Kunstexpertin Isabel Apiarius-Hanstein

"Es ist ein schmaler Grat zwischen Fortschritt und Tradition"

Isabel Apiarius-Hanstein ist geschäftsführende Gesellschafterin bei Lempertz und wird das Auktionshaus in sechster Generation übernehmen. Hier spricht sie über den aktuellen Markt, einen Monet in Köln und den Verkauf digitaler Werke


Frau Apiarius-Hanstein, in der kommenden Auktion bei Lempertz ist Ihr Highlight eine Meerlandschaft von Claude Monet mit einem Schätzpreis von 3 bis 4 Millionen Euro. Wie konnten Sie ein so kapitales Werk akquirieren, und warum ist es nicht in London, New York oder Paris gelandet?

Warum sollte es in London, New York oder Paris versteigert werden und nicht in Köln? Wir sind sehr international aufgestellt, unsere Kundschaft ist über den Globus verteilt und von den deutschen Auktionshäusern sind wir das einzige, das auch im Ausland versteigert. So konnten wir auch dieses fantastische Bild aus Übersee für unsere Auktion gewinnen. Es zeigt einmal mehr die Bedeutung unseres Marktes im internationalen Vergleich. Lempertz hat schon immer, und vor allem in den letzten Jahren, Arbeiten für mehrere Millionen äußerst erfolgreich versteigert. Denken Sie an das fantastische Selbstbildnis von Max Pechstein für 3,2 Millionen, den "Liegenden Akt" von Heinrich Campendonk für eine Million oder an das außergewöhnliche Bild von Georges de La Tour aus der Sammlung Bischoff für 4,3 Millionen Euro. Unser track record zeigt: Wir sind das richtige Haus dafür. Seit dem Brexit sind etliche Objekte in diesem Preissegment im deutschen Markt verkauft worden. Zu glauben, dies würde sich in Europa nur in London oder Paris abspielen, entspricht schon lange nicht mehr der Realität.

Über kurz oder lang werden Sie das Familienunternehmen von Ihrem Vater übernehmen. Wie fühlt es sich an, die Führung einer Firma mit einer so langen Tradition anzutreten?

Meine Aufgabe ist es, Lempertz erfolgreich von der fünften Generation zu übernehmen und in die siebte weiterzugeben. Es ein schmaler Grat zwischen Fortschritt und Tradition. 2025 werde ich seit zehn Jahren eine operative Rolle in unserem Familienunternehmen innehaben, davon dann fünf Jahre in der Geschäftsführung. Anfangs traten wir als Co-CEOs auf, heute nennt sich mein Vater gerne "Sous Chef". Wir sind das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Dass man da einige Jahre gemeinsam das Unternehmen leitet, erklärt sich von selbst. So war es bei Lempertz immer, und nur durch den plötzlichen Tod meines Großvaters wurde mein Vater regelrecht ins kalte Wasser geworfen. Dass er mich nun stetig begleitet und mir mit Rat und Tat zur Seite steht, empfinde ich als Privileg. Ich nenne ihn gerne meine Enzyklopädie im 1. OG. Die meisten Situationen, in denen ich erst einmal überlegen muss, hat er bereits durchlebt.

War das schon immer Ihr Ziel?

Nein. Es war natürlich immer eine Option, aber mein Ziel wurde es erst dann, als sich die Möglichkeit ergab. "Man lernt nicht dort, wo man endet" war ein Spruch, den ich oft von meinem Vater gehört habe. Vielleicht habe ich auch deshalb meinen Weg erst anders eingeschlagen und bin dann nach Jahren zu Lempertz gekommen. Diese Zeit möchte ich nicht missen.

Wie wurden Sie oder haben Sie sich darauf vorbereitet?

Ich war mehrere Jahre in internationalen Galerien tätig und ging zu Beginn meiner Zeit bei Lempertz auf eigenen Wunsch nicht in die Geschäftsführung, sondern in die Abteilung für zeitgenössische Kunst. Ich glaube, dass es wichtig ist, die internen Abläufe selbst zu erleben, bevor man Entscheidungen für das ganze Unternehmen fällt.

