Social Media als Galerie

Kunst und TikTok - passt das zusammen?

Offline-Kunst für online: Luisa Stroh (Kanal "Isi_Carolina") hat auf TikTok über 500.000 Follower
Foto: Courtesy Luisa Stroh

Offline-Kunst für online: Luisa Stroh (Kanal "Isi_Carolina") hat auf TikTok über 500.000 Follower

Schnell, snackable, leicht verdaulich: Die Videos auf der Plattform TikTok sind eigentlich das Gegenteil eines Museumsbesuchs. Dafür findet man dort Kunstinfluencer und auch immer mehr Institutionen. Wir haben uns umgesehen

Tanzvideos, Sketche, Rezepte, Beauty-Tutorials, Mitschnitte von Konzerten, Tagesschau-Schnipsel und Outfit-Inspirationen: Die Liste an Video-Formaten, die täglich auf TikTok hochgeladen werden, ließe sich endlos weiterführen. Kein Wunder also, dass es auf der Plattform auch eine eigene Kunst-Community gibt. Zu sehen sind da zum Beispiel "Art-Hack-Videos", in denen erklärt wird, dass sich Pinsel besser in Form halten, wenn man sie mit Conditioner auswäscht, Skizzenbücher durchgeblättert werden oder Zeitraffer-Aufnahmen das Entstehen einer Zeichnung zeigen.

Erst ist da nichts, dann ein paar Striche, noch ein paar mehr, zwischendurch mal kurz etwas wegradieren, und dann sieht man die perfekte Zeichnung einer Katze. Diese Videos haben etwas Befriedigendes, ein stundenlanger Prozess wird in wenigen Sekunden zusammengefasst. Und wisch zum nächsten Video, dort wird auf dem iPad statt auf Papier gezeichnet. Wisch, eine Leinwand. Wisch, Ton wird geformt. Wisch, ineinander verlaufende Farben in Nahaufnahme.

Auf TikTok geht alles schnell, die Musik ist laut, die Pointe kommt schnell, die überdrehten Videos sind oft ein bisschen reizüberflutend. Nichts lädt zum Innehalten ein, es geht immer weiter, immer mehr und mehr und mehr Content. Die App steht im Kontrast zu dem, was die Betrachtung von Kunst so wertvoll machen kann: sich Zeit zu lassen, einen Moment länger hinzusehen, in Details zu versinken. Auf TikTok gibt es diese Momente nicht.

Drei Werke, die besonders stolz machen

Dass der Inhalt der #Art-Videos auf der Plattform im weitesten Sinne etwas mit Kunst zu tun hat, ist auch schon alles, was sie miteinander vereint. Die Mach- oder Gestaltungsart ist in den seltensten Fällen besonders ästhetisch anspruchsvoll; nicht einmal sonderlich kreativ sind die Clips. Wie es für jedes Format auf der App Trends und Vorlagen gibt, existieren diese auch für Kunst-Postings. Zum Beispiel das Format "The Artist - The Art", bei der erst die Künstlerin und dann eines ihrer Werke zu sehen ist. Oder "Drei Bilder, die mich weitermachen lassen" - die Künstlerinnen zeigen dann jeweils drei Werke, auf die sie besonders stolz sind.

Jette Lübbehüsen betreibt seit 12 Jahren unterschiedliche Social-Media-Kanäle, auf denen sie über Kunst und Kreativität spricht. Regelmäßig nimmt sie ihre Follower mit in ihr Atelier und filmt sich beim Malen. Es entstehen vor allem großformatige Bilder mit Schriftzügen wie "Eat more art" oder moderne Stilleben. "Ich zeige meine Malereiprozesse so, wie sie sind, mit Imperfektion, einer realistischen Perspektive, Zeitaufwand und viel Ehrlichkeit", sagt Lübbehüsen über ihren TikTok-Kanal "Jettesart". 

Von "Vorher-Nachher"-Videos halte sie nicht viel. Stattdessen filmt sie ihre Malprozesse an einem Bild häufig über sechs bis acht Wochen in kurzen Clips. Neben diesen praxisnahen Dokumentationen produziert Jette Lübbehusen regelmäßig Videos, die kunsthistorische Themen beleuchten. 

