Spätestens seit Covid-19 haben wir das zerstörerische Potenzial von unsichtbaren Luftpartikeln erkannt, und wenn ständig von der Allgegenwart der Aerosole die Rede ist, atmet es sich längst nicht mehr so frei wie vorher. Da kommt eine Geruchsforscherin an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft wie gerufen, um unsere neue Empfindsamkeit gegenüber Geruchsmolekülen zu schärfen. Die Norwegerin Sissel Tolaas sammelt und kartiert seit über 25 Jahren Düfte aus aller Welt. Sie kooperiert mit Universitäten, Forschungsinstituten und Unternehmen wie Balenciaga, Tesla oder Adidas.
In ihrem Berliner Labor hat sie bereits mehr als 7000 Gerüche gehortet und einige davon auf der Biennale von Venedig oder im MoMA in New York ausgestellt. Ihre bisher größte Soloschau "RE________" eröffnet sie im Eingang des Astrup Fearnley Museums in Oslo mit einer Installation aus sechs Waschbecken, die einen Kreis bilden. Aus den Wasserhähnen fließt das Ozeanwasser, das man durch die Fensterfront des Renzo-Piano-Baus am Oslofjord auch sehen kann, auf einem blassgelben Stück Seife steht der Name Sissel Tolaas. Wäscht man sich die Hände, riecht man ihren Körperduft auf seiner Haut – die Intimität ist verstörend, denn so nah möchte man einer Künstlerin eigentlich gar nicht kommen. Genau diese Verunsicherung strebt Tolaas mit ihrer Apologie des Riechorgans an. Was bedeutet es, den Geruchssinn zu verlieren? Lähmt es die Orientierung, wenn zu viele Gerüche auf das Gehirn einwirken?
Die ersten Antworten bekommt man gleich am Ticketschalter, statt einer Eintrittskarte wird hier ein Kunstwerk in der Gestalt einer Ampulle ausgehändigt, die nach dem Inneren einer Brieftasche mit Münzen und Geldscheinen riecht. Der "Smell of money" lässt sich noch steigern, wenn man die Eintrittskarte ein zweites Mal für die am Kai schwimmenden Sauna "Skarven" gegenüber dem Museum benutzt – neben intensivem Geldgeruch beim Aufguss bekommt man hier auch noch die exklusiven Ausdünstungen der lokalen Schwitzenthusiasten als Zugabe.
Lachs, Eis und ein Hauch Mundgeruch
Zurück in der großen Ausstellungshalle taucht man in eine launische Riechlandschaft ein, mit der Nase voran an Vulkansteinen, Laborgläsern und Rissen in Wänden, die nach Muskat, Zitrus, aber auch nassem Schnee oder Asphalt riechen. Manch eine "Situation" überschreitet die Grenze zum Gestank, faule Algen etwa oder ein ausgeprägter Hauch von Mundgeruch. Eine Etage höher schmelzen in der Dunkelheit ausgeleuchtete Eisblöcke meditativ vor sich hin und geben allmählich weitere Gerüche frei.
Den Soundtrack aus Tropfen und dem Fließen des Wassers in der darunter liegenden Wanne im Ohr, lässt man sich auf der nächsten Sitzgelegenheit von plötzlich aufsteigenden Aromen berieseln (in einem der Räume riecht es in Anspielung auf die norwegische Lachsindustrie durchdringend nach Fisch). Oder man parfümiert sich an einer der Außenwände des Museums mit Angstschweiß von soziophoben und paranoiden Männern.
Auch wenn sich bei diesem Übertragungsexperiment statt Stresshormonen nur Ekel breitmacht, möchte man auch diese Konfrontation mit der eigenen Angstlust vor dem nächsten Rezeptoren-Übergriff nicht missen.
Schließlich sind in Zeiten von überpräsenter Desinfektion und sozialer Distanzierung selbst die übelsten Ausdünstungen Balsam für den gestörten Dialog zwischen dem Körper und den Sinnen. Tolaas schafft es tatsächlich, das Geruchsgedächtnis wieder zu aktivieren – inklusive all der Emotionen, die uns helfen, in der Welt nicht die Fährte zu verlieren.