Designerin Janne Kreimer

"Mir hat eine Umarmung immer geholfen"

Die Studentin Janne Kreimer hat eine Weste entwickelt, die durch Luftdruck Akkupressurpunkte stimuliert und so Angstzustände lindern soll. Dafür hat sie den Rimowa Design Prize gewonnen. Wir haben mit ihr über die Idee gesprochen


Janne Kreimer, Sie haben den Rimowa Designpreis gewonnen, der in diesem Jahr zum zweiten Mal verliehen wurde. Wofür?

In meinem Projekt geht es um Ängste, die uns in unserer Mobilität einschränken, weil sie Vermeidungsverhalten hervorrufen. Ich habe eine Weste entwickelt, die dabei helfen soll, sich der Exposition zu stellen, um so positive Erfahrungen in Angstsituationen zu sammeln. Die Weste soll beruhigend auf den Körper wirken, indem sie durch Luftkammern Stimulation und Akupunktur ermöglicht, um so eine Art Umarmungsgefühl zu geben. Das funktioniert mit Luftdruck.

Wie genau?

Es ging erstmal hauptsächlich darum, ein Konzept zu entwickeln. Die Weste muss nun noch weiter perfektioniert werden. Ich habe mir gedacht, dass sie mit einem leichten Mechanismus aktiviert werden kann. Entweder mit einem Knopf oder wie bei einer Rettungsweste, dass man etwas zieht. Man könnte sie auch mit einer Smart-Watch verbinden und etwa den Puls messen lassen. Denn diese Angst-Situationen sind ja auch an physischen Merkmalen des Körper messbar: hoher Puls oder Schwitzen zum Beispiel. Unglaublich, was die Technik schon bietet, da brauche ich für die Weste gar nicht mehr so viel Neues zu entwickeln.

Und wie wirkt die Weste? 

Druck wirkt auf das parasympathische Nervensystem, wie auf das sympathische Nervensystem. Das eine wirkt beruhigend, das andere eher stressend – also konträr. Und das ist eben der Clou der Weste, dass sie den Luftdruck unterschiedlich und je nach Bedarf anpassen kann. Es gibt ja auch Gewichtswesten und Gewichtsdecken, aber bei denen ist der Druck nicht steuerbar.

Wie sind Sie darauf gekommen? 

Ich bin oft sehr aufgeregt in Situationen, in denen ich mich behaupten muss. Diese Aufregung macht mich schon mein ganzes Leben fertig. Und ich wollte so einen umarmenden Charakter ermöglichen, weil mir das immer geholfen hat, wenn mich Freunde oder Familie umarmt haben. Ich habe einen Monat lang nur wissenschaftliche Paper gelesen und Psychologinnen und Heilpraktikerin befragt. Meine Schwester macht gerade ihren Doktor in Neurobiologie. Das war auch hilfreich.

Und was waren die Gestaltungsparameter?

Erst dachte ich, die Weste sollte sichtbar getragen werden und so auch ein Erkennungszeichen unter Betroffenen sein, um das Thema bekannter zu machen. Aber dann habe ich mich entschieden, dass man die Weste drunter trägt. Und ab dem Zeitpunkt hat erstmal die Technik im Mittelpunkt gestanden. Der Fashion-Charakter kam erst zum Ende wieder dazu. Die Weste ist ein schlichtes Produkt, die Funktion steht im Fokus. Ich wollte aber auch vermeiden, dass sie zu medizinisch aussieht.

Was sind die Materialien?

Am Anfang war die Frage, ob ich die Luftpolster aus Silikon gießen könnte, aber dann bin ich über das Materialbility Lab, ein Forschungsnetzwerk, das Manuel Kretzer, der bei uns lehrt, mitinitiiert hat, auf eine Technik gestoßen, an der gerade geforscht wird. Man kann nämlich auch Stoff lasern und so zwei Stoff-Schichten verschmelzen. Und ich konnte dann auch ein bisschen bei der Forschung helfen, weil es knifflig war, bei dem Laser die richtigen Settings zu finden. Da habe ich mehrere Wochen dran gesessen, damit das Material nicht geschnitten und nicht verbrannt wird. Und für die Technik, die diese Luftkammern aufbläst, bin ich noch auf der Suche. Ich hatte das Glück, dass Juroren des Rimowa Design-Preises auf mich zugekommen sind und Ideen hatten, an welche Firmen ich mich wenden kann.

Also die Weste soll auf den Markt kommen?

Ja klar, sonst braucht man doch gar nicht anfangen zu designen. Das ist natürlich immer der Traum.

Sie studieren im sechsten Semester Integriertes Design an der Hochschule in Dessau, was ist das genau?

Wir lernen Produktdesign, Kommunikationsdesign und Digitales Design. Das bedeutet, dass wir 2D, 3D und 4D lernen und uns, je nach Interessen, spezialisieren können. Das ist sehr cool, denn Design ist auch nur ein Teil von einem großen System und wir müssten viel mehr mit anderen Bereichen und Disziplinen zusammenarbeiten und unser Wissen teilen, um etwas zu kreieren und für User nutzbarer zu machen. Ich stehe jetzt alleine da und habe diesen Preis in der Hand und die Aufmerksamkeit, aber mir haben so viele Menschen geholfen. Ich habe so viel Feedback eingeholt. Wie viel Kreativität in Wissenschaft steckt, das muss man erstmal erfahren.

Was bedeutet der Preis jetzt für Sie?

Auf jeden Fall eine Schippe Selbstbewusstsein. Es ist schön, wenn die eigenen Ideen verstanden werden. Und auch die Connection zu den anderen Teilnehmern ist toll. Wir sind alle zusammen nach Köln gefahren und konnten hinter die Kulissen von Rimowa schauen und uns kennenlernen. Das wäre toll, wenn durch den Wettbewerb eine Community an junge Designerinnen und Designern entstünde, oder? Das habe ich bei meinem Projekt gelernt, dass man mit Leuten zusammenarbeiten muss.