Die große österreichische Fotografin Elfie Semotan wird im Juli 80. Die erste Museumsausstellung in Wien im dortigen Kunst Haus zeigt einen Überblick ihrer Arbeiten, die nicht nur Mode- und Werbefotografie umfassen, sondern auch Stillleben und Landschaftsfotografie. Semotan war stilbildend durch ihren Anspruch, Mode nicht nur repräsentativ darzustellen, sondern auch, diese zu inszenieren. Die Künstlerin lebt heute in Wien, im Burgenland und in New York. Ein Gespräch über den Gendergap in der Modefotografie und ihre Freundschaften und ihr Leben mit umstrittenen Künstlern wie Martin Kippenberger oder Kurt Kocherscheidt.
Frau Semotan, Sie sind die Fotografin des Martin Kippenberger-Porträts, das im März auf dem Cover des Monopol-Magazins war. Sie waren mit Kippenberger auch verheiratet. Wie kam es denn zu diesem Foto?
Das Foto ist im Laufe der Fotoserie "Medusa" aufgenommen worden. Wir haben einen Tag lang fotografiert und mit verschiedenen Einstellungen experimentiert. Ich hatte bei diesem Porträt nichts Spezielles im Kopf, keine Pose, die ich nachstellen wollte. Und so ist dieses Bild zufällig entstanden, weil er so dasaß.
Sie haben Martin Kippenberger also genau so gesehen?
Ja, und ich bin über dieses Cover wirklich sehr glücklich. Es ist wie ein Gegenentwurf zu dem, was Martin immer nachgesagt wurde.
Dass er ein Ekel sei ...
Ja, ein Ekel und ein Macho. Es wurde ihm alles nachgesagt, was man jemandem nur nachsagen kann. Dieses Foto hat eine unglaubliche Intensität. Wenn jemand so dreinschaut, kann er alle diese grässlichen Dinge einfach nicht sein.
Er wirkt irgendwie religiös ergriffen.
Er wirkte entrückt. Es war so ein vollkommen vergeistigtes, verinnerlichtes Schauen, das mich getroffen hat, weil es nicht von dieser Welt war.
Das Kunst Haus Wien zeigt Sie in der großen Ausstellung "Haltung und Pose" als Fotografin, die in ganz unterschiedlichen Genres zu Hause ist – nicht nur in der Modefotografie. Wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben?
Da gibt es so viele Zugänge – über die Nachstellungen von Posen aus der Kunstgeschichte, wie die Renaissance-Bilder oder andere vielleicht ironische Inszenierungen von typischen geschlechterdefinierten Welten, wie dem Büro-Alltag. In letzter Zeit kommt vermehrt die Landschaftsfotografie hinzu.
Sie sind in Oberösterreich aufgewachsen, kamen mit zehn Jahren nach Wien und gingen dann auf die Modeschule in Hetzendorf. Wann haben Sie Ihre erste Kamera in die Hand genommen?
Sehr viel später, als ich schon in Paris war. Ich bin nach Paris gegangen, weil ich mit Mode zu tun haben wollte. Ich bin mit 700 Schilling hingefahren und habe sofort nach der Ankunft angefangen, alle Modehäuser durchzutelefonieren, weil ich einen Job brauchte. Lanvin hat mich genommen – und da war ich Model. Dann habe ich auch angefangen zu fotografieren, zunächst mit John Cook, der mir seine Kameras zur Verfügung gestellt hat.
Gab es auch manchmal Momente, in denen Sie dachten, dass Sie lieber etwas anderes gemacht hätten? Ihre Fotos zeichnen sich auch durch eine gewisse Ambivalenz aus. Ich lese sie auch als eine Distanzierung zum Modebetrieb.
Ich sehe ganz verschiedene Seiten des Lebens. Ich glaube, dass die Richtung absolut stimmt, aber ich kann mir auch vorstellen, dass ich in eine andere Richtung gegangen wäre, zum Beispiel in die Wissenschaft oder in die Politik. Aber im Übrigen lässt sich die Modefotografie auch gar nicht ohne Politik und speziell Frauenpolitik denken. Den Einflüssen, denen man ausgesetzt ist, kann man sich nicht entziehen.
