Stefan Thull, Teile der der Redaktion dachten, bei Ihrer Mail handele es sich um einen Scherz. Ihre Sammlung "Die Krawatte in der Photographie" geht als Schenkung an die Kunstbibliothek Berlin/Sammlung Lipperheide. Passiert Ihnen das öfter?
Nein. Das ist jetzt kein so ausgefallenes Thema, die Krawatte begleitet uns ja nun schon eine ganze Weile. Die Sammlung ist zwar sehr konzentriert und dadurch vielleicht ungewohnt. Aber es gibt ja auch viele Krawatten-Bücher. Wahrscheinlich fast 50. 1987 habe ich im Eigenverlag die deutsche Übersetzung "Die Kunst des Krawattenbindens" von dem in Frankreich 1827 erschienenen "L‘Art de mettre sa cravate" herausgebracht. Und bei Ullstein habe ich 1990 das Buch "Krawatten. Das Handbuch" veröffentlicht.
Seit wann gibt es Krawatten?
So wie wir sie heute kennen, gibt es sie seit Ende des 19. Jahrhunderts. Und sie hat sich seitdem eigentlich kaum verändert. Spitz zulaufend oder unten abgeschnitten als Strickkrawatte, so ist sie geblieben.
Und wie sind Sie zur Krawatte gekommen?
Ich habe früher bei einem Herrenausstatter gearbeitet und für einen Kollegen eine Karte gekauft, auf der eine Krawatte abgebildet war. Es gab noch ein, zwei Postkarten mehr mit Krawatten-Motiv. Ich habe dann den Inhaber und andere Händler verrückt gemacht, sie sollen beim Einkauf mal schauen, ob sie nicht Postkarten, Poster, was auch immer, mit Krawatten bekommen. Und ich habe dann eine kleine Sammlung zusammengetragen, auch Keramiken, Kugelschreiber und Flaschenöffner in Krawattenform waren darunter. Die habe ich dann an einen Krawattier verkauft, den ich kennengelernt hatte. Um das ganze Thema zu vertiefen, habe ich mich auch mit der Literatur beschäftigt. Es gab Anfang des 19. Jahrhunderts Krawatten-Literatur, vor allen Dingen in Frankreich.
Und dann?
Später habe ich bei einer Werbeagentur gearbeitet. Mein damaliger Chef war unter anderem mit Helmut Newton befreundet und hat mir das Sehen beigebracht, zu erkennen, was ein gutes Foto ausmacht. Ich hatte jeden Tag mit Fotos zu tun und dabei gemerkt, dass eigentlich fast alle großen Fotografen irgendwann Krawatten fotografiert haben. Da gibt es viel Interessantes, vor allem aus den 20er-, 30er-Jahren. Und dann habe ich also meine Sammlung auf die Fotografie umgemünzt.
Was gibt es in der Sammlung?
Ich habe oder hatte 93 Prints, Vintage Abzüge und Auflagen. Zuzüglich 100 Pressefotos der 1940iger- bis 80iger-Jahre. Ich bin kein Sammler, der unbedingt von jedem Motiv einen Vintage-Abzug braucht. Ich wollte eher dokumentieren, welche Fotografen, das Thema im Programm hatten. Von Marianne Breslauer, die nur zehn Jahre ihres Lebens in den 20er-, 30er-Jahren fotografiert hat, habe ich zwei Prints bekommen, die Unikate sind. Von Daido Moriyama hatte ich zwei, Robert Lebeck, Herlinde Koelbl, Albert Watson, Nicholas Nixon, Andy Warhol, Georg Gerlach und, und, und. Und weil ich möchte, dass die Sachen gezeigt werden, gab es vor vier Jahren den Versuch, Teile der Sammlung bei einer Auktion zu verkaufen, bei Grisebach. Die haben sich wahnsinnig ins Zeug gelegt, aber die Auktion lief eher mäßig, weil das Interesse zu der Zeit nicht so groß war. Und damit die Sammlung nicht noch mehr auseinandergerissen wird, habe ich entschieden, sie an eine Institution zu verschenken. Das hört sich immer sehr großzügig an, aber es hat natürlich auch steuerliche Vorteile.
Ist es das einzige Thema, zu dem Sie gesammelt haben?
