Jiny Lans Atelier befindet sich in Düsseldorf im obersten Stock eines alten Hochbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg. Ein Ort, der viele Spuren aus unterschiedlichen Zeiten vereint. Wahrscheinlich ein guter Ort, um darüber nachzudenken, was Objekte bedeuten und wie wir leben wollen. Dieser Frage widmet sich auch die in China geborene Malerin Jiny Lan, die für ihre opulenten, provokanten Porträts berühmter Persönlichkeiten bekannt ist. Ihr Merkel-Porträt, auf dem die Kanzlerin mit einer Krone aus Menschen zu sehen ist, gefällt dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner so gut, dass er es in sein Büro gehängt hat.
Jiny Lans Kunst ist für sie immer auch Gesellschaftskritik. In ihrer Arbeit spielt die Idee einer DNA eine große Rolle. Der genetische Fingerabdruck ist "das sich Zurückberufen auf das Eigentliche, das Wesentliche"; der Reset im demografischen Wandel unserer Zeit. Jiny Lan nennt ihre Kunst auch Generationenbilder. Ihre Serien sind eine große Familie, die die DNA der jeweils anderen Bilder in sich trägt. Sie verwendet Techniken, durch die sie das eigentliche Bild mit verschiedenen Medien reproduziert. Fotografien der bereits bestehenden Bilder werden auf eine große Leinwand abgedruckt, übermalt und so collagiert, so dass das neue Bild eine abstrakte Qualität bekommt.
Die Frau, die Baselitz auf den Kopf stellt
Jiny Lan sieht sich als eine Malerin im klassischen Sinne, auch wenn ihre Kunst Performance, Installationen und Video beinhalten kann. Manchmal erkennt man bei genauerer Betrachtung Exzerpte aus anderen Bildern, manchmal sind die Spuren der Erinnerung nicht mehr sichtbar. Sich mit der DNA auseinandersetzen heißt, auch über die eigenen Ursprünge und Wurzeln nachzudenken. Was sind unsere Erinnerungskulturen? "Jiny Lan: Meisterwerke" ist eine Serie, an die die 1970 geborene Künstlerin gerade in ihrem Atelier arbeitet.
Wenn man an Malermeister denkt, fallen einemNamen wie Markus Lüpertz, Gerhard Richter, Anselm Kiefer oder Georg Baselitz ein. Diesem prominenten Künstlerkreis von weißen und männlichen Künstlern widmet sich Jiny Lan, indem sie diese Charaktere bewusst in provokanten Positionen inszeniert. Ihre Leinwände sind eine Phantasiewelt aus Fotografien und Erinnerungsstücken aus ihrer Zeit in China und ihrem Leben in Deutschland. "Ich bin in einem kommunistischen Land aufgewachsen, wo die Kunst nur als Dekoration für Politik genutzt wurde", sagt die Künstlerin. "In einer Demokratie zu leben bedeutet, dass ich in meinen Bildern jeden kritisieren und anzweifeln darf, und das tue ich auch." Nachdem Georg Baselitz an seinem 80. Geburtstag behauptet hat, dass Frauen "nicht so gut malen" können, hat Jiny dieser Behauptung einen anderen Fakt ironisch entgegengesetzt: So sieht man Baselitz mit Babybauch kopfüber auf einem Wasserfall liegend, denn "Wasser fließt nach unten", das sei auch ein Fakt.
Erste feministische Künstlerinnengruppe Chinas
Jiny Lan pendelt zwischen China, Europa und Nordamerika. Als Gründungsmitglied der "Bald Girls", der ersten feministischen Künstlerinnengruppe in der chinesischen Geschichte, gilt sie als eine der Repräsentantinnen feministischer Kunst in China. Es scheint der Künstlerin Spaß zu bereiten, dass die staatliche Zensur im Osten und die juristischen Drohungen im Westen sie nicht wirklich stoppen können. Sie berührt gerne aktuelle Themen durch die Abbildung realer Menschen. Jetzt stellt die Künstlerin ihre Porträts von deutschen Großmeistern im Kabinett der Ludwiggalerie im Schloss Oberhausen aus: ein überhöhtes Spiegelbild für selbstherrliche Malerfürsten.
Seit knapp einem Vierteljahrhundert lebt Jiny Lan mittlerweile in Deutschland. Im Ruhrgebiet hat sich ihr Leben mit ihrem Mann und drei Kindern nach dem Studium an der chinesischen Hochschule der Künste in Hangzhou eingependelt. "Das Ruhrgebiet ist für mich meine zweite Heimat, hier wohne ich länger als in meiner ersten Heimat." Jiny Lan lässt den Blick noch einmal über die Bilder im Atelier schweifen, das gleißende Licht des Sonnenuntergangs lässt sie selbst fast so unwirklich wirken wie eines ihrer Porträts.