Die Antwort auf die Frage "Wie werde ich als KünstlerIn erfolgreich auf Instagram?" ist etwas kompliziert. Einfacher ist es, auf die Frage "Wie werde ich nicht als KünstlerIn erfolgreich auf Instagram?" zu antworten. Das ist wirklich einfach: Wenn niemand weiß, dass Sie Künstler*in sind, werden Sie nicht als Künstler*in erfolgreich. Weder auf Instagram, noch im richtigen Leben. In den letzten Wochen habe ich mir mehr als sonst Accounts von Künstler*innen angeschaut, denen ich nicht folge und die ich nicht kenne. Es scheint ein Ding zu sein, besonders bei jungen Künstler*innen, das irgendwie besser nicht zu deutlich zu zeigen. Im Zweifel gar nicht. Da steht dann vielleicht noch in der Bio "Artist" und das war’s. Was folgt, sieht aus wie bei meiner Mutter auf Instagram: Essen, Regenbögen, Natur, Urlaub, Reisen, Selfies. Okay, Selfies, die postet meine Mutter nicht, Selfies bekomme ich per WhatsApp.
Vor einiger Zeit habe ich einen Vortrag an einer Kunstakademie in Deutschland über Kunst und soziale Medien gehalten. Mein Vortrag dauerte 60 Minuten, die Fragerunde 90 Minuten. Ein Ende war eigentlich nicht in Sicht, aber irgendwann muss man ja mal enden. Die am häufigsten gestellte Frage in Verbindung mit der Beschreibung des eigenen Contents war: Wie bekomme ich mein Instagram zum Laufen? Erzählt wurde, dass es Professor*innen gibt, die fragen: Wollen Sie Künstler*in oder Instagram-Künstler*in sein? Ja, nun, man ist ja auch kein Websiten-Künstler, nur weil man die eigene Arbeit auf einer Website präsentiert. Instagram ersetzt natürlich keine übersichtliche und gut gepflegte Website, aber seien wir mal ehrlich: Schaut man heute nicht zuerst auf Instagram, wenn man sich über einen Künstler oder eine Künstlerin informieren möchte? Da hilft also die Attitude too cool for school nicht weiter. Oder der Hinweis: privat hier.
Und klar, man kann sich fragen, brauchen Künstler*innen heute Instagram, um erfolgreich zu werden? Das ist aber ein anderes Thema. (Darüber habe ich hier geschrieben.) Und die nächste Frage lautet: Was ist eigentlich Erfolg auf Instagram? Sind Followerzahlen und Likes das Pendant zu Ausstellungen und Verkäufen? Wenn man sich einmal ansieht, wie viele Follower etablierte Künstler*innen haben, ist das nichts im Vergleich zu Kim Kardashian (182 Millionen) und Taylor Swift (137 Millionen) und sagt wenig über den Marktwert und das Standing aus. Wolfang Tillmans: 210.00. Nan Goldin: 142.000. Jeff Koons: 381.000. Damien Hirst: 705.000. Cindy Sherman: 318.000. Und bei jungen Künstler*innen sehen die Zahlen, mit wenige Ausnahmen, noch einmal ganz anders aus. Avery Singer: 9.758. Chloe Wise: 178.000. Jon Rafman: 114.000. Amalia Ulman: 150.000. Ed Fornieles: 30.400. Camille Henrot: 27.300. Oli Epp: 24.600.
Erfolgsgeschichten
Der Brite Oli Epp, der in der Malerei den Begriff Post-Digital Pop geprägt hat, wird in den Medien als Star der Generation Instagram gehandelt. Mit nicht einmal 25.000 Follower. Im September 2019 titelte die Welt: "Wie man mit einem einzigen Instagram-Post zum Millionär" wird. Instagram scheint also die neue Lotterie zu sein. Oder so etwas wie "Germany’s Next Top Model" für Künstler*innen. Ein Mal posten, zack, sind Geld und Karriere da. Das stimmt so natürlich nicht, aber das Beispiel zeigt, welche Power dem sozialen Fotonetzwerk zugetraut wird. In der Bildunterschrift zum Text in der Welt steht ein Zitat von Epp: "Ich schäme mich fast ein bisschen dafür, auf diese Weise entdeckt worden zu sein". Der Brite ist ein gutes Beispiel dafür, dass man die Scham auf Instagram überwinden muss.
