Keiner Popsängerin ist in diesem Jahr ein besserer Polit-PR-Coup gelungen als Taylor Swift mit ihrem Dokumentarfilm "Miss Americana", in dem sie ihr Coming Out als Demokratin und Feministin feiert. "Du musst mir dafür vergeben, dass ich das mache", fleht Swift unter Tränen ihren Vater an, der ihre politische Positionierung als Gefahr für die Sicherheit seiner Tochter betrachtet und postet in der nächsten Sequenz eine Instagram-Caption, in der sie sich gegen die republikanische Senatoren-Anwärterin Marsha Blackburn und für Toleranz und Gleichberechtigung ausspricht. Mit "Miss Americana" schaffte es Taylor Swift, ihr langes politisches Schweigen zu rechtfertigen, die Beweggründe für ihren Sinneswandel aufzuführen und diesen als altruistischen, moralisch strahlend reinen Akt zu inszenieren und ganz nebenbei ihr aktuelles Album "Lover" als Anthologie von Protest- und Empowerment-Songs zu präsentieren, in denen Swift ihren Werdegang hin zur Aktivistin inszeniert.
Das polare Gegenteil zu Taylor Swifts perfekt inszeniertem political turn lieferte in den vergangenen Wochen Lana del Rey. Die Sängerin, die 2011 mit ihrer Single "Video Games" berühmt wurde, hielt sich hinsichtlich ihrer politischen Haltung ähnlich wie Swift lange bedeckt. Zu Beginn von del Reys Karriere gab es zahlreiche Debatten darüber, ob ihre Musik anachronistische und missbräuchliche Beziehungen romantisiere und ob man als Feministin Songs mit Titeln wie "Lolita" und Texten wie "my pussy tastes like Pepsi Cola" gut finden dürfe.
Über die Jahre hinweg schien es, als entwickle die Sängerin ein stärkeres politisches Bewusstsein. Nach dem Wahlsieg Donald Trumps verkündete sie, bei ihren Auftritten fortan nicht mehr vor der amerikanischen Flagge zu singen und nahm an Hexenzeremonien teil, die eine Amtsenthebung heraufbeschwören sollten. Auch ihr musikalischer Blick auf Beziehungen wurde nuancierter: sie strich die kontroverse Zeile "he hit me and it felt like a kiss" aus ihrem Song "Ultraviolence", bewies mit Lyrics wie "could it be that I fell for another loser?" Selbstironie und deklarierte ihre Fragilität durch Songtexte wie "they mistook my kindness for weakness" und "you don’t ever have to be stronger than you really are" als bewussten, autonomen Akt.
Rassistische Untertöne?
Ende Mai, knapp zehn Jahre nach ihrem Durchbruch, äußerte sich del Rey dann erstmals ausdrücklich zur medialen Kritik an ihrer Musik – auf denkbar unbedarfte und privilegienblinde Weise. In einem Instagram-Post erklärte sie, dass sie Missbrauch keineswegs als glamourös darstelle, sondern vielmehr eine glamouröse Person sei, die ihre Erfahrungen mit toxischen Beziehungen in ihrer Musik verarbeite. Neben der ausweichenden doppelten Verneinung, sie sei "not not a feminist", störten sich Kritikerinnen und Kritiker vor allem am ersten Absatz von del Reys Post. Darin schrieb sie: "Jetzt da Doja Cat, Ariana, Camila, Cardi B Kehlani und Nicki Minaj und Beyoncé alle Nummer-Eins-Hits mit Songs übers sexy sein, keine Kleidung tragen, ficken, betrügen usw. gelandet haben – kann ich bitte wieder darüber singen, mich verkörpert zu fühlen, mich schön zu fühlen, weil ich verliebt bin, auch wenn die Beziehung nicht perfekt ist, oder für Geld zu tanzen – oder worüber auch immer ich will – ohne dafür gekreuzigt zu werden?"
Dass del Rey nun als unfeministisch bezeichnet wird, hat nichts mit ihren Songtexten zu tun. Stattdessen wird von vielen Seiten kritisiert, dass sie sich auf abwertende Weise über ihre Kolleginnen äußerte, um ihren eigenen Standpunkt deutlich zu machen. Einige erkannten in dem Statement rassistische Untertöne: Die von del Rey genannten Künstlerinnen sind allesamt women of colour – ausgenommen von Ariana Grande, der aufgrund ihrer Orientierung an afroamerikanischer Kultur und Ästhetik oftmals "Blackfishing" vorgeworfen wird.
