Die Sphären der bildenden Kunst und des Films mögen heute größtenteils separiert voneinander existieren, doch die Trennung ist keineswegs naturgegeben. Eine Ahnung davon vermittelte neulich Želimir Žilnik im Frankfurter Museum für Moderne Kunst (MMK): Seine Videoarbeit "Hausordnung" ist gerade als großer Gewinn in der Ausstellung "There is no there there" zu sehen. Zum Eröffnungsrundgang schwärmte der Filmemacher und bekannteste Vertreter des jugoslawischen, regimekritischen "Schwarzen Films" aber noch von einem ganz anderen Aufführungsort – den Kurzfilmtagen in Oberhausen: Die hält er, der damals politisch-künstlerische Exilant, als Ort der Freiheit und des Experiments in Erinnerung.
Das alljährliche Treffen im Ruhrgebiet war ohnehin ein ungewöhnliches Ereignis in der Nachkriegs-BRD: 1962 proklamierten hier 26 Filmemacher zur Pressekonferenz mit dem Titel "Papas Kino ist tot" das sogenannte Oberhausener Manifest: einen Abgesang auf das bisherige, oft biedere Filmgeschehen und eine Forderung nach mehr künstlerischer Unabhängigkeit.
In dieser ersten Maiwoche feiert das älteste Kurzfilmfestival der Welt seinen 70. Geburtstag. Der wird nicht so sehr Retrospektive werden als eine Fortführung des bewährten Konzepts eines formal wie inhaltlich auf Großzügigkeit setzenden Programms: Mit dem deutschen und dem internationalen Wettbewerb, Kinder- und Jugendfilmen, einem eigenen NRW-Wettbewerb, der selbsterklärenden Reihe "Übersehene Filme", den Einminütern.
Manche Filmrolle wird kürzer als gedacht
Auch dem Kulturformat des Musikvideos widmet man sich in Oberhausen ausführlich, im eigenen Wettbewerb sind unter anderem Arbeiten von Andrew Norman Wilson, Botsu_NGS, Clara Balzary, Valentine Petit und Utku Önal zu sehen. Welche Lücke hier klafft, merkt man dem Programm freilich erstmal nicht an. Veranstaltungen und Aufführungen gibt es reichlich. Doch wird manche Filmrolle kürzer ausfallen, als sie ursprünglich angedacht war.
Im Jahr seines 70. Bestehens trifft das Filmfestival eine Boykott-Welle nie gekannten Ausmaßes. Die lässt sich oberflächlich unter dem Schlagwort "Nahost-Konflikt" subsumieren, aber kaum hinreichend beschreiben. Unmittelbar nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel kam es zu Freudenfeiern auf den Straßen, auch in Berlin. Festivaldirektor Lars Henrik Gass, der seit 1997 die Kurzfilmtage leitet, schrieb entsetzt einen Facebook-Beitrag – und dies offenbar in einer Kurzschlussreaktion unter dem offiziellen Account des Festivals: "Zeigt der Welt, dass die Neuköllner Hamasfreunde und Judenhasser in der Minderheit sind," endete das Posting. Der Gaza-Krieg war zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen.
Die Empörung über den Beitrag überstieg rasch den Schock über die tatsächlichen Ereignisse. Gass wurde als Rassist bezeichnet, erste Filmemacher zogen ihre Arbeiten zurück. Der Festivalleiter betonte, mit seinem Beitrag ausschließlich die gemeint zu haben, die das Morden und Vergewaltigen bejubelten. Dies alles vor dem verheerenden Krieg, der daraufhin folgte.
Keine Ersatzveranstaltung für Politik
Sechs Monate danach hat sich die Lage bekanntlich sowohl für die Menschen in Gaza als auch für die noch immer verschleppten israelischen Geiseln dramatisch verschlimmert. Dabei schien dieser Krieg von Beginn an stärker als andere Konflikte ein mächtiges Vehikel für offenbar schon lange gärende Ressentiments zu sein. Die betonte Sanftfüßigkeit, die in den letzten Jahren im Kulturbetrieb vorherrschte, war auch hier einer überraschend harten Eindeutigkeit gewichen. In den kommenden Monaten erreichten die Kurzfilmtage weitere Absagen. Auch ein palästinensischer Regisseur, auf den man sich in Oberhausen gefreut hatte, ist nicht mehr dabei – im vergangenen Jahr hatte es noch eine eigene Reihe für palästinensische Filmemacher gegeben.
