Als Kind erlebte Monira Al Qadiri die rasante Transformation Kuwaits von einer der ältesten Zivilisationen der Welt zu einem Industrie-Giganten, als Künstlerin widmet sie sich heute den Turbulenzen, die durch Wohlstand, Religion und raschen gesellschaftlichen Wandel verursacht wurden: In ihren Performances, Skulpturen und Videoarbeiten setzt sich die 1983 im Senegal geborene Künstlerin mit unkonventionellen Geschlechtsidentitäten, mit Erdölkulturen und spekulativen Zukunftsentwürfen auseinander.
Ein gutes Beispiel dafür ist "Travel Prayer" von 2010. Diese Videoarbeit zeigt Rennkamele, die über den verpixelten, rosa gefärbten Bildschirm galoppieren, untermauert von einer Version des muslimischen Reisegebets. "Travel Prayer" erinnert an etwas, das für viele Menschen heute zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist: das Wunder, sicher ans Ziel zu kommen.
Monira Al Qadiri, was fasziniert Sie am muslimischen Reisegebet?
Monira Al Qadiri: Ich habe mich lange Zeit für das Reisegebet interessiert, weil es in Kuwait und vielen muslimischen Ländern das Erste ist, was gespielt wird, wenn man in ein Flugzeug steigt. Für mich klang es faszinierend, weil das Gebet geologisch sehr spezifisch ist. Es handelt vom Reisen durch öde, manchmal auch durch schöne Landschaften. Ich habe mir immer vorgestellt, dass es um das strapazierende Reisen in und durch die Wüste geht. Gleichzeitig habe ich den Klang einfach geliebt, ich habe es immer wieder aufgenommen. Eines Tages sah ich mir dieses Kamelrennen im Fernsehen an, und es war so sinnlos. Früher hat es Reiter auf den Kamelen gegeben, die eine Beziehung zu den Tieren hatten. Um zu gewinnen, wurden irgendwann Kinder als Jockeys eingesetzt, was von der UN später verboten wurde. Also wurden Roboter auf die Rücken der Kamele gesetzt: schlecht gemachte Roboter unter Decken. Der Typ, der neben der Rennbahn im rasenden Auto sitzt, drückt dann die ganze Zeit einen Knopf. Das ganze Ritual wurde für mich damit bedeutungslos. Es wurde zu einer Metapher, denn jetzt reisen wir als Land und Region in eine unbekannte, eher depressive Szenerie.
Sie haben "Travel Prayer" einmal als ein Selbstporträt beschrieben. Wie meinen Sie das?
Als jemand, der nach der Entdeckung des Öls in Kuwait aufwuchs, habe ich immer gedacht, dass meine Generation Außergewöhnliches erlebt, weil diese Öl-Phase nicht sehr lange dauern wird. Meine Eltern lebten vor der Ölförderung, und sie hatten eine schwere Zeit, sie kennen das wirkliche Leben. Meine Generation besteht aus eine Art Mutanten. Irgendwann wird der Ölmarkt zusammenbrechen, das bedeutet, dass das Land mehr oder weniger kollabieren wird. Was wird dann passieren? Es geht um dieses Gefühl, verloren zu sein und einfach in eine unbekannte Zukunft zu blicken.
Monira Al Qadiri, in "Diver" gibt es diese kontraintuitive Verbindung zwischen Bild und Ton: Während das Bildmaterial auf ausschließlich elegante und brillante visuelle Effekte setzt, ist der begleitende Perlentauchergesang etwas rau. Was steckt dahinter?
"Diver" ist eine persönliche Geschichte, aber auch die Geschichte der ganzen Region. Eine Zeit lang war die Hauptindustrie in der Golfregion das Perlentauchen, und mein Großvater war Sänger auf einem Perlentaucherboot, so dass "Diver" eigentlich meine Vorstellung davon war, wie es früher klang. Es ist eine frühe Aufnahme aus den 60er-Jahren in Bahrain. Heute klingt das Lied ganz anders, weil es nicht mehr fürs Perlentauchen verwendet wird, sondern für Touristen. Diese neue Version ist sehr geschliffen, wohingegen ältere Versionen viel mehr wie Schreie und Rufe klingen, das geht in den neueren, deformierten Versionen dieser Musik verloren. Ich wollte eine Hommage auf meinen Opa machen, aber gleichzeitig auch die Fremdheit seines Lebens zum Ausdruck bringen. Sein Leben ist für mich wie eine Fiktion. Ich kann nicht glauben, dass Menschen tatsächlich aus einem Boot gesprungen sind, um nach Perlen zu tauchen, es klingt einfach wie ein Märchen. Es geht darum, diese Geschichte, die nicht in Einklang mit der Gegenwart zu bringen ist, zu versöhnen und durch die Synchronschwimmerinnen auch eine Art Disneyfizierung zu wagen. "Diver" ist sehr auf Hochglanz gebürstet und schön, aber es hat etwas Seltsames an sich, er ist auch rau und ungefiltert. Das ist es, was ich versucht habe.
Hätten Sie Ihre Arbeit "Behind the Sun" mit dem Archivmaterial des Fotografen Adel Al Yousifi auch dann gemacht, wenn Sie Werner Herzogs "Lektionen in Finsternis" (1992) nicht gesehen hätten?
