Victoria and Albert Museum

Kein Body ist perfekt

Seit drei Jahrzehnten greift er mit Schere, Stoff und Schnitten die Kleidercodes des Westens an. Yohji Yamamotos Kampf gegen die etablierte Silhouette inszeniert die Londoner Retrospektive mit einer Armee der kantigen, „unförmigen“ Entwürfe, für die der Designer so berühmt wurde. Der Freiraum zwischen Körper und Kleidungsstück ist dem Japaner heilig. Sichtbar wird das an jedem der über 80 Werke. Am dunklen, clownesk-übergroßen Herrenanzug, der in den 80er-Jahren Uniform der Kreativen wurde, und an den schwer fallenden Mänteln und sich kokonhaft wölbenden Röcken.

Es gibt keine Sicherheitsabstände, und so darf man ganz nah herangehen an Filz oder Gabardine, die der 67-Jährige wie Lebewesen behandelt. Assistenten sollen die Stoffe fallen hören und dadurch den perfekten Schnitt erahnen, Knöpfe verteilen sich scheinbar konzeptlos über Kleider. Nicht perfekt zu sein ist eines seiner wichtigsten Prinzipien, Yamamoto möchte 90 Prozent eines Kleidungsstücks definieren und die letzten zehn Prozent offenlassen für den Träger, der es mit Leben füllt.

Nach Schildchen an der Wand sucht man in der Schau vergebens, und genau diese Leerstelle macht das Ganze aus. Man steht inmitten unzähliger Entwürfe aus den vergangenen drei Jahrzehnten, rätselt über die Chronologie und geht dem Couturier in die Falle. Ein rotes Kleid, das sich zu korallenartigen Strukturen verwächst, könnte aus der vorigen Saison stammen, doch das Faltblatt verrät das wahre Entstehungsdatum: 1990. Yamamotos Streben nach Zeitlosigkeit ist im Bereich der ständig wechselnden Mode an sich schon ein Paradox.

Berührend wirken die Fotos der Großen, die mit ihm gearbeitet haben. Pina Bausch strahlt in einer Kreation unerträgliche Anmut aus. Ein anderes Bild zeigt den Theatermann Heiner Müller, angestrengt, rauchend. Bayreuth atmete 1993 schwer unter seiner Version von „Tristan und Isolde“. Yohji Yamamoto steckte die Darsteller in kubistische Kostüme und vollendete Müllers Werk.

Victoria and Albert Museum, London, bis 10. Juli