Lars Henrik Gass möchte die Kurzfilmtage nicht zu einer Ersatzveranstaltung für Politik werden lassen. Nachvollziehbar, denn damit würde man weder den Werken noch der tatsächlichen Lage vor Ort gerecht. Die Podien sind nicht mit den einhelligen Schlagworten betitelt, es soll aber auch kein Ausweichen vor unangenehmen Fragestellungen geben. Das Filmfestival unternimmt den Versuch, einen Schritt zurückzutreten und die größeren ökonomischen wie ideologischen Zusammenhänge anzutasten, die sich derzeit nicht nur im Kulturbetrieb Bahn brechen.
"Kritik, Widerspruch – und sei es nur als Empathie mit Opfern – wird als Störung, als Beleidigung empfunden. Ich finde das beunruhigend," erklärte der Festivaldirektor vergangene Woche der "taz". "Wenn nur noch Kulturkonvente bestehen, die gemeinsame Gesinnungen teilen, haben wir ein echtes Problem. Da möchte ich nicht enden." Zum Auftakt diskutiert man auf dem Filmfestival die Sehnsucht nach Widerspruchsfreiheit.
Wozu Festivals?
Eigentlich wäre dies eine gute Gelegenheit, um zu streiten und, womöglich, gerade in der Uneinigkeit noch irgendeinen common ground auszumachen. Nur gibt es offenbar viele, die daran kein Interesse haben. Oder, wenn man Gass folgt, sich zumindest nicht mehr trauen – womöglich aus Angst, missverstanden zu werden, sich die im frei-prekären Betrieb so essenziellen Kontakte zu verbauen.
Tatsächlich steht Oberhausen anders als viele primär kommerziell ausgerichtete Filmfestivals für eine Diskursfreude, die sich wieder mit Tagungen, Podiumsdiskussionen und Workshops zeigen soll. Der Berliner Künstler Leon Kahane leitet in diesem Jahr das experimentelle Oberhausener Seminar, in dem die kuratorischen und technischen Infrastrukturen, in denen Bewegtbilder zirkulieren, und die Parameter, nach denen sie analysiert werden, von einer Gruppe junger Künstlerinnen, Filmemacher, Kuratoren und Wissenschaftlerinnen untersucht werden.
"Wozu Festivals?" lautet eine weitere Veranstaltung, die dieser Tage programmatisch anklingt. Nicht nur inhaltlich, sondern auch in Bezug auf den konkret bedrohten Ort Kino. Die Kurzfilmtage haben unzähligen Regisseuren, Filmkünstlerinnen und Künstlern eine erste Bühne geboten. Manche hat es später nach Hollywood, andere eher in den Kunstbetrieb verschlagen. Wieder andere stehen zwischen beiden Polen, die in Wahrheit ja vor allem unterschiedlichen ökonomischen Verwertungsmodellen geschuldet sind. Eine ganze Avantgarde an Experimentalfilm- und Undergroundkünstlern, von Kenneth Anger über Maya Deren bis Stan Brakhage, zeigte ihre Werke zunächst nicht in den White Cubes dieser Welt, sondern im Kino.
Utopie der analogen Kommunikatuion
In Oberhausen kann man an diese gemeinsame Vergangenheit erinnert werden. Nicht nur, weil sich gerade Film- und Videoarbeiten im höherstelligen Minutenbereich oft besser im Kinosaal schauen lassen (aufmerksamkeitsökonomisch schlägt er fast jede Ausstellungshalle). Im Verein für aktuelle Kunst präsentieren die Kurzfilmtage in diesem Jahr zudem wieder explizit medien- und filmkünstlerische Arbeiten.
Tintin Patrones Performance bringt Livemusik mit Projektionen aus der Roboterziege zusammen, die einen Kommentar auf das idealisierte Landleben bereithält; Ralf Baecker präsentiert einen elektrochemischen Versuchsaufbau mit Flüssigmetallen, um Künstliches neu – also auch als Materie – zu denken. Und Christian Faubels Performance "Songs from My Analogue Utopia" findet in Feedbackschleifen, die Menschen und Natur im Zusammenspiel synchronisieren, ein utopisches Moment – das der analogen Kommunikation.