Ihr geht auf Vernissagen und teilt eure Kritik der Ausstellung in Videos auf Instagram. Ihr habt aber auch schon eine Ausstellung in einer Wohnung in Frankfurt kuratiert. Was ist Kulturvotzen TV (KVTV)?
Sonja: Vor allem sind wir Freundinnen. KVTV ist aus Freundschaft entstanden. Wir sind zusammen nach Athen zur Documenta gefahren, um uns Kunst anzuschauen. Das war uns zu langweilig, also haben wir uns dabei gefilmt, wie wir über Kunst reden.
Cosima: So sind unsere ersten Beiträge entstanden. Wir sind irgendwo hingegangen und haben uns gegenseitig gefilmt.
Wer gehört alles zu KVTV?
Sonja: Zwei Krankenschwestern, eine Anwältin, eine Künstlerin und zwei Kuratorinnen.
KVTV ist buchbar: "Wir kommen auf deine Vernissage", steht in eurem Profil auf Instagram.
Cosima: Moment, das ist auch als Spaß gemeint.
Ihr seid also nicht buchbar?
Sonja: Doch! Wir garantieren nur nicht, dass der Inhalt positiv ist.
Cosima: Wir garantieren einen ehrlichen Inhalt.
Ihr seid nicht käuflich?
Cosima: Genau, wir sind buchbar, aber unsere Meinung ist nicht käuflich.
Ist KVTV ein Beispiel dafür, wie sich Kunstkritik in Zeiten sozialer Medien verändert?
Cosima: Ich würde uns nicht als Kunstkritikerinnen bezeichnen.
Sonja: Doch, das ist okay!
Mit der Kunst jedenfalls geht ihr in euren Videos hart ins Gericht.
Cosima: Mein Verhältnis zur Kunst ist eine Hass-Liebe.
Sonja: Ekelhaft, es ist ekelhaft! Ich habe nicht mit der Kunst angefangen, weil ich dachte: "Geil, in der Kunstwelt kann ich ein Star werden!" Kunst machte mir Spaß. Irgendwann dachte ich: "Was geht denn hier ab?"
Was geht denn ab?
Sonja: Der Kunstbetrieb hat die Kunst verraten. Ich habe einen romantischen Blick auf die Kunst, Kunst soll Werte erfüllen. Für mich ist das Netzwerken um die Kunst herum belastend, das steht zu sehr im Vordergrund. KVTV ist Frustabbau.
Cosima: Wir haben keine Angst, unsere Meinung zu sagen. Natürlich gibt es Leute, die kritisch sehen, was wir machen, weil wir provozieren.
Sonja: Einige sehen es als geschmacklos an, dass wir als Frauen im Proletenstyle auftreten. Das gehört sich nicht, sagen sie.
Ihr versteht euch als Korrektiv?
Sonja: Ja, genau! Wir schauen uns Ausstellungen an, die für den Kunstbetrieb vielleicht nicht besonders wichtig sind. Was mich fasziniert ist übrigens, wie Leute Kunst konsumieren.
Warum?
Sonja: Menschen laufen mit hinter dem Rücken verschränkten Armen durch Ausstellungen und geben sich bedächtig oder echauffieren sich. Das ist doch unerträglich.
Was wollt ihr erreichen?
Sonja: Wir wollen stören. Wir wollen die Aufmerksamkeit verschieben. Wir wollen in die Rezeption eingreifen. Der Maler Rubens ist beispielsweise für sein Frauenbild bekannt. Als die große Ausstellung zu Rubens im Städel war, habe ich mich vor die Gemälde von Rubens gestellt – meine Brüste waren entsprechend hochgeschnürt. Das sorgte für Aufruhr. In der Ausstellung waren viel Titten zu sehen. Wenn dann aber eine Frau ihre Titten offensiv zeigt, sind alle irritiert.
Wollt ihr eigentlich Influencer sein? Für Kunst?
Cosima: Ich nicht. Wir wollen niemandem eine Meinung aufdrücken. Wir wollen zum Nachdenken anregen.
Sonja: Wir sind meinungsbildend. Wir wollen eine Instanz sein. "Bitte nutzt den Code KVTV, heute verlosen wir zehn Tickets für die Ausstellung XY." Das müsste man als Influencer für Kunst machen, oder? Ich wäre gern Influencer für Faltencreme. Ich würde Werbung für Milchpumpen machen. Leute schämen sich für so etwas. Wenn ich das mit meinen Brüsten repräsentieren könnte, würde ich das machen und das Geld in eine Ausstellung investieren.
Scham, das ist ein gutes Stichwort. Ihr tretet prollig auf und seid derb in eurer Ausdrucksweise.
Sonja: Manchmal muss man Dinge einfach machen, weil sich vielleicht sonst keiner hinstellt. Klar, sah ich komplett scheiße aus, so wie ich durch die Rubens-Ausstellung gelaufen bin. Die Leute haben mich verstört angeguckt. Aber ich muss es machen, das ist mein Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs um ein anderes Bild der Frau.
Seid ihr Feministinnen?
Cosima: Was bedeutet Feminismus heute überhaupt noch? Ich bin für die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir sagen einfach mutig unsere Meinung. Und das kann bedeuten, dass wir uns hinstellen und sagen: "Hier, das ist wieder eine Ausstellung, in der nur Männer sind." Netzfeminismus ist ein noch schwierigeres Wort, das mittlerweile total abgedroschen ist.
Warum?
Cosima: Der Feminismus allgemein ist abgedroschen. Es ist Mode, Feministin zu sein. Es reicht aber nicht, ein T-Shirt anzuziehen, auf dem steht: I am a feminist.
Sonja: Der Netzfeminismus in der Kunst ist mir zu süß. Für mich hat Feminismus mit Radikalität zu tun und das sehe ich beim Netzfeminismus nicht. Wir sind vielleicht eine Gegenposition und ein Beispiel dafür, was Feminismus auch sein kann. Ich sehe uns nicht bei den Pop-Feministinnen.
Cosima: Wir wollen anecken. Wir wollen die Leute herausfordern. Und ja, dann sagen vielleicht einige: "Och, diese KVTV-Weiber, die nerven!" Wenn sich Leute an uns stören, haben wir etwas erreicht.
Mit eurem Namen Kulturvotzen wollt ihr auch anecken?
Sonja: Ich bin Teil der Band Die Römischen Votzen, uns gibt es seit 2014. Die Kulturvotzen gibt es seit 2017. Ich habe oft andere Frauen als Votze gedisst. Über Frauen im Kulturbetrieb habe ich mich auch aufgeregt – fein gekleidet, mit Brille und unterwürfigem Lächeln. Das Wort Kulturvotze habe ich als Beleidigung benutzt. Und irgendwann dachte ich: "Boah, ich bin selber eine Kulturvotze! Ich unterscheide mich nicht von den anderen Frauen, ich stecke ja selbst in diesem Betrieb und mische mit."