Text: Julia Schmitz
Die einen befürworten sie, die anderen lehnen sie strikt ab: Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz spaltet die Gemüter. Katja Novitskova wirft mit ihrer Installation "Pattern of Activation (planetary bonds)" die Frage auf, wie eine vollständig technologisierte Zukunft aussehen könnte.
Was würde passieren, wenn künstliche Intelligenz, vom Menschen geschaffen, diesem die Fäden aus der Hand und die Regie über die Welt übernehmen würden – wäre die Menschheit damit von den Sorgen der Wirtschaftskrisen, politischen Unruhen und der Klimaerwärmung erlöst oder käme es einem dystopischen Horrorszenario gleich? Befinden wir uns, als tägliche Nutznießer der Digitalisierung, vielleicht sogar bereits kurz vor einer revolutionären Umwälzung der Machtverhältnisse – oder haben mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Maschinen ganz im Gegenteil überhaupt kein Interesse am Menschen? Mit ihrer 2015 entstandenen Installation "Pattern of Activation (planetary bonds)" stellt die 1984 in Estland geborene Künstlerin Katja Novitskova diese Fragen in den geschützten Raum einer Ausstellung und löst eine Mischung aus Verwunderung, Ratlosigkeit und Widerwillen im Betrachter aus.
"Bis 2030 kann das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands durch den Einsatz von intelligenten Robotern um bis zu vier Prozent höher liegen als ohne ihren Einsatz", heißt es in einer kürzlich veröffentlichten McKinsey-Studie.[1] Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch, Roboter lernen schnell, machen selten Fehler und lassen sich – vielleicht der wichtigste Vorteil gegenüber dem Menschen – nicht von Emotionen leiten. Schon länger übernehmen sie eintönige Fließbandarbeiten in der Industrie und entlasten den fehleranfälligen menschlichen Arbeiter. Doch sind sie wirklich unsere Zukunft?
Wenn sie sich so gestaltet, wie Katja Novitskova sie in ihrer Installation "Pattern of Activation (planetary bonds)" imaginiert, möchte man sich fast lieber mit den Umständen der gegenwärtigen Welt abfinden: Im Schatten der auf Überlebensgröße gezogenen Darstellungen eines bräunlich schimmernden Planeten sowie eines Enzyms wiegt sich eine automatische Babywiege im Takt ihres eigenen Rhythmus. Anstatt eines Säuglings schaukelt sie jedoch eine amorph wirkende Masse aus durchsichtigem, mit grellen Linien bemaltem Kunststoff, bewacht von einem rotierenden Tentakelkranz. Lange schwarze, künstliche Haare an den Beinen der Wippe verleihen ihr etwas Tierisches, das im merkwürdigen Kontrast zur augenscheinlichen Künstlichkeit des Gerätes steht. In einer weiteren Wippe laufen drei rostrote Krabben in einem aufgehängten Glasbehälter um ihr Leben; ihr hektisches Krabbeln ohne Ziel wird verhöhnt durch zwei grüne Plastikschmetterlinge an den Rändern der Skulptur, die zwar flugunfähig, dafür aber nicht eingeschlossen sind.
"Pattern of Activation (planetary bonds)" ist eine für die Künstlerin typische Assemblage aus Konsumprodukten und Elementen der digitalen Welt. Als "Digital Native" und bekannte Vertreterin der Post-Internet-Art – einer Kunstform, die den unerschöpflichen Fundus des Internets als Grundlage für ihre Arbeiten nutzt – reist sie durch die Untiefen der digitalen Welt, der Werbung und des Corporate Designs und sammelt Fundstücke wie bei einem Spaziergang am Meer. Ihre Faszination für Biologie, Technologie und vor allem für das Feld der künstlichen Intelligenz steht dabei im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Später werden die gesammelten Bilder, wissenschaftlichen Texte und Tabellen von ihr in eine dreidimensionale Form übertragen und bilden in einer installativen Zusammensetzung in Galerien und Museen eine Art neue Lebensform. Indem Ausstellungsbesucher die greifbar gewordenen Objekte fotografieren und erneut im digitalen Kontext veröffentlichen, kommt es zu einer Rückführung von der realen in die virtuelle Welt – es entsteht ein Kreislauf, der beliebig lang fortgeführt werden kann. Katja Novitskova untersucht so den Einfluss, den die Digitalisierung und unsere ständige Nutzung derselben auf die Kultur haben, und die Frage, welches Potenzial die Kunst überhaupt besitzt, sich inmitten von Wirtschaftskrisen, Überbevölkerung und dem Rechtsruck der Gesellschaft noch in ihrer Position zu behaupten.
Katja Novitskova sucht nach Antworten, indem sie die Auswirkungen der ständig fortschreitenden Technologisierung nicht nur hinterfragt, sondern zum zentralen Punkt ihrer künstlerischen Arbeit macht. Mit ihren Installationen evoziert sie einen leichten Grusel, der aus der widersprüchlichen Lebendigkeit toter Materie entsteht: aus den amorphen Wesen, die zu atmen scheinen und dennoch mit keiner uns bekannten Lebensform in Verbindung gebracht werden können. Es sind keine Anzeichen menschlichen Lebens zu sehen. "Pattern of Activation (planetary bonds)" entwirft einerseits ein düsteres Szenario, nach dessen Betrachtung man überzeugt ist, dass die Entwicklung künstlicher Intelligenz nur bis zu einem gewissen Grad weitergeführt werden sollte. Andererseits wird die Überlegung laut, ob sich diese unmenschlichen Wesen überhaupt um unsere Anwesenheit kümmern: Die Annahme, sie strebten nach der Übernahme der Weltherrschaft und der Ausmerzung des Menschengeschlechts, zeigt die egozentrische Sichtweise unserer Spezies, die sich stets als den Mittelpunkt des Universums betrachtet und in der Ausnutzung von Machtverhältnissen erprobt ist. Aber haben mit künstlicher Intelligenz befähigte Maschinen überhaupt Interesse an uns?
Julia Schmitz lebt und arbeitet als freie Journalistin in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt auf der zeitgenössischen Kunstszene und den vielfältigen Spielarten der Kultur.
[1] https://www.mckinsey.de/kuenstliche-intelligenz-wird-zum-wachstumsmotor-fuer-deutsche-industrie, zuletzt abgerufen am 9.5.17.