Vielerorts sind öffentliche Versammlungsorte und Plätze nur bedingt zugänglich oder gesperrt. Dazu zählten beispielsweise auch Kinderspielplätze, die zumindest in Deutschland seit dem 30. April wieder geöffnet sind. In der knapp einmonatigen Spielpause ist die Relevanz dieser Lern- und Begegnungsorte deutlich spürbar gewesen - Eltern beklagten das alternativlose Vorgehen der Kommunen, Kindern ließ sich das Verbot nur schwer vermitteln. Polizeilich markiertes Absperrband, das vor umzäunten Spielplätzen flattert, könnte zu den Corona-Sinnbildern schlechthin gehören.
Gleichzeitig nutzen viele die vermeintlichen Einschränkungen, um daraus neues Material für die Zukunftsschmiede zu gewinnen. Unter dem Motto "Die besten Ideen entstehen jetzt!" appelliert die Plattform "#Beyondcrisis" an den quarantänegequälten Erfindergeist und ruft kreative Köpfe dazu auf, sich mit Konzepten zu beteiligen. Ins Leben gerufen wurde das Post-Krisen-Brainstorming von dem Verein "Deutschland - Land der Ideen", der neben "#Beyondcrisis" auch andere Wettbewerbe, Initiativen und Think-Tanks organisiert und begleitet, unter anderem die Nachtkultur-Rettungsmaßnahme "United We Stream".
Der Psychologe und Publizist Claudio Rimmele und der Künstler und Designer Martin Binder haben sich mit einem ersten gemeinsamen Entwurf dem erwähnten Spiel-Problem angenommen und im Rahmen des Aufrufs von "#Beyondcrisis" vorgenommen, "eine Konzept-Spielwelt zu entwickeln, die für Kinder auch nach der Pandemie noch spannende und beflügelnde Begegnungen ermöglicht", wie es in der Einreichung heißt. Und diesem Ziel geht das Konzept ambitioniert nach.
Rosen ohne Verletzungsgefahr
"Rimbin" soll der ansteckungsfreie Spielplatz heißen und trotz verfeinerter Hygienebedingungen Begegnung und Interaktion ermöglichen. Inspirieren ließ sich das Duo vor allem von ihrer Auseinandersetzung mit organischen Formen und natürlichen Materialien, namentlich den amazonischen Riesenseerosen: "Eine Pflanze die auf Menschen seit ihrer Entdeckung eine besondere Faszination ausübt", erklären Rimmele und Binder in ihrem Konzept. "Um ihre natürliche Tragkraft zu demonstrieren, stellte der Botaniker Joseph Baxton um 1849 seine eigene Tochter auf das Blatt einer Riesenseerose. So sicher und stabil wie diese Blätter sollen die Spielflächen von Rimbin für Kinder sein." Zusammengesetzt wird der Name übrigens aus den englischen Begriffen "Rim" (deutsch: Rand) und "Bin" (deutsch: Eimer) und ist gleichzeitig eine Wortneuschöpfung der beiden Erfinder-Nachnamen Rimmele und Binder.
Zugänglich sind die individuellen Spielwiesen - Pardon, Spielblätter - über Pfade verbunden, die jeweils durch schließbare Eingangstore betretbar sind. Miteinander kommunizieren können Kinder über Verbindungsrohre, die Schall analog übertragen. Angrenzende Wippen und "andere motorische Spiele" erweitern die Einzelspielparzellen um die Möglichkeit des gemeinsamen und trotzdem distanzierten Spielens. Bei der Erarbeitung hat das Duo Rimmele und Binder Eltern und Kinder interviewt, um ihre Bedürfnisse und Wünsche zu berücksichtigen.
Mit Superflex gegen die DIN-Norm
Auch wenn die Idee semi-isolierter Spielplatzseerosen anfangs zu Irritation führen kann, müssen sich Kommunen ebenso wie Familien mit der Frage konfrontieren, wie Spielplätze in Zukunft - ob nach oder noch während der Corona-Krise - organisiert sein sollen. Auch hier bilden sich die strukturellen Probleme jahrelanger Vernachlässigung ab: Es gibt allgemein zu wenige, beziehungsweise zu viele vernachlässigte Spielplätze, an denen sich zu viele Menschen tummeln und so an den Hygienemaßnahmen vorbeischummeln. Außerdem werden Spielplätze in Deutschland nach der Deutschen Industrienorm (sprich nach DIN-Format) gebaut, was selten bis gar nicht zu architektonisch-künstlerischen Experimenten führt. Dabei gäbe es ausreichend internationale Vorbilder, von denen man sich inspirieren lassen könnte: vom dänischen "Skrammellegeplads" des Architekten Carl Theodor Sørensen bis hin zu den Installationen des Kollektivs Superflex.
"Das Konzept zu Rimbin und die Idee, unsere Städte und Kommunen in der Krise aus Sicht der Kinder zu betrachten, hat uns sofort überzeugt. Jetzt arbeiten wir mit Hochdruck daran, bei der Umsetzung eines ersten Pop-Up-Spielplatzes als Prototypen mitzuwirken. Unterstützer sind herzlich willkommen“, sagt Ute Weiland, Geschäftsführerin von "Deutschland – Land der Ideen".
Ob das Konzept der beiden Erfinder tatsächlich realisiert wird, bleibt zunächst offen. Aber solch offene Ideen-Wettbewerbe und -Werkstätten können so oder so förderlich sein - sei es als Ablenkung in der Krise, als Hoffnungsschimmer für die Zeit danach, oder als interdisziplinärer Impulsgeber über das angezielte Thema hinaus.