Zum Empfang in Odessa gibt es zwei Briefmarken. Der ukrainische Kulturminister Olexandr Tkatschenko schenkt sie seiner deutschen Kollegin, Kulturstaatsministerin Claudia Roth, zum Auftakt ihres zweitägigen Besuchs in der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Das erste Motiv zeigt einen Soldaten an Land, im Hintergrund die Silhouette des gesunkenen Kriegsschiffes "Moskwa" der russischen Schwarzmeerflotte. In der zweiten Variante ist das Schiff verschwunden. Der Soldat streckt einen Mittelfinger in die Höhe. "Fuck off, Schwarzmeerflotte!", übersetzt Roth die Symbolik zur Freude Tkatschenkos.
Das Geschenk macht die doppelte Bedeutung Odessas deutlich. Die ukrainische Millionenstadt ist jenseits von Kriegszeiten quirlige Kulturmetropole, mit ihrem Hafen ist sie auch ein Ort von enormer strategischer Bedeutung. Der wichtigste Umschlagplatz für den Seeweg ist von ukrainischen Minen und russischer Marine blockiert. In den Silos lagern etwa 20 Millionen Tonnen Getreide, die nicht verschifft werden können, während in einigen Gebieten der Welt neue Hungersnöte erwartet werden.
Roth blickt an der Potemkinschen Treppe auf diesen Hafen. Die Stufen sind das Wahrzeichen Odessas, bekannt geworden auch durch Sergei Eisensteins Film "Panzerkreuzer Potemkin" von 1925 mit dem die Stufen hinabrollenden Kinderwagen. Wo sich sonst Massen von Touristen tummeln, versperrt jetzt Stacheldraht den stufigen Weg vom Hafen zur Altstadt.
Am oberen Ende steht die Statue des ehemaligen Gouverneurs Richelieu. Sie ist nicht zu sehen. Ein riesiger Haufen von Sandsäcken schützt die Figur vor Angriffen. An jeder Ecke finden sich hier solche Schutzvorkehrungen.
"Wo sind die Kunstwerke?"
Tkatschenko und Bürgermeister Hennadij Truchanow verschaffen der Kulturstaatsministerin einen Überblick. Museen sind geschlossen, Theater verbarrikadiert, Fenster gegen die Druckwellen von Explosionen mit sich kreuzenden Klebestreifen verstärkt. "Wo sind die Kunstwerke?", fragt Roth vor einem der Gebäude. "In Sicherheit", sagt Tkatschenko, genauere Angaben will er nicht machen. Hier ist alles sicherheitsrelevant.
"In Odessa können wir sehen, was es bedeutet, wenn Kultur bewusst zerstört wird", sagt Roth ihren ukrainischen Begleitern. Zerstörung von Kunst und Kultur sei auch eine Waffe. "Krieg gegen die Kultur ist auch ein Krieg gegen Demokratie", sagt Roth. "Wenn Kultur zerstört ist, hat Demokratie keine Stimme mehr."
Tkatschenko berichtet von 375 Kulturstätten, die seit Beginn des Angriffskrieges von Russland in der Ukraine zerstört oder beschädigt worden seien. Kirchen, Theater, Museen, Konservatorien, Musikakademien, Büchereien. Die Liste ist lang. Internationale Experten sollen bei Wiederaufbau und Reparaturen helfen.
In einer Sache sichert Roth sofort ihren Beistand zu. Die Bundesregierung will Odessa bei der Bewerbung zum Unesco-Welterbe helfen. "Deutschland unterstützt diese Bewerbung", versichert die Kulturstaatsministerin. Die Stadt sei offensichtlich in einer Notsituation, überall sei zu sehen, wie Kunstwerke vor den Angriffen beschützt würden. "Die ukrainische Regierung ist nicht allein", sagt Roth. Sie wolle sich auch bei ihren Kolleginnen und Kollegen anderer Länder für die Bewerbung Odessas stark machen.