Die Sängerin fühlte sich missverstanden, postete weitere schriftliche Erklärungen und ein sechsminütiges Video, in dem sie an unpassender Stelle ihr neues Album ankündigte und sich mit dem sie sich immer weiter in ihre unreflektierten Aussagen verstrickte. Hinter körnigen Schwarzweißfilter betont sie, dass sie keine Rassistin sei und sogar an persönliche Reparationszahlungen an afroamerikanische und indigene amerikanische Personen glaube – und vergleicht sich unmittelbar darauf mit der Sängerin und Tänzerin FKA Twigs, deren Pole-Dancing als Kunst gefeiert werde, während die Medien del Reys Tanzen an der Stange verurteilten. Die Botschaft, die sie vermitteln wolle, sei lediglich, dass es Raum geben müsse für empfindliche und zarte Frauen “in dem, was unausweichlich eine neue, dritte Welle des Feminismus werden wird.” Spätestens an dieser Stelle wurde klar, dass sie sich nicht ausreichend mit der Theorie jener Bewegung auseinandergesetzt hatte, deren dritte Welle bereits in den 90er-Jahren anbrach.
Mittlerweile ist der Feminismus in seiner vierten Welle angekommen, und und trotz zahlreicher interner Zerwürfnisse herrscht ein relativ breiter Konsens darüber, dass sich diese vor allem durch Intersektionalität auszeichnet – also durch die Anerkennung besonderer Formen der Diskriminierung, die man beispielsweise als BIPOC-Frau erfährt und die eine weiße Frau wie Lana del Rey niemals nachempfinden können wird. Zu diesen speziellen Formen der Diskriminierung gehören unter anderem die Wahrnehmung von BIPOC-Frauen als hypersexuell, vulgär und einschüchternd stark – eine Reihe an rassistischen Stereotypen, die del Rey mit ihrer Gegenüberstellung von verkörperter Schönheit und triebgesteuerter Promiskuität weiter befeuert.
Popstars unter dem Brennglas
Als weiße Popsängerin war es del Rey lange möglich, Kulturen wie Kostüme überzustreifen und mit ihrer Retro-Ästhetik ein Americana-Traumland heraufzubeschwören, in dem der Glamour der 50er- und 60er-Jahre bereinigt von Themen wie Rassentrennung und rassistischer Diskriminierung auflebte. Für ihren Kurzfilm "Tropico" castete sie das afroamerikanische Model Shaun Ross als Adam, aber inszenierte sich nach der Vertreibung aus dem Paradies als Chicana und zog mit einer hispanischen Gang durch die Straßen LAs. Sie zeigte den Rapper A$AP Rocky in ihrem Musikvideo zu "National Anthem" als Kennedy-esquen Präsidenten, schmückte sich in der finalen Sequenz ihres "Ride"-Videos jedoch mit indianischem Kopfschmuck. Seit Mitte der 2010er-Jahre, in der diese Aufnahmen entstanden, hat sich die Wahrnehmung derartiger Bilder gewandelt – doch zur damaligen Zeit profitierte del Rey von ihrer kulturellen Appropriation.
Del Rey vergriff sich mit ihren Aussagen zu einem gänzlich unpassenden Zeitpunkt im Ton. Selten wurden Personen des öffentlichen Lebens so kritisch betrachtet als in den vergangenen Wochen. Bereits im Zuge der zermürbenden Corona-Pandemie zogen Celebrities, die aus ihren Luxusvillen heraus per Videobotschaft zu Solidarität und einer positiven Grundhaltung aufriefen, öffentliches Ärgernis auf sich. Bereits Ende März konstatierte die New York Times: "Celebrity Culture is Burning". Im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung rückt Hollywood weiter unters Brennglas: Wer bleibt stumm, wer äußert sich unzureichend, wer nutzt das politische Momentum zur Selbstdarstellung? Gut möglich, dass sich berühmte Menschen bald nur noch mit einer ähnlich ausgefeilten Strategie wie Taylor Swift an politische Themen heranwagen. Aber vielleicht bedarf es gerade In Zeiten, in denen die Abgehobenheit berühmter Menschen mit aller Deutlichkeit zu Tage tritt, auch unbedachter Äußerungen und öffentlicher Aussetzer.
Del Rey hätte sich tiefergehend mit FKA Twigs auseinandersetzen können, die für Songs wie "I'm your Doll" ebenfalls heftig kritisiert wurde und ihre selbstbestimmte Unterordnung daraufhin immer wieder öffentlich thematisierte. Sie hätte sich bei Billie Eilishs Anti-Bodyshaming-Video abschauen können, wie man sich gegen eine Objektifizierung durch die Medien wehren kann, ohne dabei sexualisierte Inhalte anderer Künstlerinnen zu kritisieren. Vor allem aber hätte sie vom aktuellen antirassistischen Diskurs lernen können, dass Rassismus subtile Formen annehmen kann. Doch aktuell befinden sich zahlreiche Personen in einer ähnlichen Position wie Lana del Rey: Sie betrachten sich selbst nicht als rassistisch, erkennen ihre Privilegien nicht und schieben die Thematik weit von sich weg. Aus del Reys Kontroverse lernen sie nun vielleicht das gleiche wie die Sängerin selbst: Dass Spenden nicht von der Pflicht befreien, verinnerlichte Vorurteile zu konfrontieren – und dass Feminismus heutzutage bedeutet, immer wieder zu hinterfragen, welche Nutzen man selbst aus rassistischen Strukturen zieht.