@jettesart realistic art studio day! paint trash-life 3.0 with me (day 4) time so far: 17.5 hours #artstudio #artstudent #art #kunst #painter #realisticart #modernart #contemporaryart ♬ original sound - Jette


"Kurzformate sind toll, um ein erstes Interesse zu wecken", findet sie. Besonders für ein junges Publikum, das von Museen nicht erreicht wird, könne Kunst so überhaupt interessant werden und weniger elitär wirken. "Mein Ziel ist es, als Impulsgeberin zu agieren, damit potenzielle Kunstinteressierte sich erstmal oberflächlich mit Kunst beschäftigen können." 

Zugleich ist TikTok für sie ein Mittel der Selbstvermarktung. "Kunst wird demokratisiert, wenn Aufrufe, Resonanz und Viralität bestimmen, was von vielen Menschen gesehen wird und was nicht", sagt Lübbehüsen, die auf TikTok an die 75.000 Follower hat. Auf Instagram, wo ihr mehr als drei mal so viele Menschen folgen, werden ihre Inhalte nach eigener Aussage 1,5-Millionen Mal angeschaut. Der Content, den sie auf beiden Plattformen hochlädt, ist der gleiche. 

"Ich habe das Gefühl, dass es zu früh ist, um die Auswirkungen von TikTok auf die Kunstwelt zu messen", sagt dagegen Nicolas Nahab, Pariser Direktor der Galerien Mendes Wood. Statt einer direkten Veränderung auf dem Kunstmarkt beobachtet er vor allem, dass die App eine Möglichkeit bietet, ein jüngeres Publikum in Galerien zu locken. "Im Moment hat sich Instagram noch als größere Gelegenheit für Galerien erwiesen", gibt Nahab an. Auf der Plattform des Mutterkonzerns Meta hat Mendes Wood über 120.000 Follower, einen TikTok-Kanal betreibt die Galerie nicht.

Heute Follower, morgen Käufer 

Über Social Media können Menschen selbst bestimmen, ob sie Künstler sind - und was Kunst überhaupt ist. Statt über Galeristen oder Akademien bekannt zu werden, geben sie sich ihre Bedeutung einfach selbst. Auch die Vermarktung ihrer Kunst und den Verkauf von Drucken oder Postern nehmen viele junge Menschen selbst in die Hand. Sie sind nicht darauf angewiesen, von Kunst-Kennern entdeckt zu werden oder beim Verkauf Prozente an Galeristen abzutreten - sie müssen Content schaffen, der viral geht.

"Die junge Generation von heute wird zu den Käufern von morgen, die Kunstwerke für ihre Wohnungen und Häuser haben wollen. Über TikTok kann man eine Marke aufbauen, die nicht nur die Kunst zeigt, sondern auch die Persönlichkeit dahinter, die wächst und sich verändert, sagt Luisa Stroh. Ihren TikTok-Kanal "Isi_carolina", auf dem sie mittlerweile fast 550.000 Follower hat, startete sie während der Corona-Pandemie. I

"Ich habe schon immer gemalt, war aber zu schüchtern, um es online zu zeigen. Während des Lockdowns hatte ich viel Zeit und begann, die ersten Prozessvideos zu erstellen", erzählt sie über den Start ihres Projekts. Sie zeigt im Zeitraffer, wie sie Farbe auf Leinwände spachtelt, filmt ihre aktuellen Bilder und Kunstdrucke. Meistens malt sie figurativ, zuletzt präsentierte sie auf ihrem Account eine Reihe silbern-glänzender Gemälde von Frauenkörpern. 

Klassische Kunstszene "ein wenig veraltet"

"Mein Ziel war es immer, andere dazu zu motivieren, Neues auszuprobieren", sagt Luisa Stroh. Besonders freue sie sich darüber, wenn ihr Follower schreiben, dass sie sie zum Malen motiviert habe. Ihr Erfolg auf der App ist aber auch gut für die Eigenvermarktung. Sie nutze ihre Reichweite auch, "um neue Kunden anzusprechen und über aktuelle Projekte und Ideen wie Ausstellungen und neue Produkte zu berichten". 

Die "klassische Kunstszene", damit meint Luisa Stroh Galerien und Kuratoren, empfindet sie als streng und "ein wenig veraltet". Sie vergleicht die Kunst- mit der Musikbranche: "Durch YouTube und andere Plattformen konnten Musiker auch ohne Plattenverträge bekannt werden." Ähnliches passiert jetzt mit Künstlerinnen und Künstlern. "Ich glaube, dass die Kunstszene sich noch im Wandel befindet und sich öffnen muss", sagt sie. 


