Kommentar

Offene Feindseligkeit

Foto: dpa
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"Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt" steht auf dem 16-Meter hohen Obelisken von Documenta-Künstler Olu Oguibe auf dem Königsplatz in Kassel.

Nach einer mäßig erfolgreichen Spendenaktion ist der Künstler Olu Oguibe, Schöpfer des Documenta-Obelisken, in Kassel zur Unperson erklärt. Die Stadt vermittelt den Eindruck, sein Kunstwerk loswerden zu wollen. Ein Kommentar

Ist Olu Oguibe der Martin Schulz der Kunstwelt? Nicht, dass der US-Künstler im vergangenen Documenta-Sommer 100 Prozent Zustimmung an der Besucherbasis genossen hätte (solcher Konsens wäre für ein politisches Kunstwerk eher blamabel). Aber der Absturz des Obelisken-Schöpfers in der Gunst der Kasseler ist bemerkenswert - und Politik spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Bei der Verleihung des renommierten Bode-Preises an Oguibe im September 2017 schien die Zukunft des "Fremdlinge und Flüchtlinge Monument" auf dem Königsplatz noch klar gezeichnet. Kulturdezernentin Susanne Völker (parteilos) sagte in ihrer Ansprache, der Obelisk mit dem viersprachigen Jesus-Zitat "Ich war ein Fremdling und ihr habt mich beherbergt" habe zu den ersten Documenta-14-Werken gehört, die die Kasseler ins Herz geschlossen hätten. Unter heftigstem Applaus des Publikums konstatierte sie, dass viele Bürger sich den Verbleib der Beton-Stele auf dem Königsplatz wünschten – als Symbol für eine weltoffene Weltkunststadt.

Gut neun Monate und eine mäßig erfolgreiche Spendenaktion später ist Olu Oguibe in Kassel zur Unperson erklärt und die Stadt vermittelt den Eindruck, den Obelisken loswerden zu wollen. Dass der Künstler die Spendensumme von 126.000 Euro akzeptieren möchte, aber auf dem Standort Königsplatz beharrt, wurde nicht als Entgegenkommen, sondern als Affront gewertet. Seine Aussage gegenüber Monopol, die Skulptur solle von allen Kasselern gesehen werden und nicht nur von den "Outsidern" in der Nordstadt, sorgte für die nächste Empörungswelle: Jetzt beleidige er auch noch die Bürger!

Die Gründe für die aufgeheizte Stimmung in Bevölkerung und Politik sind so vielfältig wie verworren. Der Obelisk wird stellvertretend für eine Documenta gesehen, die mit ihrem aggressiven politischen Erziehungsgebahren und dem Millionendefizit von vielen als Desaster wahrgenommen wurde. Zudem klang der ursprünglich kommunizierte Preis von 600.000 Euro nach Hirngespinst und Kunstmarktwahnsinn, auch wenn von Anfang an klar war, dass es ein Verhandlungswert sein sollte und für den Ankauf kein Steuergeld, sondern Spenden eingesetzt würden.

Nun sind Debatten über Kunst ja genau das, was eine Ausstellung wie die Documenta bewirken will, und niemand muss einen Beton-Obelisken mit Goldlettern lieben. Was jedoch schockiert, ist die offene Feindseligkeit, die sich in die Diskussion geschlichen hat. Oguibes Monument der Willkommenskultur, hat genau die fremdenfeindlichen Reaktionen hervorgerufen, die derzeit im politischen Diskurs immer mehr Raum einnehmen.

Das Tragische ist, dass sich die legitime Skepsis gegen ein Kunstwerk von diesen populistischen Stimmen nicht mehr sauber trennen lässt. Wenn der Obelisk tatsächlich aus Kassel verschwindet, wird das auch ein Sieg für die AfD sein, die seit dem Sommer 2017 nah am Nazi-Vokabular gegen das Kunstwerk hetzt. Doch auch die Versetzung des Werkes aus dem Kasseler Zentrum lässt sich als Zugeständnis nach rechts lesen. Zu unbeholfen sucht die Stadt nach Gründen, um die gewünschte Versetzung der Problemstele aus dem Zentrum, und damit aus dem öffentlichen Interesse zu rechtfertigen.

Der kürzlich aufgetauchte Vorwand, der Königsplatz müsse für kommende Documenta-Jahre frei bleiben, ist geradezu absurd - vor keiner Documenta gibt es einen "Urzustand" der Stadt, die Ausstellung reagiert immer auf die Gegebenheiten Kassels. Vielmehr liegt die Lesart nahe, dass der Magistrat den Künstler mit der öffentlichen Forderung nach Umsiedelung in die Nordstadt unter Druck setzen will und insgeheim auf einen Rückzug von Oguibe hofft, der dann als Verantwortlicher des geplatzten Deals präsentiert werden könnte. Auch die "Outsider"-Äußerung kam in diesem Zusammenhang gelegen, lässt sich daraus doch ein Kasseler "Wir-Gefühl" gegen den Künstler stricken.

Olu Oguibe hat sich nicht als gefügiger Künstler gezeigt, der sich artig für Bode-Preis und Spenden bedankt und sich ansonsten aus der Diskussion um sein Werk heraushält. Wer dem in den USA lebenden Bildhauer jedoch den "Outsider"-Begriff als Beleidigung auslegt, will sein Werk – und das Anliegen der gesamten Documenta – gründlich missverstehen. Oguibe hat ein Werk mit dem Titel "Fremdlinge und Flüchtlinge Monument" geschaffen – diese zunehmend vergifteten Bezeichnungen sind für den Künstler Begriffe der Solidarität. Sie stellt die vermeintlichen "Outsider" auf einen Sockel und appelliert an die gesellschaftliche Verantwortung zum Hinsehen und zum Schützen von sozial Schwächeren. Wenn Oguibe seinen Obelisken nicht in der migrantisch geprägten Nordstadt sehen will, dann ist das kein Zeichen dafür, dass er die dortige Bevölkerung nicht für ein würdiges Kunstpublikum hält, sondern dass er die Bewohner der viel beschworenen "Mitte" nicht aus ihrer Verantwortung entlassen will. Sein Werk hat er für einen der belebtesten Plätze im Kasseler Zentrum gemacht, wo sich alle Bewohner der Stadt begegnen. Wenn die Skulptur aus dem Blickfeld der Mehrheit verschwindet, spricht er vor allem zu denen, die sowieso schon wissen, was Ausgrenzung heißt.

Vielleicht verschwindet Olu Oguibe nun mit seinem Werk aus Kassel und erlebt einen ähnlich trüb-tragischen Abgang wie Martin Schulz. Wie die "Hessische Niedersächsiche Allgemeine" (HNA) berichtet, hat sich mit der CDU nun die erste Partei für den Abbau ausgesprochen. Oder aber Kassel ergreift die letzte Chance und gibt dem Obelisken ein Bleiberecht als Mehrfach-Mahnmal auf dem Königsplatz. Dort könnte er nicht nur an die Spaltung der Gesellschaft in der Flüchtlingsfrage seit dem Jahr 2015 erinnern, sondern auch an eine tiefe Krise zwischen den Kasselern und ihrer Documenta.

Im Vernissage-Sprech von Politikern heißt es immer wieder, dass Kunst stören muss. In der Praxis ist die Verteidigung des Unbequemen dann oft weniger laut. Am Obelisken, wenn er denn bleibt, könnte eine neue, fairere Diskussion entstehen, die in Zeiten erhöhter Empfindlichkeit unerlässlich ist: Was kann Kunst, wenn sie wirklich stört?