Einmal Sammler, immer Sammler. Ich habe mich in den letzten Jahren verstärkt für zeitgenössische Kunst interessiert. Ich habe noch eine andere Sammlung zum Thema Krawatte in der bildenden Kunst, denn auch da gab es viele Künstler wie Claes Oldenburg, Jim Dine, Allen Jones oder Pavlos. Und die habe ich auch. Ich habe auch eine dreiteilige Arbeit von Nathalie Czech. Da bin ich im Moment dabei, dafür ein Museum zu finden, was ich allerdings eher im Ausland sehe als in Deutschland. In Deutschland kann man mit der Thematik schwer umgehen. Entweder, weil die Namen nicht groß genug sind oder die Depots voll. Das Thema Mode wird an ausländischen Museen auch anders behandelt. Dabei wird die Krawatte doch weltweit getragen. Es gab Zeiten, da haben täglich 660 Millionen Männer Krawatte getragen. Von daher verstehe ich manche Kuratoren nicht, die da die Nase rümpfen. Aber: Es gibt noch so viel Kunst, mit der ich mich täglich umgebe und an der ich viel Freude habe. Ich habe vor einem Dreivierteljahr angefangen, Keramiken von Picasso zu sammeln. Das ist noch mal ein neues Sammelgebiet ohne Ende in Sicht.
Jetzt muss ich mal fragen, wenn Sie Keramiken von Picasso sammeln, kommen Sie aus einer reichen Familie?
Nicht wirklich. Und ich habe die meiste Zeit im Modeeinzelhandel gearbeitet und da kann man nicht wirklich viel Geld verdienen. Aber jeder Sammler ist natürlich daran interessiert, relativ günstig einzukaufen und dann – wenn nötig und möglich – mit Gewinn abzustoßen, um die Sammlung zu ergänzen.
Das rät man doch jungen Kunstsammlern immer: Sucht euch ein Thema, das euch interessiert, spezialisiert euch. Würden Sie das bestätigen?
Das macht vielleicht den Erfolg der einen oder anderen Sammlung aus. Es gibt Bücher über Hunde in der Kunst, Swimmingpools in der Kunst und keine Ahnung was. Wenn man sich spezialisiert, ist es für die Sammlung interessant. Ich sammle natürlich das, was mir gefällt. Aber ich sammle vor allen Dingen das, wo ich weiß, dass man das nicht zwingend mit anderen Werken vergleichen kann. Denn das finde ich ein bisschen langweilig in der Kunst, sowohl in der Fotografie als auch in der bildenden Kunst, dass sich doch sehr vieles wiederholt. Ich habe in meiner neuen "Sammlung" ganz junge Künstler und Künstlerinnen, von deren Arbeiten ich sofort begeistert war und die noch bezahlbar sind und die langsam von ihren Galerien aufgebaut werden. Man sollte sich nicht unter Druck setzen. Es muss vor allen Dingen Spaß machen. Ich hoffe natürlich auch, dass die Bilder vom Wert her steigen. Aber ich habe nie für mich gesammelt. Ich hab immer gesagt, ich möchte das, was ich sammele, zeigen und freue mich auch, wenn ich Leihgaben an Museen geben kann. Kunstvereine sind ein guter Ort, um zeitgenössische Kunst zu erleben. Gerade hier in Heppenheim erlebe ich das extrem. Und man kommt mit den Künstlern zusammen.
Die Krawatte in der Kunstgeschichte, in der Fotografie-Geschichte, hat die eine bestimmte Bedeutung?
Die Krawatte wird oftmals auch als Phallussymbol bezeichnet, was ich schon wieder billig finde. Es ist ein nutzloses Kleidungsstück. Es hängt da runter und fertig. Aber sie schmückt einfach. Die Krawatte wird seit 80 Jahren totgesagt, aber es gibt durchaus Kunden, die gerne eine schöne Krawatte kaufen würden. Und in so einer Sammlung kann man ganz gut beobachten, wer über die Jahrzehnte alles Krawatte getragen und wie sich das geändert hat, auch von den Mustern her.
Und wie viele Krawatten haben Sie im Schrank?
Wenige, ich habe nie Krawatten gesammelt. Ich habe natürlich einen Bestand, wobei ich auch schon seit über zehn, zwölf Jahren keine Krawatten mehr trage, habe ich vielleicht ein Dutzend im Schrank. Fünf, sechs sollte man haben.
Ist denn bald eine Krawattenausstellung geplant?
2028 werde ich 70, steht zumindest im Pass. Und geplant ist, dass eventuell in diesem Jahr die Ausstellung gemacht wird. Aber da muss man gucken. Die Sammlung muss natürlich erst mal gesichtet und sortiert werden, und dann wird man sehr wahrscheinlich schon mal schauen, wie man die Arbeiten gut zeigen kann, ob man das jetzt chronologisch macht oder wie auch immer. Und es soll auch eine Publikation geben.