat die immer gleichen Bildformeln durch, das deutsche Männermode-Blog Dandy Diary hatte das zuvor für die Fashionblogger-Szene mit dem Account (plus Video) "Influencers of the 21st Century“ übernommen. Seither reicht es nicht mehr, sich an einer warmen Kaffeetasse festzuhalten.
Vor genau einem Jahr habe ich an dieser Stelle fast versteckt in einem Text über Ugly Instagram geschrieben, weil sich da erst andeutete, dass sich langsam etwas ändert. Wer sein Leben nicht überinszenieren möchte, befreit sich mit einem Ugly Instagram vom Druck der Selbstoptimierung. Ugly Instagram ist das Pendant zu Ugly Fashion. Kleidung in Übergröße, klobige Sneakers, Marken aus den 90ern, ein Outfit wie aus dem Kleiderschrank des uncoolen Onkels gemopst. Wie Ugly Fashion so soll auch ein Ugly Instagram zeigen, dass man sich selbst nicht zu ernst nimmt und nicht auf Bestätigung aus ist. Auf einem solchen Account sieht es dann eben aus, als hätte der uncoole Onkel die Fotos gemacht und vergessen, sie zu komponieren und zu bearbeiten. Der Blitz war natürlich nur aus Schusseligkeit an. Ein Ugly Instagram funktioniert wie eine Pinnwand bzw. wie ein Tumblr. Man teilt neben eigenen Bildern Fundstücke aus dem Internet, Screenshots, Memes, alles, was einen irgendwie interessant macht ohne einen wie einen Angeber wirken zu lassen.
Ein unterhaltsames Beispiel ist der Instagram-Account von Michel Gaubert, dem Mann, der bei Modenschauen die Musik arrangiert. Er hat über 300.000 Follower und postet, was ihm im Netz begegnet, politische Statements wie ein Foto mit dem T-Shirt zur Europawahl von Wolfgang Tillmans fehlen natürlich nicht. Im Interview mit "Iconist" erläuterte er sein Konzept: "Ich gehe im Netz auf die Jagd, scanne Zeitschriften aus meinem Archiv, benutze private Bilder, mache Collagen oder neue Fotos. Alles ist erlaubt. Mein Instagram ist mein Tagebuch der Stimmungsumschwünge." Launen statt Dauergrinsen. Das ist dann wohl die gewünschte Authentizität.