Lieben Künstler anders? Die berühmten Kreativpaare der Geschichte stehen für viel Glamour, aber auch viel Leid. Die Berliner Literaturwissenschaftlerin Barbara von Bechtolsheim beschäftigt sich seit Jahren mit der Kulturgeschichte der Liebe. Wir haben sie gefragt, was man sich von Künstlerpaaren abschauen sollte – und was lieber nicht.
Frau von Bechtolsheim: Frida Kahlo und Diego Rivera, Dora Maar und Picasso, Jackson Pollock und Lee Krasner, Alma Mahler und Oskar Kokoschka, warum fallen mir auf Anhieb nur unglückliche Künstlerpaare ein?
Ich stelle eine Gegenfrage: Wären diese Leute allein denn glücklicher gewesen? Ich schaue mir diese Paare nicht mit einem voyeuristischen Blick darauf an, was alles schief gelaufen ist. Natürlich kann man sagen, dass Jackson Pollock ein unangenehmer Zeitgenosse sein konnte, oder schauen Sie auf Joan Baez und Bob Dylan. Wer will ernsthaft mit Bob Dylan zusammen sein? Und trotzdem waren die beiden eine Zeit lang glücklich miteinander. Auch Pollock und Lee Krasner hatten Zeiten, in denen sie sich viel gegeben haben. Oder die Ehe von Marilyn Monroe und Arthur Miller, davon war sicher die längste Zeit für beide erfüllend. Genau das interessiert mich: Was ist diesen Paaren miteinander gelungen, das besonders war, auch wenn es nicht von Dauer war?
Künstler sind also nicht prädestiniert für komplizierte Beziehungen?
Natürlich sind das alles schwierige Persönlichkeiten. Jeder Kreative ist ein Stück weit Narzisst und hat immer sein Werk im Blick. Aber ich schaue mir an, was diese Menschen gemacht haben, um sich wirklich nahe zu sein. Nehmen wir die Dichter Sylvia Plath und Ted Hughes: die waren tief ihrem Werk verschrieben, aber sie haben sich gegenseitig trotzdem glücklich gemacht und gefördert.
Aber gerade Ted Hughes hat man doch vorgeworfen, seine Frau in den Selbstmord getrieben zu haben…
Ich sehe diese Beziehung als eine, die am Anfang vor Kreativität und Glück gesprüht hat. Die haben sich so geliebt. Sie war eine sehr schwierige Person, heute würde man wahrscheinlich von Borderline-Persönlichkeit sprechen, und er hat sie nicht trotzdem, sondern gerade deshalb geliebt. Er hat sie als junge Frau gesehen, die auf der Suche war: als Dichterin und als Mensch. Er hat von Anfang an gewusst, dass sie schon einen Selbstmordversuch hinter sich hatte, und er hat sie angenommen wie sie war. Aber damals war man eben in der Psychiatrie noch nicht so weit, die Medikamente für eine Person mit der Störung einer Sylvia Plath richtig einzustellen. Natürlich war auch Ted Hughes kein einfacher Mensch. Später hat er dann die ganze Wut der feministischen Bewegung abbekommen, aber das verdient er nicht. Er ist nicht der Bösewicht. Ich finde es eher schade, dass die beiden nicht mehr Zeit miteinander hatten. Das interessiert mich in vielen Fällen. Wie wäre es weitergegangen?
Aber ist es nicht ein Muster, dass die Männer in der klassischen Mann-Frau-Künstlerbeziehung die Stars sind und die Frauen oft unglücklich als Muse nebenher vegetieren?
Ja, das stimmt. Jackson Pollock und Lee Krasner sind dafür ein Beispiel. Sie wusste allerdings von Anfang an, was sie da tat und hat gesagt: "Er ist der Begabtere und Innovativere, meine Sache hat Zeit.“ Das ist natürlich eine typisch weibliche Geste der Bescheidenheit und Hingabe an einen Mann. Sie war eine große Kommunikatorin und kannte jeden in New York. Es hat ihr Spaß gemacht, diesen verknoteten Typen bekannt zu machen und zum Beispiel einer Peggy Guggenheim vorzustellen. Aber diese Dynamiken werden oft vergessen.
Sie geben auch Uni-Seminare und Workshops zum Thema Künstlerpaare. Was kann man denn von denen lernen?
Ich würde nie sagen: das ist das Rezept für eine gute Beziehung, und so funktioniert es. Aber es ist spannend zu sehen, was man alles in diesen Vorbildern aufspüren kann. Mit jedem Paar, das ich mir angeschaut habe, habe ich mich auf irgendeine Weise identifiziert. Es gab immer etwas für mein eigenes Leben zu lernen. Ein wichtiger Punkt ist die emotionale Durchlässigkeit. Sich nicht verschließen, sondern alles zulassen, auch etwas riskieren. Ich werde immer wieder gefragt: Was kann ich für meinen Partner tun? Da liefern Künstler komplexe Antworten, weil jeder sein Werk voranbringen will und trotzdem Wege finden muss, sein Gegenüber zu unterstützen. Dazu gehört Geduld und Sensibilität. Es geht darum, immer im Austausch zu bleiben. Offene Kommunikation ist das wichtigste. Zeig mir, wer du bist, ich zeige dir auch, wer ich bin. Das ist anstrengend, aber es lohnt sich.
Stimmt es eigentlich, dass Künstlerpaare unkonventioneller leben?
Ja, das würde ich so sagen. Da ist die Kunst dem "richtigen Leben" doch oft voraus. Die Kunst war schon immer ein Bereich des Erprobens, das gilt auch für Modelle des Zusammenlebens.