Nein, "Behind the Sun" hat einen sehr direkten Bezug zu "Lektionen in Finsternis". Ich habe den Film gesehen, als ich sieben oder acht Jahre alt war, im Grunde direkt nach dem Krieg. Mein Vater hatte ihn zu Hause auf einer VHS-Kassette, und ich wusste nicht, was das war. Ich legte ihn einfach ein, sah ihn mir an und wurde wütend auf den Filmemacher. Als Kind versteht man nicht, was Docufiction ist. Ich hatte das Gefühl, dass ein deutscher Mann sich Geschichten über unseren Krieg ausgedacht hat: Alles Lügen! Ich hatte keine Ahnung, wer er war, aber ich erinnerte mich lange an dieses wütende Kind. Während meines Kunststudiums habe ich herausgefunden, wer Werner Herzog ist und mich für sein Werk interessiert. Aber "Lektionen in Finsternis" blieb mir lange ein Rätsel.
Änderte sich das irgendwann?
Auch als ich ihn mir mit 25 Jahren ansah, hatte ich immer noch dieses wütende Kind in mir. Ich hatte dieses irritierte und frustrierte Gefühl, das ich nicht loswerden konnte. Als ich 2013 an "Behind the Sun" gearbeitet habe, lebte ich in Beirut und der Krieg in Syrien war sehr schlimm. Es gab viele Bombenangriffe, die mich an unseren Krieg erinnerten. In Kuwait war die Geschichte des Krieges für lange Zeit ausgelöscht, es war fast peinlich, darüber zu sprechen, während in Beirut der Krieg überall präsenter war. Ich dachte mir, ich würde meine eigene Version von Herzogs Film schaffen, aber auf eine ganz andere Art und Weise, ohne diese Vogelperspektive, ja Gottesperspektive, die er da benutzte. Ich wollte etwas machen, das dem, was ich als Kind empfand, nahekommt. Gleichzeitig wollte ich auch den Kontext zurückfordern, in dem alles geschah. Das einzige Problem war, dass es sehr schwierig ist, an Filmmaterial aus den Jahren 1990 und 1991 zu kommen. Ich traf zufällig Adel Al Yousifi, einen Fotografen, der mir sagte, er habe einige Filmbänder aus der Zeit, und ich sagte ihm, er solle sie mir zeigen. Es war sehr überwältigend. Als ich mir die Aufnahmen anschaute, weinte ich, weil ich es lange nicht mehr gesehen hatte. Sie waren so roh und unvermittelt. Ich fragte ihn auch, warum er 25.000 Fotos von den brennenden Ölfeldern machte, obwohl er keiner Zeitung oder sowas angeschlossen war.
Wie lautete seine Antwort?
Er sagte, er wolle seiner Familie außerhalb Kuwaits das Ausmaß der Zerstörung zeigen. Ich fand es sehr interessant, denn vielleicht redet er sich das selbst ein, aber das ist es sicher nicht: Man riskiert nicht jeden Tag anderthalb Jahre lang sein Leben, um seiner Familie so etwas zu zeigen. Ich glaube, er ist in gewisser Weise eine herzogische Figur: Er war einfach besessen von der Schönheit dieser Zerstörung, die ich als Kind gespürt habe. Als Kind hat man ja keine Moral, man versteht nicht, was richtig und falsch ist. Für mich sah das aus, wie wir uns die Hölle vorstellen sollten, es war apokalyptisch, aber ich dachte, es sei wirklich etwas Besonderes, was im Nachhinein sehr niedlich ist.
Vor einigen Wochen kam es zu einer massiven Explosion in Beirut, gefolgt von Massenprotesten, bei denen Rechenschaft dafür eingefordert wurde. Glauben Sie, dass dieses Ereignis für junge Kunstschaffende die gleiche Rolle spielen wird wie der Krieg in Kuwait und die brennenden Ölfelder für Sie?
Mein Mann ist aus Beirut, und ich habe sieben Jahre lang dort gelebt. Ich habe dort viele Freunde, die ihr Zuhause verloren haben. Es ist wirklich ein sehr schrecklicher Moment. Gleichzeitig hat man das Gefühl, dass etwas zu Ende ist, und wir wissen nicht, was es ist. Es könnte sein, dass das Land untergegangen ist, wer weiß. Es ist noch traumatisierender als der Krieg, muss ich sagen. Durch die Explosion dringen der Staat, die Korruption und die Zerstörung durch den Staat in dein Zuhause ein. Selbst im Krieg schaffen es die Menschen, ihr Leben zu leben und halbwegs sicher in ihren Häusern zu sein. Sie gehen raus, um Essen zu holen, und es wird draußen gekämpft, aber wenn nicht gerade ihr Gebäude bombardiert wird, ist der Krieg irgendwie weit weg und sie können eine gewisse Distanz schaffen zwischen sich und dem, was draußen stattfindet. Diese Explosion aber hat ein anderes Ausmaß, es ist fast wie viele Nuklearexplosionen.
Könnten Ihre Werke eines Tages die Dokumente einer Zeitepoche werden, die existenziell von Erdöl geprägt ist?
Ich versuche, durch diese Kunstwerke ein Denkmal für diese seltsame Zeit zu schaffen. Wenn sie vorbei ist, werden wir nichts haben, womit wir ihrer gedenken können. Öl ist eine zerstörerische Kraft, aber in gewisser Weise ist es auch ein Wunder. Es ist wie ein sehr seltsames außerirdisches Wesen, das aus dem Weltraum gelandet ist und irgendwann wieder verschwinden wird. Haben wir etwas, um uns an diese außerirdische Kraft zu erinnern? Ich versuche, dieses Labyrinth zwischen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft zu schaffen, so dass wir emotionale Objekte haben, zu denen wir zurückkehren können. Ich greife dem Ende des Öls vor, ich will wirklich, dass es aufhört. Es ist schrecklich, es ist völliger Wahnsinn, es wird aus der Erde gefördert und zerstört die Umwelt mit all den politischen und sozialen Folgen, es ist wirklich ein Monster.