Der Kunstmarkt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten wahrscheinlich stärker verändert als in den letzten 100 Jahren vorher. Wie ist Lempertz in Hinsicht auf Internationalisierung aufgestellt?

Der Kunstmarkt hat sich in der Tat in den letzten zwei Jahrzehnten rasant gewandelt, und wir haben diesen Veränderungen proaktiv Rechnung getragen. Unsere Internationalisierung ist ein zentraler Bestandteil unserer Strategie. Mit festen Standorten in Köln, Brüssel und Berlin, an denen wir auch Auktionen durchführen, sowie weiteren Repräsentanzen, teilweise mit Ausstellungsräumen, haben wir uns weltweit vernetzt. Diese Präsenz ermöglicht es uns, sowohl lokal als auch global agieren zu können. Darüber hinaus legen wir großen Wert auf persönliche Beziehungen zu Sammlern, Künstlern und Institutionen. Wir sind flexibel und handlungsfähig – etwa, wenn es darum geht, ein bedeutendes Werk wie einen Monet aus Kalifornien nach Europa zu bringen. Solche Projekte erfordern nicht nur Schnelligkeit, sondern auch ein hohes Maß an Organisation und Vertrauen.

Um NFTs ist es sehr still geworden. Digitale Kunst hat sich hingegen als Ausdrucksform etabliert. Wie geht das beides zusammen und wie können eine "altmodische" Vertriebsform wie ein Auktionshaus beim Handel damit eine Rolle spielen?

Es ist richtig, dass der große Hype um NFTs etwas abgeflaut ist, aber das bedeutet nicht, dass digitale Kunst weniger relevant geworden ist. Im Gegenteil – digitale Kunst als Ausdrucksform erprobt sich weiterhin und entwickelt sich kontinuierlich weiter. Was den Handel betrifft, empfinde ich Auktionshäuser keineswegs als „altmodisch“. Gerade in den letzten krisengeprägten Jahren hat sich gezeigt, wie gut wir bereits vor Covid aufgestellt waren. Im Vergleich zum Primärmarkt, der häufig größere Umstellungen bewältigen musste, konnten wir bei Lempertz sehr schnell und flexibel auf neue Herausforderungen reagieren. Digitale Auktionen, hybride Formate und der gezielte Einsatz von Technologie gehören längst zu unserem Repertoire. Natürlich bemühen wir uns weiterhin, am Puls der Zeit zu sein. Unser NFT-Sale mit Kenny Schachter als Kurator oder außergewöhnliche Projekte wie die Versteigerung einer Raumkapsel zeigen, wie offen wir für Innovationen sind und neue Wege ausprobieren, unabhängig vom Medium.

Welche Impulse wollen Sie mittel- und langfristig bei Lempertz setzen?

Mein Ziel ist es, mittel- und langfristig stets die Balance zwischen Tradition und Fortschritt zu finden – und das mit jeder neuen Auktionssaison. Tradition ist für ein Haus wie unseres ein wertvolles Fundament, aber wir dürfen uns darauf nicht ausruhen. Vielmehr geht es darum, uns ständig weiterzuentwickeln. Es ist essenziell, den Zeitgeist, das Medienverhalten und die Bedürfnisse unserer Kunden zu verstehen und darauf einzugehen. Für unsere Einlieferer ist uns ebenso wichtig, den Prozess so komfortabel und unkompliziert wie möglich zu gestalten. Vom ersten Kontakt bis zur Auktion begleiten wir sie eng und professionell. Provenienzforschung ist dabei ein weiterer Bereich, in dem wir hohe Standards setzen. Durch den Einsatz neuester wissenschaftlicher Verfahren und extra für diesen Bereich geschaffenen Arbeitsplätzen stellen wir sicher, dass wir der Erforschung der Herkunft von Kunstwerken höchste Relevanz beimessen.