Documenta-Schiff gestrandet

"Das Scheitern macht die Geschichte sogar stärker"

Die "Citizenship" des ZK/U im Elbe-Havel-Kanal bei Hohenwarte
Foto: Kunstrepublik, 2022

Die "Citizenship" des ZK/U im Elbe-Havel-Kanal bei Hohenwarthe auf dem Weg zur Documenta in Kassel, Sommer 2022

Mitglieder des Berliner Kunstzentrums ZK/U wollten fossilfrei mit einem Floß zur Documenta nach Kassel schippern. Wegen Niedrigwasser sitzt die "Citizenship" jedoch an der Weser fest. Was nun? Ein Anruf beim Künstler Matthias Einhoff


Matthias Einhoff, eigentlich wollten Sie mit dem ZK/U und der "Citizenship" – einem zum Floß umfunktionierten Hallendach – ohne fossile Energie von Berlin nach Kassel fahren. Jetzt steckt das Schiff in der Weser fest und wird wohl vorerst auch da bleiben. Ist es Ihnen schwergefallen, das Ganze nicht als Metapher für die Documenta zu sehen? In der Wahrnehmung von vielen Leuten ist diese ja auch auf Grund gelaufen.

Es gibt durchaus ein paar Parallelen. Insofern, als dass einige Dinge wohl nicht vorhersehbar waren und dann doch eine große Vehemenz entwickelt haben. Aber inhaltlich ist es etwas komplett anderes. Die Documenta-Debatte hat uns natürlich beschäftigt, aber vielleicht war es auch gut, das Ganze aus einer physischen Distanz zu beobachten. Dadurch wurden wir emotional nicht so stark hineingezogen, konnten fokussieren, und hatten die Möglichkeit, die Debatte von außen zu betrachten.

Auch vor Ihrem Stranden gab es Probleme mit der Strömung der Weser, die man hätte voraussehen können. Aus heutiger Sicht: War es wirklich realistisch, dass Sie in Kassel ankommen oder war das Scheitern schon mit eingeplant?

Das Scheitern war nicht im System angelegt, aber die Option stand von Anfang an im Raum. Dass wir mit diesem sehr schweren, umgedrehten Dach Probleme mit der Strömung haben könnten, war abzusehen. Aber wir hatten darauf gesetzt, dass wir auf dem Weg Lösungen finden, was wir eigentlich auch immer getan haben. Nur das Problem mit dem Tiefgang, das konnten wir dann nicht lösen. Wir haben um die 80 Zentimeter Tiefgang, der Wasserstand der Weser betrug stellenweise 60 Zentimeter. Egal, ob es jetzt regnet, das reicht nicht. Der Wassermangel hatte einfach eine zu große Auswirkung. Alle anderen Probleme, so wie der Gegenstrom, waren für uns lösbar: Mit der Unterstützung von anderen Booten, noch mehr Fahrradfahrern auf dem Boot oder kürzeren Routen.

Ist es für Sie symbolisch, dass das Projekt letztlich an der Dürre dieses Sommers, also wahrscheinlich einer Auswirkung des Klimawandels, gescheitert ist?

Das ist natürlich eine große Ironie. Wir wollten aufzeigen, wie man ohne fossile Brennstoffe eine solche Reise machen kann, und dann scheitert die am Klimawandel. Aber es ist, finde ich, dann wiederum auch ein total starkes Bild und eine klare Aussage. Die Klimakrise hat eine von uns Menschen nicht mehr veränderbare Konsequenz. Wir können nicht mal die Symptome bekämpfen, weil die Auswirkung zu groß ist. In diesem Scheitern ist ein neues Bild entstanden, was wir auch kommunizieren wollen.

Wo hat die Citizenship jetzt ihren Platz gefunden?

Vorübergehend in Rinteln am Doktorsee.

Warum gerade da?

Ein glücklicher Zufall. Wir sind in der Nähe auf Grund gelaufen, wurden aus der misslichen Lage befreit und in diesen Hafen geschleppt. Der hatte dann auch zufälligerweise einen Liegeplatz und eine kooperative lokale Community. Es hätte sehr viel schlechtere Orte zum Stranden geben können.

Ist das auch eine Form von Lumbung, dem Documenta-Konzept des Teilens?

Eine große Form des Lumbung. Das ganze Projekt war als eine Form des Gebens und Nehmens angelegt, angewiesen auf das Zusammenwirken unterschiedlicher Communities und das Teilen von Ressourcen. Auf den 450 Kilometern, die wir geschafft haben, hat das auch funktioniert.

Was waren die eindrücklichen Erlebnisse, die Sie auf der Fahrt hatten? 

Wir waren sechs Wochen lang unterwegs. Und was wirklich einen Eindruck hinterlassen hat, war, dass wir in jedem Moment der Herausforderung – und wir hatten viele davon – Unterstützung hatten. Von Leuten, von denen wir keine Ahnung hatten, dass sie existieren. Die uns einfach gesehen haben und uns für ein paar Stunden oder auch mehrere Tage geholfen haben. Es gab eine wahnsinnige Bereitschaft, Reparaturen zu machen, das Boot vorm Sinken zu retten, Essen für die Crew zu besorgen, das Boot mit Muskelkraft zu unterstützen oder einfach die Stimmung hochzuhalten. Wir hatten gehofft, es würde eine entspannte, entschleunigte Fahrt werden. Aber wir haben schnell gemerkt, dass es zeitlich wirklich eng wird, dass der Wasserstand sinkt und die Communities warten. Der Druck und die Anspannung wurden stetig größer. Ohne die Unterstützung hätten wir vielleicht schon früher das Handtuch geworfen.

