Seit dem 8. März, nicht ganz zufällig dem Internationalen Frauentag, ist Shirin Neshats Ausstellung "The Fury" im Ausstellungshaus Fotografiska in Berlin-Mitte zu sehen. Im Eingangsbereich wird man von einer quirligen Geschäftigkeit empfangen: rechts der Museumsshop, links das Café. Auf dem Weg nach oben durch das Treppenhaus werden das Gebäude und seine Geschichte sehr präsent. Die Graffitis an den Wänden stehen für ein vergangenes Kapitel des Hauses - und Berlins. Ganz schön viel, wenn man sich eigentlich nur auf dem Weg zu einer Ausstellung befindet. Aber sobald man die von Neshat bespielten Räume betritt, gerät all das in den Hintergrund. Die Wände sind dunkel, das Licht ist aus, die großformatigen Fotografien verschiedener Frauen werden durch einzelne Spots beleuchtet. Dachschrägen und dicht gestellte Wände verkleinern den Raum. Hier ist die Situation intim, fokussiert. Hinzu kommt die schwermütige Musik der Videoinstallation "The Fury", die der Ausstellung ihren Namen verleiht.
Der weibliche Körper als Gegenstand von Begehren und von Gewalt, als Schlachtfeld für Ideologie einerseits, als Kraftreservoir andererseits, steht im Mittelpunkt der Zwei-Kanal-Arbeit von Shirin Neshat. Die Künstlerin wurde 1957 in Qazvin, Iran, geboren und lebt heute in New York. Auch das Video erzählt die Geschichte einer jungen Protagonistin, die in den USA wohnt und von den Erinnerungen an ihre Gefangenschaft in Iran verfolgt wird. Die traumatisierenden sexuellen Übergriffe lassen sie auch in der neuen Umgebung nicht los.
Shirin Neshat, was mir bei "The Fury" sofort auffiel, waren die verschiedenen Blicke, die unterschiedlichen Sichtweisen und Standpunkte.
Ja, in "The Fury" geht es um den männlichen und den weiblichen Blick. Ich habe die Protagonistin so charakterisiert, dass sie etwas verrückt rüberkommt. Ihr Handeln ist sehr rätselhaft: Sie schminkt sich, tanzt in ihrem Zimmer, und plötzlich ist da dieser iranische Offizier – ist er per Zoom-Gespräch zugeschaltet? Oder ist er nur in ihrer Vorstellung anwesend? Dann ist sie in einer großen Industrie-Halle, wo sich die Blicke zahlreicher uniformierter Männer auf ihren fast nackten Körper richten. Ist das eine Rückblende? Und schließlich rennt sie einfach raus, landet auf einer Straße in Brooklyn und begegnet Menschen, deren Blicke sich ebenfalls auf ihren verwundeten Körper richten. Das ergibt zunächst alles keinen Sinn, bis wir verstehen, dass es um ihre Perspektive geht, dass wir sowohl den männlichen Blick als auch die Blicke der Menschen auf der Straße durch sie wahrnehmen. Ich spiele hier mit einem überspitzten Kontrast zwischen Illusion und Realität, Innenwelt und Außenwelt, aber auch zwischen den Orten USA und Iran.
In einer Szene läuft sie die Straße entlang, bleibt stehen und schreit. Wir können diesen Schrei nur sehen, nicht hören. Kurz darauf kommt eine Frau auf sie zu, blickt entsetzt auf ihre Wunden und schreit ebenfalls. Dieser Moment hat etwas sehr Kraftvolles.
Etwas Empathisches.
Ja, hier wird die Möglichkeit der Empathie eröffnet.
Bei dieser Szene ist es sehr wichtig, dass die Schreie nicht zu hören sind. Es gibt nur die Musik. Diese Szene war geleitet von der Frage: Was passiert mit uns, wenn wir jemanden auf der Straße sehen, der verwundet ist, der leidet? Wir wollen wissen, was geschehen ist, und wir wollen schreien. Es ging mir nicht um eine realistische Darstellung, sondern um den Augenblick, in dem der Schrei der einen Frau zum Schrei der anderen wird. Sie haben eine Stimme.
Ich musste bei dieser Szene an Audre Lourdes Aussage denken: "Ich bin nicht frei, solange noch eine einzige Frau unfrei ist, auch wenn sie ganz andere Fesseln trägt als ich."
