Frau Prents, Sie sind in Belarus geboren und aufgewachsen und leiten heute die Berliner Prater Galerie. Das jüngste Projekt Ihres Hauses ist die in Kooperation mit der Galerie im Körnerpark und dem Goethe-Institut im Exil entstandene Ausstellung "Manchmal halte ich mich an der Luft fest". Worum geht es dort?
Die Ausstellung wurde von einem dreiköpfigen internationalen Kurator:innen-Team – Katharina von Hagenow, Uladzimir Hramovich und Paulina Olszewska – entwickelt. Sie zeigt Arbeiten junger belarussischer Künstler:innen im Exil, deren Leben die Zerschlagung der Proteste nach der gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus 2020 radikal verändert hat. In ihrer Kunst beschäftigen sie sich mit den Repressionen in ihrem Heimatland und der Angst vor dauernder Überwachung, die auch im Exil nicht endet, sowie mit dem Zustand des Nichtdazugehörens und den endlosen Schleifen der staatlichen Bürokratien im Ausland. Es sind also keine einmaligen Erfahrungen: Sie werden von vielen Künstler:innen aus illiberalen Gesellschaften im Exil geteilt. Es ist eine leise, persönliche Ausstellung von ästhetischer Kraft und politischer Dringlichkeit.
Haben die Repressionen des Lukaschenko-Regimes von 2020 und der vom ihm unterstützte russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einer größeren Fluchtbewegung belarussischer Künstlerinnen und Künstler nach Westeuropa geführt?
Man kann hier tatsächlich von einer großen Fluchtbewegung sprechen. Viele Künstler:innen, Kurator:innen und Wissenschaftler:innen haben für die Teilnahme an Protesten Haftstrafen bekommen und wurden nach ihrer Freilassung mit der Androhung neuer Strafverfahren konfrontiert – also verließen sie das Land. Andere wurden in der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert: Ihre Büros und Privatwohnungen wurden durchsucht, Computer beschlagnahmt, sie erhielten richterliche Beschlüsse über die Schließung ihrer Galerien, Initiativen oder NGOs. Ihnen drohte die Festnahme. Die Menschen reisten mit nur einem Koffer in die Nachbarstaaten Polen und Litauen, sofern sie ein Visum hatten, oder in für sie visumfreie Länder wie Georgien und die Ukraine. Sie rechneten mit einer baldigen Rückkehr.
Woher kam diese Hoffnung?
Sie glaubten fest an den baldigen Sieg der demokratischen Kräfte in Belarus. Die Proteste von 2020 waren die stärksten seit Jahrzehnten, alle Berufsgruppen – von Student:innen bis Werkarbeiter:innen, von Bibliothekar:innen bis Unternehmer:innen – haben sich daran beteiligt, in Großstädten und in kleinen Orten gleichermaßen. Wie wir wissen, wurde der Aufstand brutal zerschlagen, die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt. Die Repressionen dauern an: Festnahmen und Razzien sind nach wie vor an der Tagesordnung, die Zahl der politischen Gefangenen nimmt nicht ab, immer neue Schikanen werden gegen Menschen im Exil erfunden. Tausende wurden zur Flucht gezwungen. Als Reaktion darauf haben westeuropäische Institutionen Unterstützungsprogramme aufgestellt. Sie waren und bleiben zeitlich begrenzt und waren eher als Überbrückung gedacht. So kam es dazu, dass viele belarussische Künstler:innen auch nach Deutschland gekommen sind, was früher aufgrund von strengen Einreisebestimmungen und sehr, sehr wenigen Aufenthaltsstipendien oder Austauschprogrammen kaum möglich war.
Wie erleben Sie die Stimmung unter belarussischen Künstlerinnen und Künstlern, die in Berlin leben?
Das Exil der belarussischen Künstler:innen, Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen nach 2020 war weder geplant noch vorbereitet. Sie befinden sich in einem Dazwischen: gedanklich in Belarus, physisch in Deutschland. Sie alle haben ein überdurchschnittliches Bildungsniveau und nehmen daher eine kritische und rationale Distanz ein, die unbedingt nötig ist, um mit allen alten und neuen Herausforderungen fertigzuwerden. Aber sie gehörten schon früher zu den vulnerablen Berufsgruppen in Belarus – und in Berlin sind sie es noch mehr.
Warum?
Berlin ist spannend, inspirierend, bereichernd. Wenn man stabil ist und sich darauf einlassen kann, ist Berlin die beste Stadt für visuelle und intellektuelle Anregungen, für Netzwerke und Projekte. Wenn man aber von Ängsten um Familienangehörige und Freunde in Belarus zu Hause zerfressen wird und das Gefühl hat, hier unerwünscht zu sein, kann Berlin auch sehr abweisend und anstrengend erscheinen. Das lange Warten auf die Statusklärung, kafkaeske Behördengänge, die undurchsichtige, willkürliche und manchmal auch einschüchternde Kommunikation mit dem Landesamt für Bürger- und Ordnungs-Angelegenheiten bestärken dieses Gefühl nur.
