Ludwig Forum, Aachen

Kult um das Banale

Die Leinwand als Schlachtfeld zu betrachten, lag ihnen nicht. Vom „Ausdruckstanz mit Farbe“ nahmen sie Abstand. Als den wilden Männern der Nachkriegsabstraktion Anfang der 70er-Jahre die politisierten Kopisten des Hier und Jetzt folgten, lief der Kult um das Banale zur Hochform auf. Der Lebensstil der Mittelklasse mit seinen öden Einkaufszentren und Reklametafeln war auf einmal bildtauglich. Neben der Pop-Art fand die amerikanische Prägung der detailverliebten Wirklichkeitsfetischisten früh Einzug in die Sammlung von Peter und Irene Ludwig.

Inzwischen ist diese auf weltweit elf Ludwig-Museen verteilt. Aus Anlass des 20-jährigen Bestehens des Aachener Ludwig Forum bündelten fünf Häuser erstmals ihre Kräfte, ergänzt durch Leihgaben, vor allem in der Abteilung Fotografie. Das Ergebnis ist „Hyper Real – Kunst und Amerika um 1970“, eine 250 Werke von 100 Künstlern umfassende Schau, die den Fotorealismus vor der Folie des zeithistorischen Umbruchs erforscht. Als Wegbereiter der Massenkultur in der Kunst setzen die Kuratorinnen Brigitte Franzen und Anna Sophia Schultz den Übervater Andy Warhol mit seinen „Flowers“ an den Anfang.

Neben den großformatigen, von Vietnam-Fotos umrankten Porträts eines Chuck Close bekommt natürlich der Schweizer Franz Gertsch mit der Ikone „Medici“ seinen großen Auftritt. Sie findet sich in Nachbarschaft mit Farbfeldern von Gerhard Richter und lässt damit die alten Richtungsdebatten der legendären Documenta 5 von 1972 wieder aufleuchten. Glänzend durch höchste Konzentration des Ausdrucks das Defilee der Hyperrealisten, die sich mit Vorliebe in der Disziplin des Stilllebens übten. Klinisch scharf gibt sich vor allem Ralph Goings, einer der wichtigsten Helden der US-Bewegung, der wie die meisten seiner Kombattanten reale Fotografien als Vorlagen benutzte. Sein chromglänzender Wohnwagen der Marke „Airstream“, in dem das untergehende Wüstenlicht die mobilen Versprechungen des „American way of life“ hymnisch besingt, könnte sich problemlos mit den Glassspiegelungen der niederländischen Altmeister messen.

Distanziert sachlich dagegen der konzeptuelle Blick auf die trostlosen Stadtränder in den Fotografien von Dan Graham. Weitere Werke von heutigen Foto-Stars steuerte die Kölner Galerie Thomas Zander bei: William Eggleston, Lewis Baltz, Stephen Shore und Gary Winogrand verweisen auf die Parallelpräsenz des Realen in der Landschaftsfotografie. Im Medium Skulptur setzt Duane Hanson mit seiner Supermarket-Lady und drei verwirrend lebensechten Obdachlosen, die, am Boden liegend, einen der Ausstellungsräume zum Hindernisparcours gekürt haben, auf die dreidimensionale Begegnung mit der Welt vor der Haustür.

Wie es mit dem Realen bis in die Jetztzeit weiterging, davon erzählen Arbeiten von Basquiat, Keith Haring, Jeff Koons und Thomas Demand. Die Rückkoppelungen leuchten zwar nicht immer ein, sorgen aber immerhin dafür, dass die mit der zentralen Sitzecke aus Postern, Büchern, Plattencovern und Sounds allzu didaktisch angelegte Präsentation die durchgetretenen Pfade  „Picturing America: Fotorealismus der 70er Jahre “ in der Deutsche Guggenheim Berlin liegt gerade mal zwei Jahre zurück gelegentlich verlässt.

Ludwig Forum für Internationale Kunst Aachen, bis 19. Juni