Ein Jahr Corona

Das Meer hinter dem Fenster

Die Pandemie wirbelt rund um den Globus das Leben der Menschen durcheinander. Die Berliner Künstlerin Jeewi Lee erzählt, wie sie vor genau einem Jahr in Casablanca vom Lockdown überrascht wurde – und was die Vollbremsung für ihre Kunst bedeutet hat

Mein Corona-Jahr war von absurden Zufällen geprägt. Es fing schon Mitte Februar an. Ich war in Tambacounda, einer kleinen Stadt im Senegal, um an einem Kulturfestival teilzunehmen. Fünf Minuten nach meiner Ankunft wurde ich überfallen und ausgeraubt und stand ohne Portemonnaie und Handy da. Ich bin ins nächste Hotel gerannt – und lief dort dem Board der amerikanischen Josef and Anni Albers Foundation in die Arme, die in dem Ort das Kulturzentrum Thread betreibt. Das Ergebnis: Mir wurde ein dreiwöchiges Stipendium dort angeboten.

So flog ich also erst im März zurück nach Europa. Ich wollte in Casablanca umsteigen und dort ein paar Tage bei einem Freund verbringen, dem senegalesischen Künstler Aliou Diack. Aber am Abend wurde mein Flug von Casablanca nach Berlin gecancelt, und am nächsten Morgen hat mich der Lockdown in Marokko erwischt. Man durfte das Haus nicht mehr verlassen, einkaufen nur noch mit Passierschein, alle öffentlichen Verkehrsmittel wurden eingestellt.

Der Lockdown kam früher als in Deutschland, ich war völlig überrascht. Bei der deutschen Botschaft habe ich mich nach einigen Problemen – ich habe einen koreanischen Pass, keinen deutschen – für eine Rückholaktion eingetragen. Doch ich bekam keinen Platz. Später habe ich erfahren, dass ich nicht als Notfall galt, ich war nicht alt, nicht, krank, nicht schwanger …

Navigieren statt kontrollieren

Am Ende war ich genau vier Monate in Marokko, bis man endlich wieder reguläre Flüge buchen konnte. Ich blieb in der Unterkunft meines senegalesischen Freundes und hatte dort Kontakt zu seiner Galerie. Vier Monate lang habe ich das Meer durch das Fenster gesehen, aber durfte nicht hin. Nach hinten raus gab es immerhin einen kleinen Hof mit einem Pool.

Am schlimmsten war die Unsicherheit, weil ich nie wusste, ob ich nicht doch plötzlich reisen darf. Um mich zu therapieren, habe ich mir die leeren Leinwände meines Freundes geschnappt und angefangen zu malen.

Ich habe nach Dingen gesucht, um die Zeit festzuhalten. Geradezu obsessiv habe ich an einer neuen Serie gearbeitet, wo ich mit Kaffee male. Ein Bild daraus wurde in der Ausstellung "Studio Berlin" im Berghain gezeigt, die Galerie meines Freundes in Casablanca war begeistert, und auch mit einer Galerie in Dakar gibt es jetzt eine Zusammenarbeit. Ich war eingeschlossen, aber gleichzeitig haben sich neue Türen geöffnet.

In unserer Gesellschaft ist man sehr darauf getrimmt, sich Ziele zu setzen und sie zu erreichen. Man bekommt beigebracht: Es liegt nur in deiner Hand. Aber in diesem Jahr habe ich gelernt, zu navigieren statt zu kontrollieren.

Aliou sagte zu mir: "Sei wie Wasser. Das findet immer seinen Weg."