Politik hatte schon immer eine Menge mit Performance zu tun - und die Kunst ist von Herrschergemälden über Reiterstandbilder bis zu embedded photography ein effektives Mittel zur Inszenierung von Macht. Auch wenn noch immer nicht ganz klar ist, wie ernst Rapper Kanye West es mit seiner Kandidatur zum US-Präsidenten meint (und ob er die Bewerbungsfristen überhaupt noch einhalten kann), hat seine gerade erst keimende Kampagne schon jetzt die Qualität eines absurden Konzept-Spektakels - wobei das genaue Konzept und der Ironiegehalt bisher unklar sind.
Der Rapper kündigte an, seinen Kumpel und Space-X-Gründer Elon Musk zum Leiter des US-Weltraum-Programms zu machen, trat bei einem ersten Wahlkampf-Event in schusssicherer "Security"-Weste auf und brach auf der Bühne in Tränen aus, als er von den Plänen seines Vaters erzählte, ihn abtreiben zu lassen. Dem Magazin "Forbes" sagte er in einem mäandernden Interview, dass er seine Phase als Trump-Unterstützer hinter sich lasse und das Organisationsmodell des Weißen Hauses gern am fiktiven Staat Wakanda aus dem Marvel-Blockbuster "Black Panther" orientieren würde. Tech-affine Heldenphantasien treffen auf eine gekränkte Kinderseele. Wenn es eine Performance ist, trifft sie ziemlich präzise die Verfasstheit eines weltweit anzutreffenden megalomanen Herrschertyps. Wenn es ernst gemeint ist, wird es praktisch unmöglich, die politische Realität noch mit Fiktion zu übertreffen.
Monumentale Egos unter sich
Ästhetisch interessant ist auch einer von Kanye Wests Twitter-Posts, in dem er seinen Kopf in das Präsidentenquartett des National Memorial Mount Rushmore im US-Bundesstaat South Dakota photoshopte. Die Gleichsetzung mit den steinernen Bildnissen der Präsidenten George Washington (erster US-Präsident), Thomas Jefferson (3.), Theodore Roosevelt (26.) und Abraham Lincoln (16.) zeugt zuerst einmal von einem monumentalen Ego, das es mit den 18 Meter hohen Porträts im Felsen aufnehmen kann.
Bei näherer Betrachtung lässt sich die digitale Montage jedoch auch als Beitrag zur anhaltenden Debatte um Denkmäler lesen. Durch die jüngsten anti-rassistischen "Black-Lives-Matter"-Proteste ist auch Mount Rushmore vom obligatorischen Ausflugsziel und beliebten Film-Hintergrund in der öffentlichen Wahrnehmung wieder zu einem umstrittenen Ort geworden. Aktivistinnen und Aktivisten erinnern immer wieder daran, dass die gefeierten founding fathers der USA ihre Nation auf der Ausbeutung, Vernichtung und Versklavung Schwarzer Menschen und Native Americans gebaut haben. Außerdem wurde das Memorial 1941 auf einem Stück Land geschaffen, dass für die indigene Community der Dakota Sioux heiliges Territorium ist.
Mount Rushmore ist ein Ort, der spaltet. Und so war es sicher kein Zufall, dass US-Präsident Donald Trump seine Rede zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli vor der Kulisse seiner Vorgänger hielt - und die "Black Lives Matter"-Bewegung als "angry mob" bezeichnete, die mit dem Sturz von Statuen die großartige Vergangenheit der USA auslöschen wolle.
Wenn sich Kanye West nun per Fotomontage in die illustre Gesellschaft von Washington, Jefferson, Roosevelt und Lincoln begibt, ist das zwangsläufig ein Beitrag zur aktuellen aufgeheizten Debatte. Kanye West ist in der Black Community eine umstrittene Figur - unter anderem wegen seiner zeitweise offensiv zur Schau gestellten Trump-Verehrung mit "Make America Great Again"-Mütze und diffusen Aussagen zur Sklaverei als bewusste Entscheidung der Schwarzen Bevölkerung. Außerdem wurde ihm vorgeworfen, mit seiner Kandidatur die Stimmen Schwarzer Wähler vom Demokraten Joe Biden abziehen zu wollen und damit letztendlich Trump zu nützen.
West lässt das umstrittene Monument für sich arbeiten
Dass West sein neues Musikvideo vom Künstler Arthur Jafa produzieren ließ, wurde als Wiederannäherung an die Community und Solidaritätsbekundung an die "Black Lives Matter"-Bewegung gewertet. Die Mount-Rushmore-Collage steht dieser Lesart auf den ersten Blick entgegen - lässt sich jedoch auch als Alternative zum aktuellen globalen Bildersturm interpretieren. Kanye West benutzt die Geschichte in Hip-Hop-Manier als Sample und deutet sie somit für seine Zwecke um. Er eignet sich einen von der White Supremacy geprägten Ort für die eigenen Machtansprüche an und lässt die umstrittenen Präsidenten sozusagen für sich arbeiten. Eine ähnliche Strategie verfolgten Beyoncé und Jay-Z 2017 mit ihrem Video "Apeshit" im Pariser Louvre. Sie inszenierten sich in einer vom Kolonialismus geprägten Umgebung als neues popkulturelles Herrscherpaar und verliehen einem Ort, der von Weißen für Weiße geschaffenen wurde, eine neue Dimension.
Diese Aneignung ist sicherlich keine Pauschal-Lösung für Monumente mit rassistischer Implikation und ersetzt keineswegs die Debatte um den Umgang damit. Und natürlich braucht es bereits eine gewisse Sichtbarkeit und Diskursmacht, um sich diese Symbole einverleiben zu können. Doch Kanye Wests Mount-Rushmore-Trick führt vor Augen, dass Deutungshoheit immer verhandelbar ist. Und wie effektiv sich durch die heutige Bilderzirkulation neue Narrative in die Welt setzen lassen. Was davon politische Realität wird, muss sich noch zeigen.