Als Herbert Hoffmann 1961 sein Tattoo-Studio an der Hamburger Reeperbahn eröffnete, war das Bilderstechen noch kein Mainstream. Hoffmann selbst, 1919 in Pommern geboren, hatte seine ersten Tattoos während der Kriegsgefangenschaft in Riga gesehen. Seinen Körper in ein Kunstwerk zu verwandeln wurde zu seiner Obsession – die er in den nächsten Jahrzehnten mit Kunden aus allen Gesellschaftsschichten teilte.
Die fertige Körperkunst hielt er mit seiner Schwarz-Weiß-Kamera fest. Mittlerweile wird der fotografische Nachlass Hoffmanns, der 2010 in der Schweiz verstarb, von der Galerie Gebrüder Lehmann vertreten.
Ein klassischer outsider artist? Die Ausstellung in der Kunsthalle St. Gallen, die den bislang größten institutionellen Überblick über Hoffmanns Werk bietet, spricht eine andere Sprache. Die Porträts sind mit großer formaler Sorgfalt und Ernsthaftigkeit inszeniert. Es entsteht das Bild einer Subkultur, die in der schwulen Szene und bei den Seeleuten und Hafenarbeitern ihre Wurzeln hat, aber weit darüber hinausgeht.
Wie weit, zeigt sich in Hoffmanns Karteikartenarchiv, das in Vitrinen den größeren Porträtabzügen zur Seite gestellt ist und die eigentliche Sensation dieser charmanten Ausstellung darstellt. Zu jedem Kunden, der in sein Studio kam, legte Hoffmann eine solche Kartei an, mit einer eher informellen Fotografie des Tätowierten und einer akribisch mit Schreibmaschine geschriebenen Kurzbiografie.
So bekommen die Körper und Gesichter überraschend eine Geschichte: der Studienrat, der sich beharrlich zum Gesamtkunstwerk umformen lässt. Der Beamte, dessen Ganzkörpertattoos tagsüber unter dem weißen Hemd verschwinden. Der Adlige aus alter Familie, das japanische schwule Paar, der Beinamputierte. Sie alle werden in Hoffmanns Kurzbeschreibungen lebendig – und in der Form des Archivs entfaltet sich ein ganzer Gesellschaftsroman.