Dieser so ganz andere Zugang zur Modefotografie zeigt sich ja auch im Vergleich mit männlichen Kollegen, viele von ihnen sind sich nicht bewusst, dass es noch ein Außen gibt.
Männer haben sehr oft genug Inhalt mit ihrer Faszination der Frau und des Sexuellen. Das hat mich schon sehr gewundert. Natürlich wurde ich nicht als Feministin geboren, niemand wird als Feministin geboren. Aber ich bin sicher als sehr freiheitsliebender Mensch aufgewachsen. Freiheit war die einzig wunderbare Option, die ich als Kind hatte. Und wenn man viel fotografiert, dann lernt man sehr viel, nämlich wie Männer Frauen behandeln, und das war sehr oft gedankenlos. Manche haben ihre Models nur herumdirigiert.
Wie ist es mit den Porträts von Künstlern und Künstlerinnen? Auch da finde ich eine ganz bestimmte Intensität und sehr spezielle Blicke, wie zum Beispiel bei Vanessa Beecroft oder Marina Abramovic. Die Porträtierten lassen etwas von sich erkennen, sie sind nicht hässlich, aber auch nicht schön in einem oberflächlichen Sinn. Es ist ungewöhnlich, was Sie aus den Leuten herausholen.
Ich habe mich tatsächlich auch immer um diese Aufmerksamkeit den Leuten gegenüber bemüht, weil ich glaube, dass man zu den Menschen, die man fotografiert, eine Verbindung aufbauen muss. Den meisten ist es eher unangenehm fotografiert zu werden. Sie fühlen sich gehemmt und können nicht loslassen. Ich versuche immer, Kontakt zu halten mit den Leuten vor der Kamera. Es ist meist gar nicht so wichtig, was man sagt, sondern wichtig ist, sie von sich selbst abzulenken, von ihrer Angst, nicht zu genügen.
Und dann entsteht etwas, das Sie "Transitmoment" nennen.
Das Foto von Christopher Wool ist so ein Beispiel. Er hasst es, fotografiert zu werden. Nach ein paar Stunden, in denen er sehr gelitten hat, habe ich dann gesagt: Okay, ich habe jetzt ein paar schöne Fotos. Da hat er aufgeatmet und einen Schritt nach vorn getan um wegzugehen, und das war's. Es war großartig.
Wie konnten Sie sich in der stark von Geschlechterrollen definierten Modewelt behaupten?
Ich habe gelernt, mich zu verteidigen, denn ich bin nicht in einer beschützten Familie aufgewachsen, sondern in keiner wirklich vorhandenen Familie.
Was hat denn gefehlt?
Der Vater. Aber auch die Mutter war früh bereits weg. Mein Vater war irgendwie schwierig, aber er war kein dominanter Mensch. Aber auch, wenn man in einer wunderbaren Familie mit einem liebevollen Patriarchen aufwächst, hat man dennoch einen (Patriarchen). Und bei mir war einfach niemand da, der für mich etwas entschieden hätte. Und ich glaube, das ist eine Erfahrung, die ausmachte, dass ich dann sehr selbstbestimmt aufgetreten bin.
Um gleich bei diesem Thema zu bleiben: Wie kam es zu Ihrer Beziehung zu Martin Kippenberger, wie haben Sie sich kennengelernt? Und wie war das? Sie waren ja zuvor bereits verheiratet und hatten auch Familie.
