Yoko Ono

"Kunst ist zu elitär geworden"

Frau Ono, was erwartet die Besucher in Berlin?
Ich will auf die Gewalt hinweisen, die überall in der Welt passiert. Ich bitte die Menschen, die in die Schau kommen, um ein Zeugnis einer persönlichen Gewalterfahrung: Fotos, Texte, die an der Wand angebracht werden. Im Obergeschoss wird es – als Gegengewicht – einen Raum geben, in dem sie einfach lächeln sollen. Daraus entsteht dann ein Film. Ich hatte mal ein ähnliches Projekt mit einer Website, an die man sein Lächeln schicken konnte. Früher dachte ich: Lächeln, das ist doch albern. Aber einmal habe ich ungefähr 200 Fotos dieser Gesichter gesehen – und fing an zu weinen. Es hat mich berührt, dass die Leute immer noch lächeln, obwohl so viel falsch läuft auf diesem Planeten. 

Schon in den frühen 70ern entwickelten Sie Arbeiten, bei denen die Beteiligung des Publikums zentral war, die berühmten „in­struction pieces“. Warum ist Ihnen das so wichtig?
Jeder hat eine kreative Seite, jeder ist ein Künstler. Aber normalerweise sind die Leute zu eingeschüchtert. Ich bringe diese Saite zum Klingen. Es erzeugt einen viel tieferen Eindruck, wenn die Menschen nicht nur das Werk anschauen, sondern sich daran beteiligen. Letztlich ist es für Künstler normal, etwas zu präsentieren, das die Leute bewegen soll – nur bei diesen Arbeiten berührt es sie tiefer. Kunst ist zu elitär geworden. Sie gehört den Leuten. Es gibt keine Grenze zwischen Künstlern und den anderen. Wenn uns etwas berührt, drücken wir alle etwas Künstlerisches aus.
 
Eine Ihrer beeindruckendsten frühen Performances ist das „Cut Piece“ von 1965: Sie setzten sich auf eine Bühne, gaben dem Publikum Scheren und forderten es auf, Ihre Kleider zu zerschneiden, bis die nackte Haut zum Vorschein kam. Sie haben das Stück 2003 wiederholt – zumindest auf den Videos scheint die Atmosphäre da sehr anders. 
Es ging mir bei der ursprünglichen Performance darum, dass die Menschen eine tiefe Erfahrung machen und sich daran erinnern: „Ich war gewalttätig“, oder: „Ich war friedlich.“ Sie hatten die Wahl. Für mich stellte das eine Furcht einflößende Situation dar. Auch in Paris hatte ich keinerlei Schutz. Aber ich fand, es war Zeit, den Leuten zu vertrauen. Sie wussten, worum es mir geht. Um den Weltfrieden. 1965 hat man über so etwas noch nicht nachgedacht.

Zurzeit gibt es ja eine große Renaissance der Performance und eine Diskussion darüber, ob und wie man historische Aktionen wiederholen soll.
Ja, ich weiß, dass Performance zurückkommt. Besser gesagt: Sie ist heute größer, als sie je war. Weil sie eine großartige Möglichkeit bedeutet, mit anderen zu kommunizieren. Zu jüngeren solcher Künstler pflege ich aber nicht viel Kontakt. Manchmal bekomme ich E-Mails von Leuten, die mein „Cut Piece“ wiederholen wollen. Ich entmutige sie nicht. Aber das Statement wurde schon gemacht. 

Gehört Performance heute ins Museum? 
Das Museum bildet einfach einen weiteren Raum für alles. Malerei zum Beispiel muss nicht dorthin, findet jedoch eine geeignete Wand. Genauso verhält es sich mit Performance. Man kann sie in U-Bahn-Stationen aufführen oder in öffentlichen Toiletten – einerlei. Der Mensch ist ein Tier, das performen kann, Performance ist ein Teil von uns. Ich ermutige immer zum Tanz statt zum Marsch. Das ergibt einen besseren Rhythmus fürs Leben. 

Ihre Präsenz im Kunstbetrieb ist in den letzten Jahren merklich gestiegen – es geht mehr denn je um die Künstlerin Yoko Ono. 
Ja, ich bekomme immer mehr Einladungen von Museen und Galerien und bin sehr glücklich darüber. Wenn man gebeten wird, etwas zu tun, stimuliert das automatisch die Kreativität und man produziert neue Werke. 

Wie viel Ihrer Zeit widmen Sie der Kunst?
Mein ganzes Leben ist meiner Arbeit gewidmet, und das ist manchmal Musik, manchmal Kunst, manchmal Film, ein Gedicht – eine Mischung. 

Viele sehr junge Künstler tun das heute: in vielen Bereichen und Medien arbeiten. 
So war ich schon immer, das kam ganz natürlich. 

Sie bezeichnen sich als Feministin. Viele Frauen, auch solche, die sich emanzipiert geben, haben heute den Feminismus für einen gewissen "Sex-and-the-City"-Narzissmus eingetauscht: Erfolg im Job und der richtigen Nagellack reichen. Glauben Sie, dass die Frauen heute auf dem richtigen Weg sind?
Viele Leute verstehen heute nicht, dass die Frauenfrage immer noch wichtig ist. In einigen westlichen Ländern mag die Situation in Ordnung sein. Aber es gibt Frauen in anderen Teilen der Welt, die fürchterlich leiden. Die Arbeit ist nicht vorbei. 

Feminismus braucht eine globale Perspektive?
Genau. Und wir sollten nicht nur versuchen, gleich zu sein wie Männer. Warum denn auch? Wir müssen lieber daran arbeiten, uns voll auszudrücken. Und vielleicht haben wir ja etwas, das Männer nicht haben, und wir können der Welt damit helfen. 

Was könnte das sein?
Frauen haben eine unglaubliche Intuition und eine große Fähigkeit zum Überleben. Wir schaffen die menschliche Rasse, wir bekommen die Kinder, deshalb haben wir diese Fähigkeiten. Und sollten wir das nicht einsetzen, um die Welt zu retten?

Damit sind wir bei der direkten politischen Arbeit. 
Ja. Ich bin zur Zeit ständig unterwegs, um mein Projekt „Imagine Peace“ zu vertreten. Es ist fast wie eine Meditation. Es geht darum, dass die Menschen eine friedliche Welt visualisieren. Imagination ist eine starke Kraft, sie hat die Macht, die Zukunft zu beeinflussen. Wer sich den Frieden vorstellt, kann nicht töten. Als ich 70 wurde, dachte ich: Ich muss mich beeilen, ich weiß ja nicht, wie lange ich noch leben werde. Ich bin in viele Länder gereist und werde noch viele andere besuchen, um die Idee des "Imagine Piece" zu verbreiten. 

Haunch of Venison, Berlin, 10. September bis 13. November