Sie fotografierte die Beatles, Romi Schneider und Dalí, berichtete über die wichtigsten Sportereignisse Spaniens und schuf Mode-Reportagen und Plattencover. Sie hätte eine der Großen der Fotografie sein können. Und plötzlich war sie weg.Joana Biarnés (1935 bis 2018) teilt ein Schicksal, das viele Frauen in der Kunst erleben: jahrzehntelang verschollen und erst spät wiederentdeckt. Inzwischen gilt die spanische Künstlerin als erste Fotojournalistin der iberischen Halbinsel. Nun werden ihre Fotografien erstmalig in Deutschland gezeigt. Noch bis zum 1. Mai 2022 ist die Ausstellung "Joana Biarnés – Disparando con el corazón – Mit dem Herzen gesehen" im Berliner F³ – Freiraum für Fotografie zu sehen.
Katharina Mouratidi, künstlerische Leiterin der Institution und Kuratorin der Biarnés-Ausstellung kombiniert in der Zusammenstellung eine eindrucksvolle Auswahl aus Street-Photography, intimen Momenten hinter den Kulissen und Auftragsarbeiten. Die Schau zeigt so einen vielseitigen Querschnitt durch Joana Biarnés' Werk: Ob Stierkampf, Filmset oder Nachtleben, ihre Motive fangen das Spanien der 50er- bis 80er-Jahre ein und geben Einblicke in das Leben einer Künstlerin, die trotz anhaltender Kritik standhielt.
"Alles was ich tat, habe ich immer nur gemacht, damit mein Vater stolz war. Die Idee Fotografin zu werden, entstand eher nebenbei", erzählt Biarnés im Ausstellungsfilm, der chronologisch durch ihr bewegtes Leben führt. Bereits im Alter von 18 Jahren fing sie an, ihrem Vater, dem Sportfotografen Joan Biarnés, bei Reportagen und dem Entwickeln von Fotos zu assistieren. 1954 schrieb sie sich seinem Vorschlag folgend an der Esuela Oficial de Periodismo in Barcelona ein und studierte Journalismus. Ein gewagter Plan, der in ihrem Umfeld für Widerstand und Vorurteile sorgte. Zur Zeit des Franco-Regimes herrscht in Spanien ein sehr traditionelles Rollenbild, gegen das sich die junge Fotografin seit Beginn ihrer beruflichen Laufbahn behaupten musste.
"Das ist doch kein Frauenberuf!"
Im Film skizziert Biarnés Erinnerungen an ihre erste Aufgabe an der Journalistenschule: Eine Reportage über ein Schlachthaus in Barcelona: "Ich als junge Frau, die von den Schlachtern begafft wurde, als wäre ich dort zum Vergnügen. Es stank furchtbar. Dieser beißende Geruch und die Schreie der Ziegen und Kühe. Aber ich musste mich zusammenreißen und mich beweisen." Auf die Frage, ob sie denn als Frau wisse, was sie da eigentlich vorhabe, entgegnete Biarnés selbstbewusst: "Ja natürlich. Ich möchte Pressefotografin werden." Unangemessene Kommentare gehörten zum Berufsalltag: "Was machen Sie denn hier? Warum fotografieren Sie? Sie sollten nach Hause gehen und den Abwasch machen. Suchen Sie Ihren Verlobten?"
Als sie mit der Journalistenausbildung fertig war, waren alle Türen verschlossen. "Bei den Tageszeitungen wollte mich niemand haben. Alle haben gesagt 'Eine Frau? Das ist doch kein Frauenberuf!'. Aber irgendjemand musste doch die Erste sein", berichtete Biarnés und erinnert sich an ihre Reaktion. "Hören Sie bitte, behandeln Sie mich nicht wie eine Frau. Sondern wie einen Fotografen." Eine Einstellung, die sie nicht nur zum Durchhalten motivierte, sondern vor allem ziemlich gut in dem machte, was sie tat.
Ihr erster bezahlter Auftrag nach der Ausbildung war laut eigener Aussage auch ihr schwerster. Nach einer Flutkatastrophe in ihrer Geburtsstadt Terrassa, einer Industriestadt mit historischem Stadtzentrum in der Provinz Barcelona in Katalonien, dokumentierte sie die durch die Überschwemmungen verursachten Schäden. Bekannte Straßen, die nach der Verwüstung kaum wieder zu erkennen waren, tausende Tote, fassungslose Gesichter, viele Menschen vor dem Nichts. Biarnés sieht in den anfänglichen Herausforderungen ihrer Karriere den Grund für ihr Stehvermögen: "Erst das Schlachthaus, dann die Flutkatastrophe. […] Ich kann jetzt wirklich viel aushalten", erzählt sie im Film. Diejenigen, die sie kannten, beschrieben sie als durchsetzungsfähig, charmant, stets gut gekleidet und ihrer Zeit voraus. Biarnés galt als frech, modern und ironisch: Eine wirksame Kombination, die ihr später, entgegen der kritischen Stimmen, noch viele Türen öffnen und bekannte Menschen vor die Linse bringen sollte.