Genau, es ist ein gemeinsamer Schmerz. Und in gewisser Weise eine gemeinsame Liebe. Sehen Sie, meine Idee war, dass wir als Menschen manchmal Bilder von Opfern brauchen, um provoziert zu werden und um unsere eigene Menschlichkeit zu entdecken. Denken Sie an den Vietnam-Krieg und an das Bild des nackten vietnamesischen Mädchens, das in Panik davonrennt, und was dieses Bild auslöste. So war es auch im Fall von Mahsa Amini: Die Bilder der Gräueltaten haben die Wut freigesetzt. Und bei dieser Wut geht es nicht ausschließlich darum, was einer Person, einer Frau angetan wurde. Es geht um viele Frauen auf der ganzen Welt, es geht um viele erlittene Verletzungen und die Wut, die hierdurch entsteht. Deshalb heißt meine Arbeit auch "The Fury".
Die Arbeit entstand wenige Wochen vor dem Beginn der Proteste in Iran, deren politischer Slogan "Frau, Leben, Freiheit" wurde – man könnte sagen, Sie haben die Ereignisse vorhergesehen.
Ja, das war seltsam, fast unheimlich. Auch das Lied, das wir verwendet haben, spielt eine wichtige Rolle bei den Protesten. Nika Shakarami, eines der Mädchen, das getötet wurde, hat dieses Lied gesungen als sie noch lebte, es gibt Videos davon. Es wurde nach ihrem Tod zu einem ikonischen Stück. Eben dieses Lied hatte ich auch für meine Videoarbeit ausgewählt; ich liebe es sehr, denn es ist melancholisch, und dennoch kann man dazu tanzen.
Welche Rolle spielt der Tanz in "The Fury"?
Er spielt bei diesem Ruf nach Freiheit eine große Rolle. Das hängt damit zusammen, dass Tanzen in der Öffentlichkeit in Iran nicht erlaubt ist, doch jetzt ist der Tanz eine Form des Protests geworden: Die Menschen tanzen auf den Straßen und werden dafür verhaftet.
Sie zeigen in der Ausstellung auch Ganzkörper-Porträts von Frauen verschiedenen Alters und verschiedener Herkunft. Die Fotografien sind mit Fragmenten von Gedichten der iranischen Dichterin Forough Farrokhzad (1934-1967) versehen. Erzählen Sie von dieser Dichterin und Ihrer Verbindung zu ihren Texten!
Ich kenne keine Dichterin, die so radikal war wie sie, die so offen über ihren Körper sprach, über alles, was tabuisiert war: ihre sexuelle Versuchung, ihr Verlangen, ihre Scham, ihre Sünde, ihre Auseinandersetzung mit Gott und Religion. Ihre Haltung war: Warum soll ich für meinen weiblichen Körper Schuld empfinden? Du, Gott, hast mich erschaffen, also bist du der Schuldige. Das finde ich sehr kraftvoll. Die Liebe ihres Lebens war ein verheirateter Familienvater, und alle wussten um diese Verbindung. Ihr leider viel zu kurzes Leben und ihr Schreiben waren eins, und so ist es auch bei mir. Meine Kunst und mein Leben gehören untrennbar zusammen, ich bringe eine Menge von mir selbst in meine Werke. "The Fury" wurde zwei Blocks von meiner Wohnung entfernt gedreht, die Tänzerinnen und Tänzer sind mit mir befreundet, aber auch inhaltlich ist da viel von mir: die sexuelle Belästigung, die Übergriffe, die Magersucht, das habe ich alles selbst erlebt.
Ihre Kunst ist geprägt von Ihren persönlichen Erfahrungen als iranische Künstlerin im Exil und von der Auseinandersetzung mit Ihrem Geburtsland Iran. In neueren Arbeiten kommt auch Ihre Rolle als in den USA lebende Immigrantin hinzu. Welche Rolle spielen dabei Fiktionalisierung und magischer Realismus?
Das ist eine interessante Frage. Ich habe mal gehört, dass die Sprache des magischen Realismus oft von Menschen verwendet wird, die im Exil leben, und ich weiß nicht genau, warum das so ist. Ich komme aus einer Kultur, in der die Poesie eine große Rolle spielt. Was ist ein Gedicht in einer solchen Tradition? Ein Gedicht ist hier etwas, das in der Realität verankert ist, aber nicht viel Sinn ergibt. Man muss die eigene Vorstellungskraft benutzen, um hinter die Abstraktion zu kommen, um zu verstehen, was die schreibende Person sagen möchte. Und mit Träumen ist es dasselbe: Träume haben realistische Elemente und ergeben gleichzeitig häufig absolut keinen Sinn. In "Women Without Men" und in den anderen Filmen, die ich gemacht habe, gibt es immer Teile, die absolut in der Realität stattfinden, und es gibt Sequenzen, die völlig in der Magie angesiedelt sind, in denen es keine Logik der Realität und keinen Sinn gibt.
