100 Jahre Chelsea Flower Show

Karneval der Hortikulturen

Vergesst die London Fashion Week! Das wahre It-Event der Stadt ist die Chelsea Flower Show. Vor 100 Jahren wurde die königliche Gartenschau gegründet

Sie ist eine Art Modewoche für Pflanzenfreunde, bei der Gartendesigner aus der ganzen Welt ihre neuesten Kreationen vorführen: Zur Chelsea Flower Show, die vor 100 Jahren gegründet wurde, kommen 600 Aussteller, darunter 100 mit Blumen, präsentieren exotisch-experimentelle Züchtungen, die mit mancher Haute-Couture-Kollektion konkurrieren können. Und auf dem Schwarzmarkt werden die Karten für die Veranstaltung schon mal für das Sechsfache des Originalpreises angeboten.

Dass es sich bei der Chelsea Flower Show nicht nur um ein Hobbyevent handelt, lässt sich bereits an der Aufmerksamkeit der Medien erkennen. Im vergangenen Jahr kamen Hunderte Journalisten zum offiziellen Pressetag. Und die BBC sendete jeden Abend zur Primetime live aus Chelsea. Zu den Millionen von Zuschauern gehören vor allem Nichtgartenbesitzer. Das liegt an den Auszeichnungen, die wie bei einem Sportereignis in Form von Bronze-, Silber- und Goldmedaillen in den Kategorien „Urban Gardens“ bis „Floral Display“ vergeben werden. In der Sparte „Show Gardens“ liefern sich einige der weltbesten Gartendesigner einen Wettkampf, weshalb über Nacht schon mal eine Skulptur verschwinden kann. In der Preiskategorie „Small Gardens“ sorgen die Newcomer für Dramen: etwa wenn der schwedische Gärtner die Türen seines Trucks öffnet, um festzustellen, dass seine gesamte Lilienpracht darin vertrocknet ist.

Tatsächlich ist bei der Chelsea Flower Show das, was in den fünf Tagen zu sehen ist, das Ergebnis monate-, nicht selten jahrelanger Arbeit. Für die rund 40 präsentierten Gärten probieren die internationalen Aussteller zu Hause Pflanzensorten in den innovativsten Kombinationen aus, um sie anschließend in London Halm für Halm nachzubauen. Tulpen und Narzissen werden in Kühlschränken im künstlichen Winter gehalten und per Heißluftfön in Chelsea zum Leben erweckt. Überhaupt ist die Show ein Beispiel für britischen Pragmatismus. Neue Terrakotta-Töpfe bestreichen Teilnehmer mit Joghurt, damit sich Flechten ansiedeln und die Gefäße antik wirken lassen. Und gegen unerwünschte Blätter auf den Beeten hilft ein Staubsauger.

Der Zustand einer Hecke sagt mehr als eine Visitenkarte

Die Verbundenheit der Briten mit ihren Gärten hat sich über Jahrhunderte entwickelt. Schon während der Regentschaft von Charles II., im 17. Jahrhundert, waren dekorative Anlagen angesagt. Den Viktorianer galt die Ordentlichkeit der Hecke als aussagekräftiger als eine Visitenkarte. Und während der Weltkriege wurden den Briten größte Opfer abverlangt, wenn sie im Rahmen der war efforts ihre Rasen in Kartoffelfelder umpflügen mussten. In den derzeit wirtschaftlich schwierigen Zeiten bieten allerdings nicht wenige ihre Grünflächen freiwillig Touristen zum Campen an (für Interessierte: Campinmygarden.com). Die Leidenschaft fürs Grüne hat sich außerdem mit dem Trendthema ethisch korrektes Leben verwoben: Zur modischen Jutetasche und der Recyclingbox im Vorgarten passt ein rankender Kürbis im Blumenbeet. 

Nachhaltigkeit steht im Jubiläumsjahr der Gartenschau ohnehin an oberster Stelle. Die Designerin Kate Gould etwa hat ihren Garten, genannt „The Wasteland“, mit alten Industriematerialien wie Wellblech gestaltet.

Auch das ist Chelsea: ein Barometer britischer Befindlichkeit. So sorgte die Entscheidung des Organisators, der Royal Horticultural Society, in diesem Jahr erstmals Gartenzwerge zuzulassen, bei nicht wenigen gardners für Entsetzen. Schließlich gilt die Chelsea Flower Show als Aushängeschild des formellen, englischen Gärtnerns mit seinen eleganten Rasenlandschaften und farblich vorhersehbaren Staudenkombinationen.

Eine Stimmung wie beim Primark-Ausverkauf

Tatsächlich kann der Beschluss als symptomatisch für die Aufhebung der rigiden Klassenstruktur in der britischen Hortikultur gesehen werden. Zu den Ausstellern der Chelsea Flower Show gehören heute Hausfrauen und Kinder genauso wie Banken. 250000 Pfund kostet es mindestens, einen „Show Garden“ aufzubauen. Gesponsert werden diese Anlagen von Firmen wie der Royal Bank of Canada und dem Investmentmanager Brewin Dolphin. Chelseas Hauptgeldgeber ist die Fondsgesellschaft M&G.

Auch bei der Gala-Preview sind weniger in Tweed gekleidete Gartenfreunde als Anzugträger zu sehen, darunter russische Superreiche, die in den Westlondoner Bezirk gezogen sind, und Tory-Größen wie John Major. Dazu gesellen sich Prominente wie Schauspielerin Joan Collins und Topmodel Cara Delevingne. Beim Gespräch über den Kauf eines John-Deere-Rasenmähers (ein Schnäppchen für 2000 Pfund) lassen sich wunderbar Visitenkarten austauschen. Neben rund 15000 Teetassen wurden im vergangenen Jahr 1000 Champagnerflaschen geleert.

Die Briten nehmen diese Entwicklung eines traditionellen Festivals mit erstaunlicher Gleichgültigkeit hin. Interessanter finden sie, was die Schau am letzten Tag zu bieten hat. Vor dem Abbau offerieren die Designer ihre Kreationen zu Niedrigstpreisen. Ein wenig erinnert die Stimmung dann an einem Primark-Ausverkauf. Mit Tüten voller Pflanzen und dem einen oder anderen Baum steigen die Besucher in die U-Bahn. Dort geht die Chelsea Flower Show in die Endrunde.

Chelsea Flower Show, London, 21. bis 25. Mai