Aber nicht nur für Künstlerinnen und Künstler ist TikTok eine Plattform für eine Mischung aus Self-Promotion, Tutorial-Videos zu speziellen Techniken und Kunst-Unterhaltung. Auch Museen versuchen, über die App ein junges Publikum anzusprechen. Insbesondere während der Zeit der Corona-Pandemie waren sie dafür auf digitale Präsenz angewiesen. Viele Museen begannen zu dieser Zeit, auf der chinesischen App kurze Einblicke in aktuelle Ausstellungen, einfache Erklär-Videos oder humoristische Clips hochzuladen. Sie setzen auf Klamauk und schnelle Schnitte, auf TikTok treten die sonst so seriös-ruhigen Museen mal ganz anders auf als gewohnt. Besonders erfolgreich sind dabei das Metropolitan Museum in New York (über 300.000 Follower) und das Amsterdamer Rijksmuseum (über 200.000 Follower). 

Verglichen mit den großen Stars der Plattform, die oft mehrere Millionen Fans haben, schneiden Museen aber eher mäßig ab. Auch deshalb setzen viele Häuser auf Kooperationen mit Influencern, die bereits eine Reichweite aufgebaut haben. Jette Lübbehüsen ist eine von ihnen. Für eines ihrer erfolgreichsten Formate, "Famous Paintings as Outfits", in dem sie sich in Kleidung zeigt, die ästhetisch von Kunstwerken inspiriert ist, kooperiert sie mit dem Van Gogh Museum.

2021 rief TikTok selbst das Förderprogramm #CreatorsForDiversity ins Leben, bei der rund 50 Kulturinstitutionen, darunter Bibliotheken, Kinos und Museen, von der Plattform dabei unterstützt wurden, die Auseinandersetzung mit den Themen Diversität und Kultur auf der Plattform zu fördern. Mit diesem Projekt startete auch der Account des Kunst- und Medienzentrums Karlsruhe (ZKM), der derzeit knapp 10.000 Follower hat. Geleitet wird er von der Vermittlungsstelle des Museums, für die Produktion der Inhalte arbeiten sie mit der hausinternen Videoabteilung zusammen. 

@metmuseum The Queens have arrived 🏎️💨🏁   A special visit from the latest cast of RuPaul’s Drag Race, who explored The Costume Institute’s “Women Dressing Women” exhibition. Thank you ladies, you better work!   #DragRace #RPDR #CostumeInstitute ♬ Come as You Phonk - lofi'chield


"Unsere Beiträge sind spielerisch und zugänglich – eben ganz dem TikTok-Charakter entsprechend“, erzählen Lilli Roser, Redakteurin des ZKM-Accounts, und Helga Huskamp, geschäftsführende Vorständin des Museums. Inhalte mit Humor und Leichtigkeit zu kreieren, sei für TikTok elementar. Neben Videos aus dem Museums-Café und den Ausstellungsräumen finden sich auf dem Kanal auch Behind-The-Scenes-Aufnahmen. "Dadurch werden die Videos viel authentischer und der klassische Do-it-Yourself-Charakter von TikToks bleibt erhalten", so Roser und Huskamp. Lilli Roser tritt in vielen Clips als Host auf. "Für die User ist sie das vertraute Gesicht des ZKM auf TikTok", erklärt Helga Huskamp.

Wie auch Luisa Stroh und Jette Lübbehüsen beschreiben Roser und Huskamp den Community-Aspekt als besonders wichtig für ihren TikTok-Kanal. Aber um mit ihrem Content genug Menschen zu erreichen, müssen sie sich an die Spielregeln der Plattform halten, um ausgespielt und angezeigt zu werden. In ihrer Machtart unterscheiden sich die Videos der Museen oder Künstlerinnen nicht elementar voneinander. Die Ästhetik der schnell mal selbstgerechten Videos, hinter denen oft viel Arbeit steckt, färbt zuweilen auch auf die Inhalte ab. Viele TikToks suggerieren: Kunst, das kannst du auch. 

TikTok kann ein erster Weg sein, das Interesse junger Menschen für das Thema zu wecken. Kunst soll leicht verstehbar sein, vom elitären Sockel geholt und erreichbar für alle. Die Lücke zwischen diesen Zielen und Kunstvermittlung in der realen Welt bleibt aber groß - in gewisser Weise ist Kunst auf TikTok anzusehen das Gegenteil von einem Museumsbesuch. 

@zkmkarlsruhe Ihr wollt mehr über Medienkunst lernen? Dann folgt unserem Kanal 🎥⚡️🎮🤖 #lernenmittiktok #medienkunst #wissentogo #zkm #videokunst ♬ Waterlogged Glasses - DJ BAI