Unter einem Vorwand zu den Beatles
In ihren frühen Jahren übernimmt sie einige Aufträge, die über ihren Vater und später über eigene Arbeiten entstanden sind, probiert aber auch ihre freie Handschrift als Künstlerin aus und dokumentiert die Menschen in ihrem Alltag auf den Straßen von Madrid, Barcelona oder Mallorca. Ihr besonderer Blick auf das Alltägliche und ihr ständiges "Mittendrin-Sein" im Geschehen wird in der Berliner Ausstellung sichtbar.
Biarnés' freie Arbeiten dokumentieren das einfache Leben in den 1960er-Jahren. Aufgemalte Strumpfhosennähte auf den Beinrückseiten einer Frau weisen subtil und erst beim zweiten Hinsehen gleichermaßen auf die Armut und Mode der Zeit hin, Fotografien von Trans- und Schwulenbars sind Existenzbeweise von Orten, die ihrerzeit im Verborgenen bleiben mussten. Biarnés' intime Motive spiegeln ihren Mut, ihre Neugierde und die Nähe zu ihren Mitmenschen wider.
Letztere verhalf ihr wohl auch zu Schnappschüssen der Beatles 1965, in deren Hotelzimmer sie sich unter einem Vorwand schlich: "Die Fotos von den Beatles habe ich bekommen, weil ich immer diesen Drang hatte, über mich selbst hinauszuwachsen." Um die Band möglichst nicht zu stören oder gar als Journalistin aufzufallen, fotografierte sie im Hotelzimmer ohne Blitz. Biarnés im Film weiter: "Mein Vater hat immer gesagt: 'Eine Reportage, egal wie lang sie ist, muss immer dieses eine Bild haben. Immer. […] Ich habe immer darum gekämpft, Aufnahmen zu bekommen, die anders waren.'"
Rückzug und späte Wiederentdeckung
Im weiteren Verlauf ihrer Karriere arbeitete sie zunächst als einzige Frau bei der Tageszeitung "Pueblo" und gründete schließlich selbst eine Presseagentur. Sie richtete ihre Kamera auf namhafte spanische und internationale Stars und Mitglieder der High Society ihrer Zeit, war vertraut mit der königlichen Familie, inszenierte innovative Modestrecken, berichtete über die Oscar-Verleihung 1973 in Hollywood und war den Promi-Trubel schließlich leid. Enttäuscht von der empfundenen Degradierung ihres Berufs und vom zunehmenden Paparazzi-Phänomen gibt Biarnés 1984 den Fotojournalismus auf.
Sie zog sich aus der Öffentlichkeit zurück und widmete sich ihrer zweiten Leidenschaft: dem Kochen. Mit ihrem Mann, dem Franzosen Jean Michel, kaufte sie ein kleines Bauernhaus auf Ibiza und eröffnete das Restaurant Ca Na Joana, ein Treffpunkt für Freunde, Bekannte und Prominente auf den Balearen. Ihre Fotografien landeten im Archiv, bis der Journalist Christóbal Castro Jahrzehnte später auf der Suche nach ihren Fotografien der Flutkatastrophe war. Als er das Archiv sah, traute er seinen Augen kaum. "Wie ist es überhaupt möglich, dass eine Frau mit einem derartigen Talent quasi unbekannt ist? Jeder, der ihre Bilder sieht, ist fasziniert. Jeder, der sie kennenlernt, ist hingerissen von ihr. Sie ist die Kombination aus einem Charaktertypen und einer Fotografin", so Castro über Biarnés.
Erst im Jahr 2010 beginnt die öffentliche Anerkennung ihrer Person und Arbeit. Es folgten Auszeichnungen und Einzelausstellungen sowie ein Dokumentarfilm. Biarnés' Leidenschaft für Fotografie hielt trotz schwindender Sehkraft bis ins hohe Alter. In den Archivaufnahmen berichtet sie, dass sie, solange es noch möglich war, zur Fotografie zurückkehren wollte: "Jetzt, wo ich nur noch 30 Prozent meiner Sehkraft habe, weiß ich, dass das, was ich schon immer gesagt habe, wahr ist: dass wir Fotografen mit unserem Herzen fotografieren." Die Künstlerin traf die mit ihrer Bildsprache und ihrem selbstbewussten Auftreten den Nerv eines Landes, das sich nach Jahrzehnten der totalitären Herrschaft langsam nach Europa hin öffnete. Sie starb 2018 im Alter von 83 Jahren in Barcelona.