Der US-amerikanische Performancekünstler Jeremiah Day macht im Badischen Kunstverein in Karlsruhe auf einen vergessenen Helden der deutsch-amerikanischen Geschichte aufmerksam: den gescheiterten Märzrevolutionär und Amerika-Auswanderer Carl Schurz, der in den USA Innenminister wurde, für die Rechte der indigenen Bevölkerung kämpfte und sich gegen die Versklavung stellte. Seine Ehefrau Margarethe Meyer ging als die Begründerin des amerikanischen kindergarten (mit importiertem deutschen Fachbegriff ) in die Geschichte ein.
Die Wiederentdeckung dieses Aktivisten ist eines von mehreren Beispielen von politischem Eingreifen und Widerstand, die Day für seine Ausstellung mit dem schönen Titel "If Its For The People, It Needs To Be Beautiful, She Said" zusammengetragen hat. Dazu veranstaltet Day ein Rahmenprogramm aus Performances, Stadterkundung und Gesprächen. Auch Gäste wie der Hannah- Arendt-Forscher Wolfgang Heuer und die schwarze Bürgerrechtsaktivistin Joanne Bland aus Selma, USA sollen mit dem Publikum ins Gespräch kommen. Sarah Khan traf den Künstler in seinem Berliner Studio zum Interview.
Jeremiah Day, warum hat Performancekunst gerade so eine große Konjunktur?
Ich glaube, die Performance trifft auf ein großes Bedürfnis und füllt eine Lücke, wo die reine Kontemplation über ein Kunstwerk und die klassische Kunstvermittlung die Menschen nicht mehr erreicht. Andererseits wird der Performance von den Institutionen eine bestimmte Rolle zugewiesen, in der die Künstler eigentlich zu Objekten werden – sie gehen rein, sie gehen raus, sie agieren wie Roboter oder Marionetten. Das hat dann oft etwas von Spektakel. Ich dagegen verstehe Performance als Möglichkeit, Menschen mit kulturellen oder künstlerischen Fragen zusammenzubringen und dabei öffentliche Räume zu aktivieren. Deshalb performe ich auch so gerne draußen auf der Straße. Jeder kann bleiben oder weitergehen, und die Zuschauer sind eigentlich viel auffälliger, als ich es bin.
In Ihrer Kunstpraxis ist die Kollaboration mit anderen Künstlern wie der Tänzerin Simone Forti oder dem Künstlerduo Discoteca Flaming Star sehr wichtig – wie ist das entstanden?
Wir unterstützen und helfen uns als Künstler gegenseitig, wir beuten uns nicht aus. Man kann das Kollaboration nennen, aber es ist eigentlich etwas anderes, eine Art, die Arbeit fester in der Welt zu verankern, eine größere Perspektive reinzunehmen. Vielleicht erklärt es sich am besten, wenn man weiß, dass Videos, Zeichnungen und Fotos auch wichtige Materialien für mich sind, neben der Performance. Es geht eher darum, sich vom Ego des Künstlers zu befreien. In der Kunst kann es nicht um mich oder meine persönlichen Probleme gehen.
Ich habe zwei Performances von Ihnen gesehen, bei denen Sie kurz unter einen Tisch oder Computertisch krochen. Was ist das für eine Geste? Sie sahen für einen Moment aus wie eine Schildkröte.
Man arbeitet mit dem, was da ist, um auszuprobieren, was man machen kann mit dem Vorhandenen. Soll ich meinen Kopf auf den Tisch schlagen? Dabei entsteht natürlich ein Bild. Es gibt Momente, wo der Körper spricht, einige würden das "dance-y" nennen, aber meine körperlichen Möglichkeiten sind da eingeschränkt. Ich beschäftige mich zwar seit 20 Jahren mit Tanz, bin aber kein ausgebildeter Tänzer.
In Ihrer Schau für den Badischen Kunstverein thematisieren Sie den gescheiterten Märzrevolutionär Carl Schurz, der von Deutschland in die USA floh, Innenminister unter Rutherford wurde und sich für die Rechte der amerikanischen indigenen Bevölkerung und gegen die Sklaverei einsetzte. Wieso dieses Thema?
Ich frage mich manchmal, wie ich in Deutschland meinen Platz finden soll. Ich kam ursprünglich, um an einem Deutschland teilzuhaben, das es gar nicht mehr gibt, um in den Errungenschaften zu leben, die die ökologischen und Bürgerrechtsbewegungen mit sich brachten, als das Nachkriegsdeutschland noch ein humanistisches Projekt verfolgte. Das Beispiel Carl Schurz erinnert daran, dass es auch heute nicht der globale Kapitalismus ist, der diese Errungenschaften zerstören kann, sondern dass wir es sind. Wir sind aber auch diejenigen, die etwas dagegen tun können. Dieser gescheiterte deutsche Revolutionär Carl Schurz sorgte als amerikanischer Innenminister dafür, dass die Angelegenheiten der indigenen Bevölkerung dem Ministerium für Inneres zugeschlagen wurden – und nicht dem Kriegsministerium. Mit dieser politischen Finte half er, das politische und kulturelle Vermächtnis der Native Americans zu bewahren.
Ist das jetzt trotzdem wieder eine weiße, männliche Heldengeschichte, die Sie ins Zentrum stellen?
Es ist mir durchaus wichtig, mit so positiv besetzten politischen Beispielen wie Schurz zu arbeiten. Wenn ich zur afroamerikanischen Geschichte arbeite, bekomme ich manchmal den Vorwurf zu hören, dass ich das Thema ausbeuten würde. Sagen wir so: Ich bin willens, Geschichten von Afroamerikanern zu erzählen und mit den Problemen umzugehen, die dabei für mich entstehen, wie ich auch willens bin, Geschichten von weißen Männern zu erzählen – und auch dabei gerate ich vielleicht in Schwierigkeiten.