Ich war zuvor schon mit einem Künstler, mit Kurt Kocherscheidt, verheiratet. Ich habe schon ganz früh beschlossen, dass ich in kein anderes als das Kunstmilieu passe. Und Martin traf ich zum ersten Mal in Griechenland bei einem Freund. Er kam zu mir und wollte, dass ich ihn fotografiere, obwohl er schon so oft von allen fotografiert worden war. Ein Jahr danach kam der Geburtstag eines Freundes, den wir im Burgenland feierten, wo ich mit anderen Künstlern einen Club gegründet hatte, wo wir auch Ausstellungen organisierten. Und Martin kam zu dieser Ausstellungseröffnung, und wie immer gab es Essen und zu trinken. Und da hat er seine Witze erzählt – seinen nicht endenden Witz. Er ist immer auf die Tische gestiegen und wieder herunter und redete von da oben. Um Mitternacht waren nur noch wenige Leute da, und ich hoffte, dass er jetzt nicht vom Tisch fiel. Dann kam er herunter und hat mich gebeten, mich neben ihn zu setzen und er hat mir ungefähr eine Stunde lang erklärt, warum wir es zusammen versuchen sollten. Und ich habe gesagt, ich werde darüber nachdenken.
Sie haben das Zauberwort gesprochen, um den "schrecklichen Bachelor" zu zähmen?
Ja, es fing ganz ungewöhnlich an, und es hat sich wunderbar entwickelt. Es war einerseits sehr emotional, andererseits fast abstrakt.
Das heißt, die Ekelseite, die bis heute noch in diesen ganzen Kommentaren mitschwingt, die hat er Ihnen gegenüber nie gezeigt?
Er war nie ekelhaft zu mir, aber er hat mir irgendwann einmal gesagt, dass er sich geschworen hat, immer die Wahrheit zu sagen. Ich sagte, dass dies ein schreckliches Unterfangen wäre, und er sagte, ja, das weiß ich. Es war schon unglaublich, wie gelassen er reagiert hat, denn es gab viele Leute, vor allem Künstler, die ihm gegenüber sehr aggressiv waren. Doch er war vollkommen gesammelt, das hat ihn nicht wirklich aus der Bahn geworfen.
Glauben Sie, das hing mit dieser speziellen Stimmung der 1970er-Jahre und der Elterngeneration zusammen, die in Deutschland noch so dominant war?
Ich glaube, es hatte etwas damit zu tun, dass er sich einfach freigemalt und freigeredet hat in seiner Kunst, befreit von den Dingen, die er unnötig, alt und abgestanden fand.
Wie ist es dann weitergegangen mit Ihnen und Kippenberger?
Ich bin damals von Paris zurückgekommen und habe in Wien gelebt – hier, in dieser Wohnung. Und Martin ist einfach zu mir gezogen, er hatte sich entschlossen, hier zu leben.
Ich hab noch nie gehört, dass jemand Kippenberger bei seinem Vornamen nennt. Das klingt ja wirklich fast zahm.
Ja, Kippy, das kenne ich natürlich, aber Martin war auch nicht wirklich glücklich damit.
Die Modefotografie ist auch von fixen Normen geprägt. Sie zeigen Frauen jedoch in souveränen Posen: Sexy, aber nicht dem männlichen Subjekt als vermeintliches Jagdobjekt ausgeliefert. In dieser Sinnlichkeit der Models liegt ein sehr zeitgemäßer Genderaspekt.
Frauen sind ja auch sinnlich. Wieso sollte man sie nicht sinnlich darstellen? Aber das heißt ja nicht, dass man weiterhin diese altbekannten Mittel nutzen muss. Mich interessiert ja nicht, wie die auf mich antworten, sondern, wie sie sind und wie sie sich im Leben bewegen. Auf einem Foto kann man so viel mehr von der Substanz eines Menschen zeigen.
Und was interessiert Sie an der Mode?
Die Konsumwelt ist es nicht, aber Mode interessiert mich wirklich sehr. Ich bin einerseits ein ästhetischer Mensch, der schöne Dinge liebt, andererseits interessiert mich Mode als Werkzeug, das man im Leben verwendet und das unentbehrlich ist. Früher war es Werkzeug für eine gewisse Klasse, aber jetzt gibt es Kleider, die ganz billig, und dennoch sehr schön sind. Second Hand Kleidung und Vintage waren für mich immer schon sehr wichtig. Es geht um den Ausdruck einer Persönlichkeit. In diesem Sinn gefällt mir Mode und sie hat ihre Bedeutung. Ansonsten ist sie mir egal. Ich finde die Leute, die ich fotografiere, viel interessanter.