"There is an elephant in the room": Die großen, blauen Leuchtbuchstaben auf einfachen Holzgerüsten, beschwert mit orangen Zementsäcken, sind Teil der Installationen im ikonischen Ausstellungsgebäude im Wiener Augarten. Die Arbeit der Gruppe Superflex weist auf die beinahe surreal anmutende Situation des gegenwärtigen europäischen Krieges hin, der in der Ukraine Alltagsrealität und in anderen Staaten Teil des täglichen Newsfeeds geworden ist.
Die Interpretation des bekannten Satzes, der auf ein allen bewusstes, jedoch unterdrücktes Problem hinausläuft, lässt viele Interpretationen zu. Und diese potenzielle Offenheit bei aller thematischen Konkretisierung ist eine der überraschenden Qualitäten dieser Ausstellung, die sich Kyiv Biennale 2023 nennt.
Das Projekt ist in verschiedener Hinsicht mehrteilig. Der Hauptaustragungsort ist Wien mit neun Ausstellungsorten, dazu webt sich ein Netz von weiteren Venues, drei davon in der Ukraine, weitere in Polen, Belgien und Deutschland (Berlin 2024). 2015 hat diese "andere" Biennale erstmals stattgefunden, bereits damals war sie Teil einer umfassenden zivilgesellschaftlichen Initiative zur Stärkung einer unabhängigen ukrainischen Kunstszene, ebenso als Plattform für weitere Projekte gedacht. Die aktuelle Ausgabe sieht sich nun vor dem dramatischen Hintergrund eines Krieges mit multiplen Konfliktsituationen konfrontiert.
Längst erloschenes Fortschrittsnarrativ
Die Initiative Livyi Bereh beispielsweise unterstützt Menschen in der Grenzregion Charkiw beim Wiederaufbau ihrer Wohnhäuser, dabei sind im Atelier Augarten auch Objekte und Fundstücke von verlassenen Gebäuden zu sehen. Ein wenig weiter weg werden Artefakte und heute zerstörte Teile von einst gefeierten Sowjetmoderne-Architekturen gezeigt, die zu Bruchstücken einer vergangenen Geschichte mit einem längst erloschenen Fortschrittsnarrativ geworden sind.
Der Fotograf Wolfgang Tillmans, der sich seit Jahren differenziert mit dem Ukraine-Konflikt auseinandersetzt, lud den Fotojournalisten Friedrich Bungert zur Partizipation ein. Dieser dokumentierte im Straßenbild Kiews, Lembergs und anderer Städte verletzte, "versehrte" Menschen. Viele der ausgestellten Werke weisen auf die Veränderungen hin, die der Krieg im Alltag der Ukraine ausgelöst hat. Und die noch bis vor kurzem undenkbar gewesen wären.
Neben dem Atelier Augarten, dem größten Austragungsort der Biennale, sind es aber vor allem die Wiener Offspaces und weitere lokale Institutionen, die sehr souverän bespielt werden, wie Ve.sch, Hoast, Laurenz oder Never At Home, und die mit unterschiedlichen Dringlichkeiten und Themen arbeiten. Im Neuen Kunstverein Wien, der sich in einer ehemaligen Autogarage weit weg vom Zentrum befindet, ist unter anderem eine Videoarbeit von Hito Steyerl zum Thema Luxusimmobilien und Visualisierung zu sehen.
Glock-Pistolen für Riesen
Hier kann man auch in ein Museum mit sowjetischen und belarussischen Büsten und Statuen früherer Protagonisten der Sowjetpolitik eintauchen, die Clemens von Wedemeyer zusammen mit dem Eeefff-Kollektiv als virtuelle Installation gebaut hat. Der Clash von diversen High-End-Technologien mit vergangenen Relikten einer untoten Geschichte gehört zum Besten dieser Ausstellung.
Der kurioseste Ort indessen ist ein leerstehendes Geschäftslokal, in dem der österreichische Künstler Franz Kapfer an einem für Riesen konzipierten Waffenarsenal arbeitet. In analoger Laubsägetechnik fabriziert der Künstler jeden Tag minutiös Schusswaffen bekannter Produzenten (wie dem österreichischen Hersteller Glock) in vierfacher Vergrößerung. Referenz hierbei sind toxische Männlichkeitsentwürfe, die zwischen archaischen Ritualen, rechtsextremen Bewegungen und der Faszination für männliche Macht-Symboliken pendeln. Das Thema des übergroßen Elefanten, es steht auch in diesem Raum.