Wie hängen diese beiden Welten zusammen?
Ich habe den Realismus genutzt um die politisch-historischen Informationen aufzuzeigen, und die Magie, um die allegorischen, emotionalen, symbolischen Werte einzufädeln, die über die konkrete, realistische Situation eines Landes und ihrer Menschen hinausgehen, die existenziell für alle Menschen sind. An Träumen, Surrealismus und magischem Realismus schätze ich die Unglaubwürdigkeit, die ich ja auch in "The Fury" eingesetzt habe. Ich liebe diese Freiheit, die in der Kunst möglich ist. Anders als im Kino kann man die Obskurität so weit treiben, wie man will, muss sich nicht an logische Zusammenhänge halten.
Ist auch der Effekt der Kunst anders?
Natürlich löst jedes Kunstwerk unterschiedliches in den Menschen aus, aber ich denke, dass wir alle diese Momente kennen, in denen Wahnsinn in unserem Kopf herrscht. Und dieser Wahnsinn kann sehr kraftvoll sein. Mit meiner Art, Dinge zu erzählen, anhand der Ästhetik, der Schönheit und anhand der Musik, die ich verwende, möchte ich die Menschen also in dieses Universum einladen, in dem manchmal nichts Sinn ergibt, in dem Wahnsinn herrscht und ich hoffe, dass die Menschen so dazu angeregt werden, über sich selbst nachzudenken. Denn es geht mir nicht nur um die Frauen in Iran, es geht mir um jeden einzelnen Menschen, der mit meiner Kunst in Kontakt kommt. Das ist meine Herausforderung: Arbeiten zu schaffen, die dieses Moment, diese Erfahrung ermöglichen, in der Menschen über sich selbst reflektieren.
Über die Schönheit verschaffen Sie sich also Zugang zu den Emotionen der Menschen?
Genau, der Grund, warum ich immer wieder auf eine poetische Sprache zurückgreife, ist, weil ich an die Emotionen der Menschen herankommen möchte. Wichtig sind für mich auch die paradoxen Momente, die Widersprüchlichkeiten und Gegensätze. Ich möchte das Publikum damit konfrontieren, um sie zu stimulieren. Wir haben in "The Fury" diese Männer in Uniform, ihre Blicke und Körperhaltungen symbolisieren Macht, Bedrohung, Gewalt. Und wir haben diese junge Frau, ihre Verletzlichkeit, ihre Rolle als Gefangene, in der sie keine Kontrolle über ihr Leben hat.
Aber diese Rolle hat sie nur im ersten Teil des Films. Später, auf der Straße, wird sie zum Mittelpunkt eines Aufruhrs, ausgelöst durch das, was ihr angetan wurden. Es gibt hier einen Moment, in dem sie einen sehr starken Gesichtsausdruck hat und wirklich entschlossen ist. Sie scheint uns zu sagen: Ja, ich bin verletzt worden, gebrochen. Aber ich habe mich befreit und ich werde nicht zulassen, dass das, was mir angetan wurde, mich definiert.
Das stimmt zu 100 Prozent. Und dieses Moment findet sich in fast allen meiner Werke. Zum Beispiel in "Turbulent" von 1998: Die Sängerin bricht alle Regeln der traditionellen Musik, die in dem Video von einem männlichen Sänger vorgetragen wird, und verschafft sich so eine eigene Stimme. Auch in "Rapture" von 1999 geht es um Rebellion, ebenso in "Women Without Men": Die Frauen retten sich in einen schützenden Garten. In "The Fury" habe ich mit einer Farbkorrektur gearbeitet, sodass die Protagonistin im letzten Drittel sehr hell wird, wie ein Kreis aus Licht. Es ist fast wie ein religiöses Bild, ein Engelsbild. Für mich steht das für den Optimismus in der Geschichte: Am Ende des Tunnels gibt es Licht – das sie selbst ist. Die Protagonistinnen meiner Werke stellen sich gegen den Strom, unternehmen etwas, um sich selbst zu retten. Das erzähle ich auf eine symbolische Art und Weise. Manche Menschen verstehen das, manche eben nicht.
