"Body Neutrality"

Was uns die Kunst über die Akzeptanz des eigenen Körpers beibringen kann

Das Konzept der "Body Positivity" verkommt zunehmend zum pseudofeministischen Marketing-Tool. Als Gegenentwurf könnte die "Body Neutrality" funktionieren, über die man viel von Künstlerinnen lernen kann

Die Schauspielerin und Unternehmerin Gwyneth Paltrow hat eine Kerze auf den Markt gebracht, die wie ihre Vagina riecht. Zumindest behauptet das die Kerze selbst, die 79 US-Dollar kostet, mit dem Parfümeur Douglas Little kreiert wurde und ein provokatives Mäntelchen mit der Aufschrift "This Smells Like My Vagina" trägt. Die Nutzerschaft von Paltrows Online-Kosmetik-Mode-und-Wellness-Shop "Goop" ist zuverlässig in Shoppingrausch verfallen, die Kerze ist ausverkauft, die Warteliste so lang wie die Goop-Produktbeschreibungen, in denen inflationär oft die Worte "Healing", "Detox", "Wellbeing" und "Body Positivity" vorkommen. 

Die kostspielige Kerze ist ein ein ziemlich eindrucksvolles Beispiel für die Instrumentalisierung von Körperakzeptanz als pseudofeministisches Marketingtool. Aktivistinnen setzen sich seit Langem für eine Enttabuisierung von weiblich konnotierten Körpern und den Abbau von Ekligkeits-Vorurteilen gegenüber deren Funktionen und Flüssigkeiten ein. In London gibt es seit kurzem das erste Vagina-Museum der Welt, in dem mantraartig vorgebetet wird, dass Menstruationsblut nicht schmutzig ist und sich niemand für völlig normalen und gesunden Ausfluss schämen sollte - oder ihn unbedingt wegschrubben und überduften sollte, wie es die Kosmetikindustrie mit ihren Hygieneprodukten verlangt.

Das milliardenschwere Geschäft mit Selbstoptimierungsprodukten funktioniert zuverlässig über Scham. Wer seinen Körper für ungenügend hält, gibt viel Geld aus, um ihn vermeintlich aufzuwerten. Was meist nicht funktioniert und neue Schamgefühle und neue Konsumgelüste produziert. Ein lukrativer Teufelskreis, den immer mehr Menschen zu durchbrechen versuchen. Die "Body-Positivity"-Bewegung ist insofern radikal, als dass sie Körper zeigen und lieben will, die nicht den einengenden gesellschaftlichen Idealen entsprechen. Es geht um eine Diversifizierung des Schönheitsbegriffs und die öffentliche Sichtbarkeit von Unterschiedlichkeit. "Body Positivity" ist im Ursprung inklusiv und politisch. Die, die sich gemäß der Logik der Schönheitsindustrie "schämen sollten", verweigern sich durch Selbstliebe.

Produkte als materialisierte Liebeserklärung

Doch zunehmend wird auch diese Bewegung monetarisiert und in den kapitalistischen Teufelskreis eingespeist. Die Wellness-Industrie, in der Gwyneth Paltrow mit "Goop" zu einem riesigen Player geworden ist, hat einfach ihre Rhetorik geändert. Statt "du bist nicht gut genug" sagt sie "du kannst noch viel mehr tun (und kaufen), um deinem Körper deine Liebe zu zeigen". Wie das mit einer Mischung aus Spiritualität und Populärwissenschaft funktioniert, zeigt Paltrows Wellness-Weltreise in der Serie "The Goop Lab", die gerade auf Netflix gestartet ist. Produkte werden statt als Kitt für Defizitäres als materialisierte Liebeserklärung verkauft. Und wie die Vagina-Kerze zeigt, geht es letztlich doch nicht um die Akzeptanz von natürlichen Körperfunktionen. Denn eine Vagina (sorry: Spoiler) riecht eben nicht nach "Geranien, Bergamotte, Zeder, Damaszener Rose und Rosenmalve". Trotz des radikalen Anstrichs durch den genitalen Titel ist die unprovokativ duftende Kerze nicht allzu weit vom verschämten "wenn Mädchen pupsen, riecht es nach Erdbeeren" entfernt.

Inzwischen haben Studien gezeigt, dass "Body Positivity" gerade Personen mit wenig Selbstbewusstsein ähnlich stark oder sogar noch stärker unter psychischen Druck setzt als "klassische" Schönheitsideale. Die Zweifel hören nicht auf, nur die Fragen verändern sich: Wie muss "curvy" genau aussehen? Wie einen Körper lieben, der vielleicht durch Krankheit oder andere Beeinträchtigungen nicht immer so funktioniert wie gewünscht? Wie soll man beim Menstruieren die "Schönheit des Mittelschmerzes" stolz kommunizieren, wenn man mit Bauchkrämpfen auf dem Sofa kauert?


Als Gegengewicht zum neuen Positivitätsdruck findet inzwischen ein Konzept viel Zuspruch, das man mit "Body Neutrality" beschreiben kann. Wie beim "Normcore" in der Mode geht es dabei um die Weigerung, sich durch Äußerlichkeiten definieren zu lassen. Während Liebe viel Arbeit erfordert, soll eine wohlwollende Neutralität kreative Kräfte freisetzen, die sonst für Selbstoptimierung draufgehen. "Body Neutrality" heißt nicht, dass man sich nicht um seinen Körper kümmern soll, sondern dass man der Kategorie "Schönheit" (so divers sie auch sein mag) etwas von ihrer Macht nimmt. Dass der Abschied von "der besten Version deiner selbst" Freiheit bedeuten kann. Und zudem schwerer zu vermarkten ist.

Das ist natürlich alles leichter gesagt als getan, aber vielleicht verbalisiert "Body Neutrality" einen Gedanken, dem die Performance-Kunst seit Jahrzehnten nachgeht. Lebendige Körper werden in der Kunst selten als reine Boten von "Schönheit" eingesetzt. Sie sind Zeichen und Bedeutungsträger, die wandelbar sind und mit ihrer Erscheinung einem Zweck, nämlich dem Kunstwerk, dienen. Kunst-Körper lassen sich nicht über einzelne Merkmale definieren, dafür aber immer unterschiedlich lesen.

Wer weiß, was aus der Duftkerze werden könnte

Kurz vor ihrem Tod erzählte die Performance-Pionierin Carolee Schneemann, dass sie als junge Frau ihren - ziemlich idealen - Körper dazu benutzen wollte, den Zuschreibungen, die damit einhergingen, zu entkommen. Was natürlich nicht verhinderte, dass sie oft auf ihren Körper reduziert wurde. Das Älterwerden beschrieb sie daraufhin dagegen als eine ständige Neuverhandlung. Die Kategorien "schön" oder "nicht schön" verloren ihre Relevanz, es ging ihr vor allem darum, neue Geschichten zu finden, die sie mit ihrem Körper im jeweiligen Stadium erzählen konnte. Vielleicht besteht die Freiheit darin, Körper überhaupt nicht mit einem vermeintlichen Ideal zu vergleichen, sondern als Medium, mit dem man sich ausdrücken kann. 

Das Wort "Body Neutrality" hätte Carolee Schneemann wahrscheinlich nicht benutzt, aber es gibt viele Künstlerinnen und Künstler, die zeigen, wie man Körper als Instrument einsetzt, ohne dass das Äußere an sich im Zentrum steht und bewertet werden muss. Wer weiß, was sich aus der Duftkerze machen lässt. "This Smells Like My Vagina" wäre auf jeden Fall ein guter Titel für eine Performance.