Künstler Carl Andre stirbt mit 88 Jahren

Bloß keine heroischen Gesten!

Carl Andre "5 x 20 Altstadt Rectangle",1967, zur Eröffnung der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf
Courtesy the Artist and Konrad Fischer Galerie

Carl Andre "5 x 20 Altstadt Rectangle",1967, zur Eröffnung der Galerie Konrad Fischer in Düsseldorf

Carl Andre galt lange schon als Klassiker der Minimal-Art. Doch die Museen mieden ihn jahrzehntelang wegen des bis heute nicht restlos aufgeklärten Todes seiner Frau. Jetzt ist der US-Künstler im Alter von 88 Jahren gestorben

Runter vom Sockel! Schluss mit Carrara-Marmor und Bronzeguss und bloß keine heroischen Gesten! Carl Andres Skulpturen liegen oder stehen auf dem Boden, sie sind aus kaum bearbeitetem Holz, aus Ziegeln, Granit oder Stahl gemacht und existieren in Gruppen. Einzelne Teile sind austauschbar. Und auf manchen kann man sogar herumlaufen. Mitte der 60er – in New York herrschten immer noch abstrakte Expressionisten wie Jackson Pollock und Willem de Kooning – wirkte Andres Kunst wie ein Schock: hart, kühl, auf einfache Geometrie heruntergebrochen.

Doch: "Minimalismus war nichts Neues", betonte der 1935 in Quincy/Massachusetts geborene US-amerikanische Bildhauer vor einigen Jahren in der britischen Kunstzeitung "The Art Newspaper". "Es war bloß die Essenz von etwas, das es schon vorher gab." Zum Beispiel die modularen Skulpturen von Constantin Brancusi, die dem 1935 in Massachusetts geborenen Künstler entscheidende Impulse gaben. "Für mich war Brancusi ein 'Minimal'-Künstler, der sich auf die grundlegendsten Elemente reduzierte."

Längst gilt Andre als Klassiker. Aber 30 Jahre lang stellte kein US-amerikanisches Museum seine Werke aus. 1985 war seine Frau, die kubanische Künstlerin Ana Mendieta, aus nicht restlos geklärten Gründen ums Leben gekommen. Gegen Andre wurde Anklage wegen Mordes erhoben. Das Gericht sprach ihn frei, aber den Ruf eines "O.J. Simpson of the art world" wurde er nicht los.

Dann doch: große Retrospektive 2015

In Europa und besonders in Deutschland war Andre, der stets einen Blaumann trug, trotzdem zu sehen. Bis heute vertritt ihn die Düsseldorfer Konrad Fischer Galerie, die ihn 1967 als erste in Deutschland ausstellte, mit betretbaren Stahlplatten auf dem Boden des Tordurchgangs. 2015 bekam Andre dann doch eine große Retrospektive in den USA: im Dia: Beacon Museum nördlich von New York. Nur tourte sie danach nicht weiter durch die Vereinigten Staaten, sondern kam nach Madrid, Paris und ins Museum Hamburger Bahnhof nach Berlin.

Dort war auch eine Reihe seiner Gedichte seit den 1950ern präsentiert. Als Andre zwischen 1960 und 1964 als Bremser auf Güterzügen arbeitete, war seine Kunstproduktion auf Schreibmaschinengedichte aus Zufallstextfunden reduziert. Vielleicht nahm der Künstler damit bereits die Konzeptkunst vorweg. Vielleicht kann man den fortschreitenden Minimalismus dieses Werks aber auch als Ausdruck eines typisch US-amerikanischen Pragmatismus verstehen. Sicher ist, dass der Mann, als zentraler Akteur der Nachmoderne ins Museum gehört. 

Mehr als 2000 Kunstwerke hat Carl Andre geschaffen und fast ebenso viele Gedichte. "Man kann fast alles erreichen, wenn man die Arbeit in Elemente einteilt, die den eigenen Fähigkeiten entsprechen. Deshalb bestehen meine Skulpturen fast immer aus Linien oder Feldern, deren Teile so leicht sind, dass ich sie heben kann", sagte Andre 2005. "Fragt man mich, wie ich je ein Ende finde, kann ich nur antworten: Wenn ich mich erschöpft habe." Carl Andre ist am Mittwoch im Alter von 88 Jahren gestorben.