Sie sprechen die Kritik an, die Ihr Werk gelegentlich hervorruft: Sie würden Stereotype reproduzieren, die Frau als Opfer darstellen und zu oft auf Ihre Subjektivität zurückkommen. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Position als erfolgreiche iranische Künstlerin im Exil, die über eine starke Stimme verfügt, zu vielen Erwartungen gerecht werden müssen, dass Ihre Rolle überfrachtet wird?
Es ist doch so: Ich bin seitdem ich 17 Jahre alt war in den USA, ich habe dort meine Ausbildung absolviert, bin mit der westlichen Kultur, der westlichen Kunstgeschichte groß geworden. Natürlich habe ich eine iranische Community um mich, mein Mann ist Iraner, aber ich bin Teil der Kunstgemeinschaft der westlichen Kultur. Ein großer Teil meiner Arbeit bezieht sich auf Iran, weil ich eine sehr ungelöste Beziehung zu dem Land habe, aber meine Arbeit spricht nicht nur über Iran oder zu iranischen Menschen. William Kentridge ist auch ein internationaler Künstler, aber er setzt sich mit der Apartheid in seinem Heimatland Südafrika auseinander. Also ja, ich denke, Sie haben Recht.
Was sind die Raktionen der iranischen Community auf Ihre Werke?
Ich verfolge einen recht konzeptionellen Ansatz, meine Arbeiten sind rätselhaft, sie werfen viele Fragen auf, die nicht beantwortet werden. Die Betrachtenden meiner Kunst müssen diese Fragen selbst beantworten. Das bringt mir eine Menge Ärger mit den Iranern ein, denn bei diesen muss man Partei ergreifen. Entweder man ist dafür oder dagegen. Meiner Meinung nach kann man das von einer Aktivistin erwarten, aber nicht von einer Künstlerin. Ich möchte keine Kunst machen, die das iranische Regime direkt kritisiert. Das ist einfach die billigste Art, Kunst zu machen.
Aber auch eine wirkungsvolle?
Sowohl bei "Women of Allah" als auch bei "The Fury" lautete die Kritik häufig, dass ich die iranischen Frauen nur als Opfer darstellen würde. Aber erstens geht es nicht nur um iranische Frauen und zweitens: Entschuldigen Sie, aber ist Mahsa Amini nicht tatsächlich ein Opfer? Sie wurde zum Opfer des Regimes, und dadurch wurde die Revolte ausgelöst. Die Leute werfen mir Opportunismus vor, dass ich nur Aufmerksamkeit erhaschen möchte. Bei "Women of Allah" wurde ich einerseits von der iranischen Regierung angegangen, andererseits warfen mir die iranischen Menschen vor, ich würde die Regierung unterstützen, weil ich mich mit dem Konzept des Märtyrertums beschäftigte. Und währenddessen wurde die Arbeit selbst völlig übersehen.
Und dann?
Dann habe ich mich bei "Turbulent" und anderen Werken für eine poetischere Sprache entschieden. Leider gibt es in der iranischen Gemeinschaft einige, die mir nicht trauen – auch wenn sie meine Arbeit schätzen. Sie sehen mich als diese Person, die eine Sprecherin sein muss und die ihren Standpunkt sehr klar darlegen muss. Sie sehen mich als Aktivistin, aber meine Kunst ist kein politisches Statement und sie funktioniert nicht, wenn man sie unbedingt als solches sehen will.
Wie gehen Sie mit Kritik um?
Künstlerinnen und Künstler, die sich in ihrer Arbeit sehr problematischen, kontroversen, politisch aufgeladenen Themen zuwenden, wie beispielsweise Ai Weiwei und Tania Bruguera, erhalten die unterschiedlichsten, zum Teil sehr heftige Reaktionen. Ich habe gelernt, das zu akzeptieren. Aber oft habe ich den Eindruck, dass die Menschen, die meine Arbeit verurteilen, sich nicht richtig damit auseinandergesetzt haben, sie vielleicht nicht einmal wirklich gesehen haben. Ich bin offen für Kritik, ich respektiere andere Standpunkte, aber ich bin auch bereit, meine eigene Position zu verteidigen, denn ich weiß, was ich tue.
In einem Interview sagten Sie, dass die Frauen in Iran historisch gesehen den politischen Wandel zu verkörpern scheinen – was lässt sich mit Blick auf die mutigen, entschlossenen Frauen, die sich aktuell gegen das Regime stellen, über die Zukunft Irans vermuten?
