Seit einigen Jahren zeichnet die belgische Künstlerin Joëlle Dubois in ihren Bildern bitterböse Kommentare auf unsere heutigen Kommunikationsgewohnheiten und Beziehungen. Fast immer sind es Frauen, die in ihren Malereien vor dem Spiegel stehen oder auf Möbeln fläzen, mal mit, mal ohne Partner oder Partnerin, aber fast immer mit einem Handy in der Hand.
Gleichzeitig zeigen ihre Bilder Frauen und ihre Körper, so, wie sie sind, erschöpft, mit strähnigen Haaren, einsam und gleichzeitig stark und selbstbewusst. Und immer steckt sie auch ein Stück ihrer eigenen Erfahrungen und Beziehungen in ihre Werke. Mit ihrer neuen Werkreihe, die aktuell in der Kölner Galerie Thomas Rehbein zu sehen ist, kommt nun ein ganz neues Thema in ihre Arbeit: Die Alzheimer-Erkrankung ihrer Mutter, der Umgang damit und das große Thema Vergessen und Vergessenwerden.
Joëlle Dubois, in Ihrer neuen Ausstellung "Forget me not" geht es um ein sehr persönliches Thema: die Alzheimer-Krankheit Ihrer Mutter und Ihren Umgang damit. Können Sie mir mehr darüber erzählen, wie Sie das Thema künstlerisch angehen?
Was das Konzept angeht, ist diese Ausstellung etwas völlig anderes als das, was ich bisher gemacht habe. Das Vergessen und Vergessenwerden ist eine der größten Ängste des Menschen, vor allem, wenn er mit einer anderen Person tief verbunden ist. Denn was bleibt von uns übrig, wenn die Erinnerung verblasst? Was sind wir dann und was waren wir vorher? "Vergiss mich nicht" ist ein Imperativ, eine Bitte und ein persönlicher Wunsch – eine Mahnung, nicht zu vergessen.
Wie äußert sich diese in Ihren Bildern?
Ich denke, die Bilder sind immer noch sehr erkennbar, obwohl die Hintergründe nüchterner sind. Es gibt eine gewisse Dunkelheit, Stille und Traurigkeit in meinen neuen Arbeiten, die von dieser Erfahrung herrühren. Ich hatte den Wunsch, eine bestimmte Geschichte zu erzählen, aber auch mit Menschen in Kontakt zu treten und etwas zu thematisieren, das viele Menschen durchmachen. Der Schwerpunkt ist also sehr unterschiedlich. In der Ausstellung geht es um das Konzept des Vergessens. Nicht nur meine Mutter vergisst mich, sondern in gewisser Weise vergesse auch ich sie. Zum Beispiel fällt es mir jetzt schwer, mich an sie zu erinnern, wie sie früher war. Ihre Krankheit hat einen so großen Einfluss und hat sie so sehr verändert.
Mir ist aufgefallen, dass sich Ihr Stil verändert hat. Die Schauplätze oder Innenräume scheinen nicht mehr so wichtig zu sein. Oder ist es vielleicht das Innere der Person, die Sie darstellen, die innere Welt statt des sichtbaren Äußeren?
Ja, genau. Deshalb reduziere ich auch viele Hintergründe oder dekorative Objekte. Das Thema Vergessen ist sehr vage, wie stellt man so etwas dar? Deshalb beziehe ich mich bei dieser Ausstellung auf den Surrealismus und baue eine Menge Symbolik als Hinweis auf das Vergessen ein.
Sie haben schon immer mit Ihrer eigenen Vorstellung von Symbolik gespielt, jetzt ist sie wieder da in den Vanitas-Symbolen, dem Totenkopf, den Blumen... Können Sie ein wenig beschreiben, wann und warum Sie diese verwenden?
Es ist meine Art, über die emotionalen Aspekte zu sprechen und den Leuten Raum zu geben, ihre eigenen Assoziationen und Gedanken zu entwickeln. Es gibt das Bild mit einer Schale Eiern und Fliegen. Das sind natürlich typische und bekannte Objekte aus der Kunstgeschichte. Die Eier stehen für das Leben und die Geburt, aber die Fliegen stehen für den Verfall und auch für die Verwundbarkeit des menschlichen Lebens.
Wie lange ist Ihre Mutter schon krank?
Ich glaube, es begann etwa 2017. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, denn es geht sehr langsam, in dem Sinne, dass man es am Anfang nicht wirklich merkt. Zwei oder drei Jahre lang haben die Ärzte nur gesagt, du hast einfach viel Stress, du bist müde.
Weil sie Dinge vergessen hat?
Ja, aber es ist nicht nur das Vergessen von Dingen, es ist auch eine Art Verwirrung oder Vernebelung, die sie empfand, und sie hatte Symptome wie Aphasie und Apraxie. Ihre Wahrnehmung von Zeit und Raum wurde abstrakt, und sie vergaß, wie man Wörter ausspricht. So hat es angefangen.
Ist die Beschäftigung mit der Krankheit Ihrer Mutter in Ihrem Werk ein persönliches Bedürfnis, sich damit auseinanderzusetzen, oder gibt es ein breiteres Interesse am Thema Krankheit, Schwäche, das nicht nur Ihre persönliche Geschichte, sondern eine allgemeine Diskussion darüber betrifft?
Jetzt habe ich das Bedürfnis, diese persönliche Geschichte zu erzählen, auch um mit diesem Verlust fertig zu werden. Ich mache mich dadurch sehr verletzlich. Meine Kunst ist für mich immer eine Möglichkeit, Dinge zu verarbeiten, aber ich lasse auch genug Raum für die Menschen, um sie auf ihre eigene Weise zu interpretieren. Denn Demenz ist heutzutage sehr aktuell, und so viele Menschen sind davon betroffen. Viele Leute erzählen mir: "Meine Mutter hatte das auch, oder meine Tante, oder meine Großmutter…" Das Thema ist einfach sehr aktuell.
