Rückblick auf das Kunstmarktjahr

Ikonen gehen immer

Die Erwartungen waren nicht besonders groß, die Bilanz dann tatsächlich ernüchternd: Die multiple Krise machte in diesem Jahr auch dem Kunstmarkt zu schaffen. Große Namen laufen trotzdem weiter gut

Wie es dem Kunstmarkt geht, ist notorisch schwierig herauszufinden – Galerien sind diskret, lassen sich ungern in ihre Karten beziehungsweise Preise gucken und geben den entscheidenden Discount lieber so, dass die anderen Sammler es nicht mitbekommen. Und sollte es Umsatzeinbrüche geben, fegt man still die Krümel unter den Tisch. Wenn man aber die Stimmung auf den großen Messen in diesem Jahr von Basel über Paris bis London zusammenfasst, kommt wahrscheinlich am häufigsten das Adjektiv "verhalten" heraus. Was angesichts der multiplen Krise in diesem Jahr und der Unsicherheit in allen Märkten ja auch kein Wunder ist.

Beim Auktionsmarkt ist die Lage leichter zu beurteilen, denn die Ergebnisse sind öffentlich. Und pünktlich zum Jahresende hat die Onlineplattform Artsy in ihrem "Art Market Recap 2023" die Zahlen zusammengerechnet. Das Ergebnis klingt zumindest für das Topsegment des Marktes ernüchternd: Die Umsätze haben sich fast halbiert. Während die 100 teuersten Lose auf dem internationalen Auktionsmarkt im Boomjahr 2022 rund 4,1 Milliarden US-Dollar einbrachten, fiel die Summe im Jahr 2023 auf 2,4 Milliarden US-Dollar.

Das teuerste Werk war Pablo Picassos "Femme A La Montre" mit knapp 140 Millionen US-Dollar, es folgten die "Dame mit Fächer" von Gustav Klimt mit gut 107 Millionen US-Dollar, "Le Bassin au Numphéas" von Claude Monet mit 74 Millionen US-Dollar und, als teuerster Künstler des 20. Jahrhunderts, Jean-Michel Basquiat mit "El Gran Espectaculo" für 67 Millionen US-Dollar. Auch die restlichen Namen aus den Top Ten sind wohlbekannt: Francis Bacon, Mark Rothko, Wassily Kandinsky, Henri Rousseau. Überraschend in der Reihe ist hier allenfalls der US-amerikanische Maler Richard Diebenkorn, dessen Werk "Recollections of a Visit to Leningrad" mit gut 46 Millionen US-Dollar das mit Abstand am teuersten verkaufte Werk dieses 1993 verstorbenen Malers war.

Wo war Warhol?

Wer in diesem Jahr in der Reihe der zehn Top-Lose fehlte, ist Andy Warhol. 2022 hatte sein Bild "Shot Sage Blue Marilyn" (1964), offensiv als Ikone des 20. Jahrhunderts vermarktet, mit 195 Millionen Dollar den Jahresrekord gesetzt. In diesem Jahr waren elf Kunstwerke Warhols unter den teuersten 500, in der Summe brachten sie aber weniger als halb so viel ein wie die Marilyn, nämlich 81,4  Millionen US-Dollar. Erfolg im Auktionsmarkt, so die alte Regel, liegt eben nicht nur an der Kaufkraft des Marktes, sondern auch an der Qualität des Angebots. Ikonen gehen immer, darunter wird es schwierig.

Fortgesetzt hat sich auch in diesem Jahr das Phänomen, dass der Markt sich zur Spitze hin konzentriert. Laut Artsy waren die 25 teuersten verkauften Werke zusammengenommen mehr wert als die Werke auf den Rängen 100 bis 500. Und Werke von Frauen sind weiterhin in den Top-Positionen nur sehr selten vertreten. Unter den 50 teuersten Werken auf dem Auktionsmarkt 2023 waren nur drei von Künstlerinnen: Louise Bourgeois, Georgia O’Keeffe und Joan Mitchell, wobei Louise Bourgeois' "Spider" (1996) mit 32,8 Millionen US-Dollar das teuerste Werk war. Aber immerhin: 2022 waren gar keine Frauen in den Top 50 gewesen.

Doch die Daten von Artsy lassen hoffen, dass sich das Geschlechterverhältnis in den kommenden Generationen ausgleichen könnte. Betrachtet man die 50 teuersten Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die nach 1975 geborenen wurden, ändert sich das Verhältnis rasant: 21 stammen von Frauen, 29 von Männern. Und bei der Generation, die 1985 oder später geboren wurden, haben Frauen sogar die Nase vorn: 34 der 50 teuersten Werke stammten von Frauen.

Wie sehr die Kunstszene im jüngeren Segment mittlerweile in verschiedene Szenen zersplittert ist, zeigt im Übrigen die Statistik der "Follower" einzelner Künstlerinnen und Künstler auf der Plattform. Der Künstler, der 2023 den größten Sprung in der Anzahl der Follower gemacht hat, heißt Bill Braun. Auf der Art Basel kennt ihn niemand, aber ein Video mit seinen Trompe-l’Oeil-Gemälden – die Bilder sehen aus wie nette, dreidimensionale Papiercollagen von Schulkindern, sind aber gemalt – ging auf TikTok viral und machte den 1955 geborenen US-Amerikaner zumindest online zum Star.