Diese Regierung hat den Kampf, den sie gegen die Frauen führt, verloren. Das Regime hat die Frauen vergewaltigt, eingesperrt, hat alles versucht, doch die Frauen weigern sich, zu gehorchen, sie hören einfach nicht auf, sich aufzulehnen, rebellisch zu sein. Vielleicht kann man sagen, dass die iranische Form des Feminismus eine der stärksten in der Welt ist. Je mehr man sie gegen die Wand drückt, desto mehr lehnen sich auf. Das Regime will die Frauen klein halten, sie zum Nichts machen, stattdessen sehen wir wunderbar mutige, lautstarke, freimütige Frauen. Ich denke, dass uns diese Standhaftigkeit Optimismus für die Zukunft gibt.
Haben Sie die Hoffnung, dass die Dinge sich zum Guten wenden?
Mein Mann und ich tauschen uns oft über diese Frage aus. Natürlich sind viele Menschen verzweifelt, weil die Proteste abgeflacht sind, aber sein Argument ist: Revolutionen finden nicht ausschließlich in Form von Straßenprotesten statt, sie entwickeln sich in verschiedenen Stadien und Formen, in Untergrundversammlungen und so weiter. Und wer weiß schon, was gerade alles passiert, ohne dass wir davon mitbekommen? Ich denke, dass die Proteste der Beginn von etwas Großem sein können. Sie sind ohne Zweifel das wichtigste politische Ereignis, der größte Umbruch in der modernen iranischen Geschichte seit 44 Jahren. Es könnte die erste weibliche Revolution von Frauen mit islamischem Hintergrund sein. Aber diese Dinge brauchen Zeit. Ja, ich glaube schon, dass sich unterhalb des Radars der Öffentlichkeit etwas zusammenbraut.
Sie unterstützen die protestierenden Iranerinnen, indem Sie auf Instagram Medienberichte teilen, aber auch durch Interventionen im öffentlichen Raum. So war beispielsweise in Los Angeles und am Londoner Piccadilly Circus Ihre digitale Arbeit "Woman-Life-Freedom" zu sehen, im Rahmen der Protestaktion "Eyes on Iran" zeigten Sie auf Roosevelt Island eine Installation, und im Oktober 2022 zeigten Sie eine Arbeit an der Fassade der Neuen Nationalgalerie. Helfen den Menschen vor Ort solche Aktionen?
Nun, derzeit gibt es aufgrund des Krieges in Gaza weniger Aufmerksamkeit. Aber es ist wichtig, dass die iranischen Gefangenen freikommen, und ich denke, wir müssen die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit auf diese gefangenen Menschen richten, damit Druck erzeugt wird. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Emails und SMS ich schreibe, wie viele Anrufe ich tätige, um Gelder zusammenzutreiben um Inhaftierten zu helfen, um Petitionen zu starten. Es gibt so viele tolle Künstlerinnen und Künstler, die die Dinge aus iranischer Perspektive erzählen, und es ist mir ein großes Anliegen, ich sehe es als meine Pflicht, diese Positionen zu unterstützen. Es ist einfach unglaublich, wie reich dieses Land in Bezug auf seine kulturelle Produktivität ist.
Während wir sprechen ist Internationaler Weltfrauentag, und man hört und liest häufig: Happy Women’s Day. Mich stört das "happy". Wir sollten uns vielleicht einen "kraftvollen feministischen Kampftag" wünschen?
Absolut! Viele Menschen hier im Westen denken, dass nur Frauen in islamischen Ländern oder in nicht-westlichen Ländern Probleme haben oder benachteiligt werden, aber in Wirklichkeit gibt es die Diskriminierung auch hier. Der Kampf der Frauen muss weitergehen. Wir müssen selbstbewusster sein, mehr Verantwortung übernehmen. Wir müssen uns dagegen wehren, dass Männer unser Leben kontrollieren, und das können wir auf individueller und kollektiver Ebene tun: In unserem Privatleben, mit unseren Ehemännern, Freunden, Eltern, Brüdern, und in Bezug auf die Art und Weise, wie wir an unserem Arbeitsplatz oder in dem System, in dem wir agieren, behandelt werden. Die Dinge ändern sich, aber es liegt noch ein langer Weg vor uns.
Über die Ausstellung von Shirin Neshat spricht Monopol-Chefredakteurin Elke Buhr auch im Radio bei Detektor FM. Zum Anhören bitte Inhalte aktivieren: