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"Bumm, bumm, bumm", man hört das Bild. Beton, schwarzes DJ-Pult, tanzende Menschen, oberkörperfrei oder schwarz gekleidet: ein Techno-Rave. Wäre er in Berlin oder Amsterdam, würde ihn die wogende Menge wohl als selbstverständlich erachten. Sich dort, hinter dicken Mauern und in den Armen ihrer Freunde, sicher fühlen. Doch die Menschen auf der Fotografie von Lesha Berezovskiy wissen, dass sie womöglich nicht für immer so weiter tanzen können.
Zeitsprung, nächstes Bild. Ein junger Mann mit Schal, Mütze und dicker Jacke steht in grauem Gestrüpp. Vielleicht ist auch er auf dem Rave gewesen, denn der hatte einige Jahre zuvor in seiner Stadt stattgefunden. In seiner Hand hält der Mann einen kleinen Küchentrichter, vor sich stehen leere Glasflaschen. Er bereitet Molotowcocktail vor. Denn seine Stadt, das ist Kiew. Das Bild wurde am zweiten Tag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 gemacht. "Der surrealste Tag in meinem Leben", wie ihn die Fotografin Kseniia Pavlova nennen wird, als Monopol sie nach ihrem Bild fragt. "Eine neue Realität kam", sagt sie. "Ein Punkt ohne Wiederkehr."
Direkt nebeneinander hängen beide Motive, Frieden und Krieg, Exzess und Gefahr, in der aktuellen Schau "Kyiv Emerging" in der Kommunalen Galerie Berlin. Sie erzählen völlig unterschiedliche Geschichten vom gleichen Ort. Die Kunsthistorikerinnen Christiane Stahl und Victoryna Iunovych sowie der Fotograf Boris Mikhailov, einer der bekanntesten in der Ukraine, haben die Werke ausgewählt. Sie erklären, die "Widerstandsfähigkeit und die Schönheit" der Stadt zeigen zu wollen. Und haben sich deshalb für die dichte und durchmischte Hängung in dem kleinen Ausstellungsraum entschieden.
Das könnten wir sein
Diese Strategie der Kuratoren geht auf. Allerdings senden sie durch diese auch eine zweite Botschaft, die sich weniger positiv formulieren lässt: Die Schau zeigt viel eher, wie nah diese Schönheit den Bedrohungen und dem Schrecken des Krieges sein können. Dass sich ein erfülltes Leben im Jetzt und große drohende Gefahr nicht gegenseitig ausschließt. In Pavlovas Worten: "Wie Zeit und Ereignisse miteinander verflochten sind."
Während sich das Berliner Publikum die Ausstellung ansieht, dürfte sie so auch die Illusion von Sicherheit und Normalität entlarven, die viele Menschen in Europa und den USA noch immer für den unausweichlichen Weg ihres Lebens halten. Denn natürlich zeigen gerade die Stadtlandschaften oder liebevollen Paare, wie ähnlich das Leben in Kiew dem anderer europäischer Metropolen sein konnte und noch immer sein kann. Doch auch beim Betrachten der anderen Bilder, die Barrikaden, Straßensperren, Zerstörung zeigen, schwirrt einem immer wieder folgender Satz durch den Kopf: "Das könnten wir sein."
Bei allen Gemeinsamkeiten und der Identifikation, die Berliner Betrachter spüren dürften: Der genannten Illusion von Sicherheit und Normalität geben sich viele Menschen in der Ukraine schon sehr lange nicht mehr hin. Denn auch, wenn der russische Überfall auf die Ukraine viele Deutsche überraschte: Der russisch-ukrainische Krieg tobt bereits seit 2014, als Russland die Halbinsel Krim völkerrechtswidrig annektierte.
Techno und Bedrohung sind verbunden
So ist auch der Rave vom Anfang keineswegs so selbstverständlich, wie er erscheinen dürfte. Denn CXEMA, so heißt die bekannte Techno-Reihe, wurde ins Leben gerufen, weil der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die dortige Revolution das Nachtleben in Kiew weitgehend lahmgelegt hatte. Dass die Stadt zu einer der wichtigsten Metropolen der Techno-Kultur gehört, ist mit ihrer Bedrohung untrennbar verbunden. Ähnlich wie die Ravekultur etwa im Deutschland der 1980er- und 90er-Jahre einst durch soziale und wirtschaftliche Probleme stärker in den Fokus gerückt war, geschah dies auch in der Ukraine.
