Verleger Steidl wird 65

Lagerfeld, Grass und jede Menge Papier

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Verleger Gerhard Steidl mit Fotografien vom südafrikansichen Fotografen Santu Mofokeng

Sein Vater war Maschinenputzer, und auch Gerhard Steidl wienert gerne Druckmaschinen. In Göttingen leitet der besessene Büchermacher einen Verlag von Weltruf. Seinen 65. Geburtstag will er auf keinen Fall groß feiern

Er gestaltete gemeinsam mit Günter Grass das letzte Werk des Literaturnobelpreisträgers. Mit Mode-Ikone Karl Lagerfeld tauscht er sich täglich aus - per Kurier werden Entwürfe, Fotografien und Bücher hin- und hergeschickt. Gerhard Steidl hat in der Göttinger Altstadt einen einzigartigen Verlag aufgebaut. Nicht viele wissen, dass hier wichtige Fotokünstler, aber auch Popstars wie Bryan Adams oder Hollywood-Größen wie Keanu Reeves ein- und ausgehen. Sie alle wollen mit Steidl Bücher machen, weil sie sein Wissen über Papier und Druckkunst schätzen. Am 22. November wird der Verleger 65 Jahre alt. Eine Feier sei aber nicht geplant, betont er.

Steidls Arbeitstag beginnt um fünf Uhr morgens, stets im weißen Laborkittel. Bevor er abends gegen 20.30 Uhr den Verlag verlässt, leert er die Papierkörbe. "Ich mache das zum Runterkommen", sagte der jünger wirkende Brillen- und Turnschuhträger. "Das habe ich von Joseph Beuys gelernt, als ich sein Drucker war. Da haben wir am Ende eines Arbeitstages zusammen das Studio gekehrt - eine wunderbare Entspannung."

Ein Besuch bei Steidl ist ein Erlebnis. Der Chef scheint in allen Abteilungen gleichzeitig zu wuseln, ständig mit dem Telefon am Ohr. Lieferanten, Mitarbeiter sowie Künstler warten vor seinem vollgestopften Büro auf eine Audienz.

Wer sich auf eine längere Wartezeit einstellen kann, wird in die Bibliothek geführt. Hier kann man in faszinierenden Bildbänden blättern. Etwa 170 Fotokunst-Bücher bringt Steidl jährlich heraus, in jüngster Zeit häufiger von Ausstellungen in aller Welt begleitet. Zu deren Vorbereitung hat er sich ein eigenes Studio eingerichtet. Hier pinnen aufwendige Drucke auf verschiedenen Papierarten an der Wand.

Steidl springt beinahe minütlich zwischen seinen Projekten: Es geht um die Einrichtung eines Fendi-Hotels gemeinsam mit Lagerfeld, dann um das Günter-Grass-Archiv nebenan, um den Einkauf von Papier und um die Gestaltung von neuen Fotobüchern dreier Künstler.

An diesem Tag sitzen die Fotografen David Goldblatt (84) aus Johannesburg und Philip Trager (80) aus New York auf dem Sofa der Bibliothek. "Es ist toll, dass man Probedrucke macht und etwas verändern kann", lobt Goldblatt die Zusammenarbeit mit Steidl. Trager fallen fast die Augen zu, weil er schon um 6.00 Uhr morgens aus dem Bett geklingelt wurde. Die Künstler sind in zum Verlag gehörenden Appartements untergebracht. So können sie rund um die Uhr schnell zur Druckmaschine gerufen werden.

Am Mittag stehen der polnische Fotograf Tomasz Gudzowaty und Steidl an der ratternden Druckmaschine. Es geht um die Auswahl des Papiers für drei Bücher. Steidl beugt sich über den Ausdruck und schnüffelt. "Dieses ist organischer, rauer, nicht so gefällig", sagt er auf Englisch. Etwa zwei Stunden dauert allein die Vorauswahl. Gudzowaty strahlt. "Das ist so inspirierend hier", sagt er.

Der von Steidl angestellte Koch serviert das dreigängige Mittagsmenü. Den Luxus des eigenen Kochs leiste er sich, um sein Gewicht zu halten, erklärt der Verleger. "Außerdem sind die Künstler früher mittags immer abgehauen, und ich musste sie aus Kneipen und Lokalen aufsammeln. Jetzt ist es hier wie im Gefängnis", sagt er mit dem Anflug eines Lächelns.

Und während der Verlagschef eilig seinen Gemüse-Eintopf löffelt, erzählt er knapp von einem neuen Projekt in den USA. Die Besucher von US-Präsident Barack Obama könnten demnächst in Steidl-Produkten blättern. "Die Bibliothek im Weißen Haus wird umgestaltet, und dafür haben wir Bücher geliefert."

Der umtriebige Verleger wuchs nur wenige hundert Meter vom heutigen Verlagsgebäude entfernt in einfachen Verhältnissen auf. Sein Vater war Maschinenputzer in der Druckerei der Lokalzeitung. Schon mit 17 Jahren machte Steidl Abitur und arbeitete danach als Drucker und Gestalter.

Der Plakatkünstler und frühere Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, sagt über seinen Weggefährten: "Nach jahrzehntelanger Zusammenarbeit mit Gerhard Steidl schätze ich an ihm besonders, dass er all seine überragenden handwerklichen Kenntnisse und Fertigkeiten uneingeschränkt in den Dienst der Künstler stellt. Ich wünsche ihm, dass er mit seiner kreativen Arbeitswut die Gesetze der Natur noch möglichst lange überlisten kann."