Bescheidenheit ist eine Tugend, sagt man so schön. Selbstdarstellung siegt, heißt es auf Instagram. Epp ist heute hier auf dem Cover, hängt morgen da in der einen Ausstellung und übermorgen ist er neben David Shrigley in einer anderen Ausstellung zu sehen. Hilft ja alles nichts. Woher sollen die Leute wissen, dass es passiert, wenn man nicht darüber redet? Mein Podcast, mein Buch, meine Ausstellung. Wer nicht alles hat, hat offenbar nichts. Und da ist es dann auch egal, ob man 2.500, 25.000 oder 250.000 Follower hat. Hauptsache, Erfolgsgeschichten werden erzählt. Denn wer möchte nicht gern mit Künstler*innen arbeiten, die schon erste Erfolge zu verbuchen haben?
Wenn man allerdings bereits erfolgreich ist, darf man sich auch wieder in Bescheidenheit üben. Die New Yorkerin Avery Singer, Jahrgang 1987, ist "offiziell die teuerste Millennialskünstlerin der Welt" und "die goldene Gans des Kunstmarkts" ("Artnet News") . Auf Instagram hat sie nicht einmal 10.000 Follower, ihre Kunst zeigt sie dort äußerst selten. "Meine Kunst ist komplexer als ein Post auf Instagram", erklärte sie mir vor einigen Wochen im Interview. Instagram, das nehme sie nicht ernst, sagte sie, das müsse sie ja auch gar nicht. Eine Erleichterung sei das für sie. "Ich nehme nur Ausstellungen und Gespräche und Texte über Kunst ernst", so Singer, deren Werke unter anderem in der Sammlung des Museum of Modern Art in New York sind. Von Singer kann man sich aber etwas anderes abschauen.
Privatleben
Im Buch "Bilder verteilen. Fotografische Praktiken in der digitalen Kultur" von Winfried Gerling, Susanne Holschbach und Petra Löffler gibt es ein kurzes Kapitel zum Thema Instagram als öffentliches Tagebuch. Darin geht es um Accounts von Akteur*innen aus der Kunstwelt. "Eine persönliche Note erhalten die Feeds durch sich wiederholende Motive, die besondere Vorlieben bzw. 'Marotten' oder auch eine ironische Distanz zum Medium darstellen", schreiben die Autor*innen. Fragen Sie mich bitte nicht warum, aber ja, ich komme in diesem Kapitel auch kurz vor. Den Autor*innen ist aufgefallen, dass mein roter Faden meine Liebe zu Hunden ist.
Ich bin seit 2011 auf Instagram und habe mir früh eine Antwort auf die Frage überlegt, die auch im Buch gestellt wird: "Wie viel Privates gibt man preis bzw. welche Motive definieren überhaupt Privatheit?" Was man also Privates über mich erfährt, wenn man mir auf Instagram folgt: Ich mag Hunde und #GermanGemütlichkeit, ich interessiere mich für Brutalismus, ich trinke wahnsinnig gern Cola und ich lese viel. Meine Follower unterhalten sich also mit mir über Literatur und schicken mir Hundefotos – und mit Cola ist auch immer irgendwas. Über Avery Singer erfährt man auf Instagram, dass sie gern kocht, eine Katze hat, viel Sport treibt und sich offenbar zur Aufgabe gemacht hat, jeden AR-Filter auf Instagram auszuprobieren.
Ich gehe davon aus, dass ihre Follower ihr Links zu AR-Filtern und Kochrezepte schicken und sich Fitness-Tipps bei ihr abholen. Und ja, für Künstler*innen sollte Instagram Portfolio und Tagebuch (in Auszügen) zugleich sein. Schließlich ist Instagram ein soziales Netzwerk, das heißt, man ist im Austausch miteinander und man bekommt einen Einblick in das Leben der Menschen, denen man folgt.