Inwiefern?
Denken Sie nur an Ulay und Marina Abramovic: Die haben genau damit experimentiert: Was ist eine Beziehung? Wie viel Nähe hält man aus? Wie viel Gleichheit braucht es, wie viel Differenz und wie viel Erotik? Wie schmerzhaft ist Körperlichkeit? Wenn ich kurz generalisieren darf: Künstler sind von ihrem Naturell her durchlässiger und verletzlicher, deshalb können sie Neues schaffen. Und deshalb sind sie für einen anderen eben auch empfänglicher und können sich gegenseitig mehr wahrnehmen und spiegeln. Das ist auch ein Punkt, der mich bei der Vermittlung interessiert: Warum denken wir "Normalsterblichen", dass es so schwierig und gefährlich ist, uns verletzlich zu machen? Künstler sind auch verletzlich und haben die sensibleren Beziehungen, die unabhängig von Normen sind. Ich denke gerade an Neo Rauch und Rosa Loy. Die sind so verschieden, aber sie scheinen etwas richtig zu machen. Sie lassen sich sein. Davon kann man lernen.
Nächstes Vorurteil: haben Künstler auch den besseren Sex?
Schwer zu sagen, wenn man nicht dabei war. Aber den besten Sex haben ja nicht die sportlichsten Menschen, sondern die, die sich hingeben können. Es liegt also nahe.
Wenn beide Partner nach Ähnlichem streben – Erfolg, Anerkennung, Sichtbarkeit – ist das nicht der perfekte Nährboden für Neid und Konkurrenz?
Je näher sie sich sind, desto mehr Rivalität gibt es. Paul Celan war sehr pikiert, dass ihm Ingeborg Bachmann bei ihrem ersten Auftritt bei der Gruppe 47 die Schau gestohlen hat – und dann haben ihn seine Kollegen auch noch komplett als Mensch und als Dichter missverstanden. Aber es gibt auch den Fall, dass man sich gegenseitig anspornt und fördert. Arthur Miller hat Texte mit Rollen für Marilyn Monroe geschrieben, die ihr sonst niemand zugetraut hätte. Er wollte, dass sie nicht mehr die dumme Blondine in Hollywood sein muss. Und sie hat sich andersherum sehr einfühlsam in seine Texte eingearbeitet und hat ihn auf neue Gedanken gebracht. Rivalität kann also hinderlich sein, kann aber auch stimulieren.
Jetzt reden wir über gut verdienende Superstars. Die meisten Künstlerpaare leben eher prekär. Hat das nicht auch großes Konfliktpotenzial, wenn man ständig aufs Geld schauen muss?
Es kann aber auch Solidarität erzeugen. Sylvia Plath und Ted Hughes haben bei jedem erdenklichen Wettbewerb Texte eingereicht, um vielleicht einen kleinen Scheck für den Alltag zu gewinnen. Auch Paul Auster und Siri Hustvedt waren am Anfang ihrer Karrieren ständig in Geldnot. Und Pollock und Krasner haben beide an einem Regierungsprojekt für Künstler teilgenommen, bei dem sie irgendwelche Jobs für anerkanntere Künstler machen oder Kunst am Bau malen mussten. Aber sie haben das zusammen durchgestanden und sich über jeden Erfolg des anderen gefreut.
Es gibt auch Beispiele, wo Künstlerpaare als totale Symbiose und zweiköpfiges Monster auftauchen. Gilbert und George reden zum Beispiel immer in "Wir“-Form. Empfehlenswert?
Bei Jeanne-Claude und Christo war es ja auch so. Der eine ohne den anderen ist schwer denkbar, weil sie auch die Projekte nur als Paar realisieren. Da kann man von gelungener Co-Kreativität sprechen. Von diesen Paaren kann man allerdings nicht so viel lernen, denn in der Regel ist eine solche Symbiose nicht durchzuhalten.
Kommt es Künstlern denn zu Gute, dass sie durch die Kunst schon eine starke Leidenschaft und Eigenständigkeit haben und die Beziehung nicht das einzige ist, was sie erfüllen muss?
Das ist sicher so. Bei den Paaren, die ich mir angeschaut habe, standen beide auf eigenen Beinen. Es ist wichtig, dass man nicht jemand anderen missbraucht, um sich selbst zu erfüllen. Wenn jemand sagt: "Du, füll mein Leben aus", dann fühlt sich der andere irgendwann ausgesaugt.
Was ist mit dem Klischee, dass man keine gute Kunst machen kann, wenn man zu glücklich ist?
Die schönsten Liebesgedichte sind sicher nicht in den Momenten größten Glücks entstanden. Dann ist das Jetzt ganz Jetzt und wird nicht reflektiert. Aber Sylvia Plath und Ted Hughes waren in ihren ersten Jahren beispielsweise sehr glücklich, aber auch sehr produktiv. Natürlich fördern Nachdenklichkeit und Melancholie die Kreativität, aber diese Emotionen kann man sich langfristig auch als Paar zugestehen.
Kann man von Künstlern auch Trennungen lernen? Ulay und Marina Abramovic haben auch daraus eine Performance gemacht.
Die beiden haben die Trennung ritualisiert, aber an der Stelle kann man nicht von allen lernen. Es bleibt immer die Frage: Wo ist der Schmerz und wie wird er verarbeitet? Die Qualität einer Beziehung bemisst sich daran, wie die Scherben fallen, wenn sie denn fallen. Aber durch das Leid muss jeder durch. Trennung tut für alle gleich weh.