Wie waren die Reaktionen von Leuten, die sich mit Schifffahrt auskennen? Haben die die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen oder eher gesagt: "Ja, warum nicht auf einem umgedrehten Dach mit Fahrrad- und Solarantrieb die Weser runter fahren?"

Man hat sich, glaube ich, total gefreut, dass es eine so unkonventionelle Idee gibt. Das hat viel Emotionales ausgelöst, weil es so eine Art von Kindheitstraum ist, den man live sieht. Ich drehe das Dach um, und dann ist es ein Boot. Und diese emotionale Verbundenheit, die sofort mit diesem Schiff aufkommt, hat Kommunikation ausgelöst.

Hat also die Geschichte besser funktioniert als die Praxis?

Die Geschichte hat sich anders entwickelt. Und die entstandenen Narrative vom Scheitern am Klimawandel finde ich fast noch stärker, als wenn wir einfach glorreich in Kassel eingelaufen wären.

Das wäre sowieso schwierig geworden, weil vor dem Zielort in Kassel eine Schleuse kaputt ist. Was ist jetzt der Plan?

Wir machen zum Ende der Documenta am 24. September eine große Zusammenkunft aller beteiligten Künstlerinnen und der lokalen Communities am Hiroshima-Ufer in Kassel. Wir wollen zusammen Seemannsgarn spinnen und Performances zeigen, die Geschichte nochmal aufleben lassen. Die Idee ist, diese Qualität des Projekts zu zeigen, die sich auch tatsächlich realisiert hat: Das Zusammenbringen von sozialen Milieus, die normalerweise selten aufeinandertreffen.

Das Boot braucht es also gar nicht dazu?

Ich glaube nicht. Das Boot hat diese Begegnung ausgelöst, aber wir können diese Geschichte auch ohne die "Citizenship" zu Ende erzählen. Das ist das Tolle an Seemannsgarn. Du bist auf einer Bootsfahrt, du kommst an Land und erzählst eine Geschichte, deren Wahrheitsgehalt schlecht überprüfbar ist. Du warst ja die ganze Zeit allein auf See. Das heißt, du kannst die Geschichte auch weiter ausschmücken, noch größer, noch grandioser oder kleiner erzählen. Und dann wollen wir diesen Moment haben, wo man die einzelnen Fäden des Seemannsgarns zu einem großen Netz zusammenbindet.

Was hat die Fahrt mit dem ZK/U als Kollektiv gemacht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass das so ganz konfliktfrei abgeht.

Es war erstaunlich, denn es gab viel Nervosität und Anspannung. Aber die Krisen wurden tatsächlich so heftig, dass es gar keine andere Wahl gab als zusammenzuhalten. Hätten wir angefangen, uns kollektiv darüber zu zerstreiten, wäre dieses Boot wahrscheinlich schon auf der Hälfte der Strecke einfach untergegangen. Also mussten wir zusammenrücken. Und die Probleme kamen ja von außen, sie waren nicht hausgemacht. Es waren einfach Dinge, die nicht vorhersehbar waren, und dadurch war es einfach zu sagen: Okay, wir müssen jetzt zusammenhalten und auch in der Kürze der Zeit und mit dem großen Druck eine Lösung finden.

"Sink or swim" sozusagen?

Genau. Entweder wir machen das zusammen, oder wir gehen gemeinsam unter. 

Sie haben gesagt, dass Sie die politischen Debatten um Antisemitismus auf der Documenta eher aus der Ferne verfolgt haben. Sie waren als Lumbung Member sehr früh im Planungsprozess dabei. Haben Sie Ihr Engagement für Ruangrupa und die Documenta je angezweifelt?

Nein. Wir haben mit unserem Projekt viel Vertrauen bekommen und konnten sehr autonom agieren. Wir standen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis von diesem Diskurs, dadurch konnten wir emotional Abstand wahren. Damit auseinandergesetzt haben wir uns natürlich. Es ging ja auch darum, eine Position zu finden, beziehungsweise auch die Positionen der anderen Künstlerinnen und Künstler zu hören und zu verstehen, was da passiert ist. Aber es hat keinen generellen Zweifel an diesem Engagement von unserer Seite aus gegeben.

Was soll längerfristig aus der "Citizenship" werden?

Daran arbeiten wir, aber es gibt noch nicht den finalen Masterplan. Wir unterhalten uns gerade auch mit anderen kulturellen Trägern. Einfach, weil wir gemerkt haben, dass das Schiff ein wahnsinnig gutes Kommunikations-Tool ist. Man muss sich ganz dieser Situation hingeben, wenn man gemeinsam auf diesen Fahrrädern sitzt und strampelt und spricht. Das sind ziemlich epische Momente gewesen. In dieser Qualität wollen wir das auf jeden Fall weiter betreiben.