Was verbindet die in der postsowjetischen Umbruchszeit in Belarus sozialisierte Künstlergeneration?
Die Kunst der späten 1980er- und 1990er-Jahre entstand in harten, aber auch hoffnungsvollen, von neuen Freiheiten geprägten Zeiten. In Kunst, Literatur, Theater wurde hemmungslos experimentiert, neue Formate und Praktiken entstanden, freie Orte kamen auf. Natürlich waren sie politisch, weil sie das bestehende staatliche System herausforderten. Aber radikale politische Aktionen, die unmittelbar auf die Realpolitik Bezug nahmen, wie Ales Puschkins Aktion "Das Geschenk dem Präsidenten" von 1999, waren singulär.
Wie wichtig war Puschkins Aktion für die belarussische Kunst?
2021 fand in Kyiv eine große Ausstellung belarussischer Kunst statt, deren Auslöser die Zerschlagung der Proteste in Belarus war. Nicht zufällig wurde dort Ales Puschkins Replik der Aktion von 1999 gezeigt – weil sie eine unheimlich starke, nachhaltige Setzung war. Weil es kaum eine Künstlerin oder einen Künstler in Belarus gibt, der oder die sich mit Puschkins Aktionismus nicht auseinandergesetzt hätte, und weil seine gesamte künstlerische Praxis anhaltende Debatten ausgelöst und geprägt hat, was politische Kunst ist. Kein anderer Künstler hat so ausdauernd und konsequent das Regime Lukaschenkas herausgefordert wie Ales Puschkin. Er wurde nach seiner Rückkehr aus Kyiv festgenommen und starb 2023 im Gefängnis, unter ungeklärten Umständen.
Welche institutionellen Eigenheiten hat die zeitgenössische Kunstszene in Belarus?
2020 war eine Zäsur, ich kann daher nicht über die Gegenwart sprechen. Ich würde die institutionelle Besonderheit mit dem Wort "Hybridität" beschreiben, und ich habe unendlich viel Respekt vor Menschen, die in dieser Kunstszene aktiv waren. Da war beispielsweise die nicht-staatliche Galerie Ў für zeitgenössische Kunst in Minsk, die sich einerseits als Ort für diskursive Kunstprojekte etabliert hat, aber auch als kommerzielle Galerie Künstler:innen vertreten hat. Das waren einige staatliche Museen – in Großstädten, aber auch in den Regionen –, die trotz des engen Korsetts der staatlichen Bestimmungen offene, experimentierfreudige, kritische Projekte mit lokalen und internationalen Künstler:innen und Partner:innen durchgeführt haben. Und da waren auch die einigen wenigen Institutionen, die von Unternehmen und Banken initiiert und gefördert wurden, aber abgesehen vom symbolischen Kapital nicht profitorientiert waren.
Welche Zukunftsaussichten hat die zeitgenössische Kunstszene in Belarus und im Exil?
Während der Manifesta 14 in Pristina (2022) wurden sehr viele Führungen angeboten, die von lokalen Kunststudierenden oder auch Vertreter:innen kunstferner Berufe gemacht wurden. Wenn sie davon berichteten, dass Menschen in Kosovo Visa brauchten, um in die EU zu reisen, gab es unter westlichen Besucher:innen oft ein betroffenes oder ungläubiges Kopfschütteln. Auch die Kosovar:innen selbst wussten oft nicht, dass sie damals nicht die einzigen in Europa waren, denen die westlichen Staaten Visa-Hürden auferlegt haben: Für Belarus:innen und Menschen aus einigen Staaten in Europa galt und gilt das bis heute. Für die Entwicklung der Kunstszenen und der Kunst sind aber Begegnungen, Kooperationen, Netzwerke, Austausch von Wissen, Ideen und Erfahrungen enorm wichtig. Jahrzehntelang existierte die Kunstszene in Belarus in einer Kapsel, jetzt ist sie aufgebrochen.
Wie hat Ihre belarussische Herkunft Sie als Kuratorin und Denkerin geprägt?
Sehr stark. Die Systemtransformation der 1980er- und 1990er-Jahre und die damit verbundene Umbruchserfahrung war wichtig und einmalig. Ich fühle mich Menschen aus der DDR verbunden, die ähnliche Transformationsprozesse durchlebt haben. Die Proteste gegen die gefälschte Präsidentschaftswahl und ihr Scheitern in Belarus im Jahr 2020 haben mich erneut sehr stark aufgewühlt. Beide Ereignisse beeinflussten und beeinflussen meine Haltung als Kuratorin und Leiterin einer Institution. Ich möchte nicht pathetisch klingen, aber Gerechtigkeit und Solidarität sind meine Leitlinien.