Waren es einst Skandale und provokante Äußerungen besonders von männlichen Künstlern in den Medien, die zum Brandbuilding gehörten, ist es heute der Rückzug ins Private in der Öffentlichkeit. "Georg Baselitz sagt in Interviews viel - manchmal zu viel?", war 2018 im "Spiegel" anlässlich seines 80. Geburtstags zu lesen. "Frauen können nicht so gut malen", sagte er beispielsweise. Oder: "Documenta und so. Wissen Sie, wie ich das nenne? Paralympics." Markige Sprüche, abseitige Meinungen und amoralisches Verhalten führen im Zeitalter der sozialen Medien beispielsweise zur Absage von Ausstellungen, weil es eine öffentliche Debattenkultur gibt. Endlich geht es darum, dass Richtige zu sagen und entsprechend zu handeln. Natürlich kann man auch das diskutieren, wie aktuell die "Zeit"-Redakteure Ijoma Mangold und Lars Weisbrod im Podcast "Die sogenannte Gegenwart", ihre Frage: "Ist 'woke' das neue narzisstisch?" Der Kunsthistoriker Jörg Scheller twitterte schon vor zwei Jahren:
Es war einmal der streitbare Starkünstler, den man nur aus den Medien kannte … Besonders junge Künstler*innen, die über die sozialen Medien groß geworden sind, inszenieren sich als nahbare Privatperson, zu der man jederzeit Kontakt aufnehmen kann. Interessen: Kochen, Sport, Haustiere, Politik. "Ask me a question" wird in regelmäßigen Abständen in den Stories auf Instagram angeboten – und ja, es wird nachgefragt, um die künstlerische Arbeit geht es da aber weniger.
Netzwerken
Netzwerken, was sonst bei Openings doch eher eine unangenehme Angelegenheit ist, passiert so auch ganz nebenbei. Während man bei einem Opening vielleicht verloren vor einem Kurator, Galeristen oder Kritiker steht und nach dem "Hallo, ich bin …" nicht so recht weiter weiß, weil man sein Portfolio nicht unter dem Arm trägt etc., ist das eigene Werk auf Instagram nur einen Klick entfernt. Aber auch hier gilt: Scham überwinden. Einige der Künstler*innen, über die ich hier geschrieben habe oder die ich für die Insta-Watchlist von Monopol interviewt habe, haben sich via Instagram Direct Message bei mir gemeldet. Wenn man einen Text von einem Kunstkritiker oder eine Ausstellung von einer Kuratorin oder Galeristen gesehen hat, ist der Einstieg schnell gefunden. "Sie haben gerade …, Sie könnte interessieren …" Was nach Produktempfehlungen auf Amazon klingt, ist ein guter Gesprächseinstieg auf Instagram.
Ausführliche Vorstellungen via Mail samt Portfolio im Anhang bringen das Gegenüber in Verlegenheit, ebenso lange und bedacht antworten zu müssen. Dazu fehlt dann vielleicht die Zeit oder die Mail geht unter, weil man nicht gleich zum Lesen und Antworten kommt. Auf Instagram derweil kann man schnell und formlos antworten und easy durch ein Portfolio scrollen. Wem auch das noch zu unangenehm ist, weil – vielleicht – aufdringlich, der kann es mit Reaktionen auf Stories und Postings versuchen. Ich beispielsweise schaue mir immer an, wer das Gespräch mit mir sucht.
Stating the Obvious
Und weil man so leicht mit Galerist*innen, Kurator*innen und Kritiker*innen ins Gespräch kommt und das Portfolio nur einen Klick entfernt ist, hilft die Attitude too cool for school nicht weiter. Bilder (Installationsansichten, Werkabbildungen) und Texte müssen sitzen. Ein verwackelter Schnappschuss von irgendwas an der Wand oder im Raum und zwei Zeilen irgendwie sprechende Hashtags hinterlassen keinen guten Eindruck und sagen vielmehr: Ach, egal, nicht so wichtig, was ich da mache!
Die Künstlerin Anna Ehrenstein, die diesjährige Gewinnerin des C/O Berlin Talent Award, erklärt mir am Telefon, was es mit der demonstrativen Verneinung von Instagram auf sich hat. An Kunsthochschulen und -akademien werde oft immer noch vermittelt, dass es unsexy sei, mit seiner Kunst Geld verdienen und sich auf dem Markt platzieren zu wollen. Instagram sei natürlich genau das, was man nicht sein wolle: Teil des kapitalistischen Systems. Dann bitte einfach weitermachen wie bisher.