Das Werk "CXEMA rave" (2017) von Lesha Berezovskiy ist ein Beispiel für die Werke der Ausstellung, die glückliche Momente zeigen. Aber gleichzeitig zeigt es auf vielen Ebenen, dass auch diese auf den Konflikt verweisen können. Die Arbeit des Fotografen wäre ohne die Bedrohung der Ukraine wahrscheinlich eine andere: Als 2014 der Krieg im Donbass begonnen hatte, war er nach Kiew geflohen. Dort erschloss er sich das ganze Universum der Subkulturen, das es in seiner Heimatstadt nicht gab. Und fotografierte das Leben der Communities jenseits der Konflikte.
Vielen Kreativen ist es wichtig, das Erleben in Kiew auf den Kontext der Bedrohung zu reduzieren. Sie sei froh, dass sich die Schau der "Vielfalt Kiews" widme, sagt Künstlerin Pavlova. "Dem Leben dieser Stadt vor und nach dem Krieg" – und eben nicht nur zur aktuellen Zeit. Denn gerade, dass Menschen wie Berezovskiy aus ostukrainischen Regionen, die von Konflikten geprägt sind, dorthin flohen und nun ein im Verhältnis betrachtet unbeschwerteres Leben führen, zeigt: Kiew war und ist ein Ort der Freiheit. Und schon lange Ziel von Menschen, die vor russischem Einfluss fliehen.
Welche Emotionen vermittelt der Körper im Krieg?
Das verdeutlicht auch die Geschichte von Fotografin Alina Panasenko. Sie ist ebenfalls Ostukrainerin, Kiew wurde für sie zum zweiten Zuhause – und zum Ort der freien sexuellen Entfaltung. Etwas, das in ihrer vorherigen Heimat nur schwer möglich gewesen wäre. "Die Erforschung und das Fotografieren des Körpers und der Sexualität war für mich während des Krieges äußerst wichtig", sagt sie gegenüber Monopol. "Ich war daran interessiert, zu verstehen, welche Form unser neues Leben und unsere neue Körperlichkeit annahmen. Und ob es möglich ist, diese Metamorphose zu verstehen, bevor der Krieg vorbei ist."
In ihrer aktuellen Serie namens "Anamnese" widmete sich Panasenko insbesondere der Frage: Welche Emotionen vermittelt der Körper im Krieg? Und antwortet darauf: Wärme. Denn während die Körper in kaltem Ambiente aufeinander liegen und sitzen, strahlen sie selbst besonders viel Wärme und Geborgenheit aus.
Auch Künstlerin Maria Maslova weckt mit ihren Werken starke Empfindungen. Sie bezieht sich konkret auf die Ästhetik der Stadt Kiew, ohne auf mögliche Konflikte zu verweisen. Die Fotografien wurden im Mai 2021 aufgenommen und zeigen die historische Architektur, die goldenen Kirchenkuppeln mitten in der modernen Stadtsilhouette. So verweist sie auf das fortschrittliche Jetzt dieser boomenden Großstadt, aber auch auf ihre bedeutende architektonische Position. Gerade die Schönheit, die Maslova einfing, ruft bei den vielen Menschen, die aus Kiew flohen oder sich einst in diese Stadt verliebten, eines hervor: das Gefühl von Heimat.
Krieg, Frieden und Hoffnung
So auch bei Nina Mari, die mittlerweile in Genf lebt. Sie beschäftigt sich mit dem Thema der erzwungenen Migration, indem sie Szenen aus der Schweiz und Kiew in Verbindung bringt. So zeigt sie etwa einen Kastanienbaum, der sie in Genf an ihre ukrainische Heimat erinnerte: ein Symbol Kiews. Jedes Mal, wenn sie einen solchen Baum in voller Blüte in Genf gesehen habe, so erzählt sie, habe sie sich beinahe körperlich verletzt gefühlt, weil sie vorerst nicht in die Ukraine zurückkehren konnte. Die Bilder aus Kiew "knipste" Mari mithilfe von Google Maps, die restlichen Bilder mit ihrer Kamera in der Schweiz.
Neben Katastrophe und Schönheit sind in der Berliner Ausstellung, ganz vorsichtig, auch Zeichen des Optimismus zu finden. Etwa in den Werken von Tetiana Bohuslavska, die beschädigte russische Panzer fotografiert hat – inmitten von sanierten Prachtbauten in Kiew.
Wäre die Lage nicht so ernst, man könnte Bilder wie diese für pathetisch halten. Doch nun, das ist die große Stärke der Schau, hängen sie inmitten von Fotografien, die zeigen: Trotz Bedrohung ist Kiew voller willensstarker Menschen, die ihre Stadt und die Freiheit lieben, für sie einstehen. Fotograf Artem Baidala unterstreicht das mit seiner Arbeit. Er hat Polaroids von einer Demonstration gemacht: junge, wütende Menschen mit Fackeln. Sie machen von ihren demokratischen Rechten Gebrauch, die es zum Zeitpunkt der Aufnahme noch nicht so lange gibt. Und die es noch lange geben soll.