Intimität spielt eine große Rolle in Ihren Werken. Intimität zwischen Liebenden oder Ex-Liebenden, körperliche Intimität. Ich habe das Gefühl, dass es jetzt um eine andere Ebene der Intimität geht, aber diesmal nicht um eine erotische.
Ich reflektiere immer über Themen, die in meinem Leben präsent sind. Die Intimität steht für die Beziehung zu meiner Mutter oder für das Konzept, jemanden zu verlieren. Aber auch die verschiedenen Gefühle, die diese Situation begleiten.
In der Ausstellung gehen Sie erstmals auch ins Dreidimensionale und arbeiten installativ.
Ich mag es, mich selbst herauszufordern, ich zeige zwei Installationen in der Ausstellung. Die eine ist eine begehbare "Moon cave". Die Höhle ist ein Verweis auf einen universellen Aspekt der Kindheit, verweist aber auch auf die Mutterschaft und die Entstehung von Leben, und damit auch auf das Gefühl von Heimat und Geborgenheit. Die Höhle ist in einen weißen Stoff gehüllt, der mit traditionellen flämischen Spitzendeckchen verziert ist. Die handgestrickten Objekte verkörpern nicht nur das Handwerk, das von Generation zu Generation weitergegeben wird, sondern drücken auch ihre zerbrechliche Anmut in der Verzierung der Spitze aus.
Und die zweite?
Die zweite Arbeit ist eine Neonschrift "I am my mother's daughter". Unser Haus war voll mit alten Neonbuchstaben, die meine Mutter gesammelt hat. Außerdem liebte sie bunte Farben, jede Wand in unserem Haus hatte eine andere Farbe. Das ist wohl der Grund, warum ich Farben so sehr liebe. Wenn ich etwas erschaffe, fühle ich diese Verbindung zu meiner Geschichte, als Mensch, aber auch als Künstlerin. Es ist wie ein Puzzle, das sich während des Malens zusammensetzt. Ich bin stolz auf meine Geschichte, und mit diesen Installationen möchte ich meine Vorfahren ehren und meine Vergangenheit bewahren.
Bekommt Ihre Mutter noch mit, was Sie in Ihrer Kunst machen und dass sie die Hauptfigur ist? Können Sie mit ihr darüber sprechen?
Nein, nicht wirklich. Sie weiß, dass ich etwas Kreatives mache, und ich weiß, dass sie sehr stolz ist.
Dieses ganze Konzept von Alter und Krankheit ist auch mit einer Art Schamgefühl verbunden. Wenn man jemandem davon erzählt, wissen die Leute oft nicht, wie sie reagieren sollen. Andererseits werden wir alle früher oder später mit Alter und Krankheit in Berührung kommen. Mit unserem eigenen Alter, aber auch damit, dass unsere Eltern altern und krank werden. Und trotzdem ist es so schwer, darüber zu reden. Dabei ist es das Normalste der Welt, dass diese Dinge passieren.
Ich denke, in unserer Gesellschaft sind wir sehr darauf bedacht, jung zu bleiben. Ich denke, wir haben in gewisser Weise Angst vor dem Älterwerden. Auch die Art und Weise, wie wir ältere Menschen in unserer Gesellschaft, in der westlichen Gesellschaft, behandeln. Wir entfernen uns immer mehr von unserer Natur, das ist auch ein Thema, das in meiner früheren Arbeit vorkam. Ich versuche, den natürlichen Körper zu normalisieren, aber jetzt geht es eher darum, den Lebenskreislauf zu normalisieren und das Stigma loszuwerden. Das Altern ist einfach ein Teil des Lebens, wir müssen es akzeptieren. Früher habe ich versucht zu malen, um meine Unsicherheiten in Bezug auf meinen Körper oder mein Frausein zu akzeptieren. Aber jetzt versuche ich, mich meinen eigenen Zweifeln oder meiner eigenen Unsicherheit durch die Kunst zu stellen und sie zu akzeptieren. Indem ich dies male, akzeptiere ich die Krankheit meiner Mutter.
Sie haben einmal gesagt, dass die Frauen auf Ihren Bildern wie Ihre Vorbilder sind, weil sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen und die Macht über ihr Handeln zurückgewinnen. Sind Sie sich auch ein Stück weit selbst ein Vorbild?
Ja, in gewisser Weise ist das auch ein Versuch, diese Situation oder diese Rolle, die ich jetzt ausfüllen muss, zu akzeptieren. Es ist fast therapeutisch, weil ich mich mit diesen Dingen auseinandersetze. Und ich bin froh, dass ich darüber malen kann, um es loszulassen. Die Mutter-Tochter-Beziehung hat sich völlig verändert. Eigentlich ist es jetzt umgekehrt, und ich muss auch meine eigene Mutter sein, was ein interessantes und dankbares Thema für die Arbeit ist. Die Ausstellung im Oktober in meiner belgischen Galerie wird eine Erweiterung dieser Ausstellung sein. Viele Leute waren besorgt, ob die Ausstellung nicht zu deprimierend sein würde. Ich denke, es wird für viele Leute schockierend sein. Aber es ist mir eigentlich egal, was andere Leute darüber denken. Ich wollte dieses eher deprimierende Thema nehmen und etwas Schönes daraus machen. Es hat alle möglichen Farben in sich. Es sind nicht nur dunkle Bilder.
Das Gespräch ist ein Auszug aus einem Interview von Joëlle Dubois für And She Was Like: BÄM! , den wir vorab veröffentlichen