Museumsdirektorin Elena Filipovic

"Ich respektiere die Vergangenheit, will aber nicht darin stecken bleiben"

Elena Filipovic, neue Direktorin am Kunstmuseum Basel
Foto: Xandra M. Linsin

Elena Filipovic, neue Direktorin am Kunstmuseum Basel

Seit diesem Jahr ist die Kuratorin Elena Filipovic Direktorin des Kunstmuseums Basel. Hier spricht sie über ihre Pläne, die älteste öffentliche Sammlung der Welt und Kunstgeschichte für die Gegenwart
 

Elena Filipovic, seit 2014 sind Sie in Basel, vor dem Kunstmuseum haben Sie die dortige Kunsthalle geleitet. Was macht die Stadt zu so einem besonderen Ort?

Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Ort auf der Welt, an dem es pro Kopf so viele Kunstsammlungen und Museen gibt. Das Kunstmuseum Basel beherbergt außerdem die älteste öffentliche Kunstsammlung weltweit, sie besteht seit 1661. Ursprünglich komme ich aus Los Angeles, und ich werde oft gefragt, wie ich es in einer Kleinstadt aushalte. Aber die Kunst, für die es hier so viel Respekt und Liebe gibt, macht Basel viel größer als in Quadratmetern oder Einwohnerzahlen gemessen werden kann. Es ist wirklich ein internationaler, zukunftsgerichteter Ort. Das zeigt sich beispielsweise auch an der Art Basel, während der diese kleine Stadt die Kunstfans aus der ganzen Welt anzieht.

Welchen Einfluss hat es heute auf das Kunstmuseum Basel, dass die Sammlung schon so lange besteht?

Die traditionsreiche Geschichte des Hauses bedeutet für mich Verantwortung. Es ist eine schwere Aufgabe, so einer langen Sammlungsgeschichte mit Werken, die acht Jahrhunderte umspannen, gerecht zu werden. Das Kunstmuseum Basel hatte beim Sammeln immer eine Vorreiterrolle. Es besitzt deshalb von vielen großen Künstler:innen Werke aus ihren frühen Schaffensphasen, zum Beispiel von Pablo Picasso oder Sophie Taeuber-Arp. Es war auch das erste Museum in Europa, das in den 1950er-Jahren begann, US-amerikanische zeitgenössische Nachkriegs-Kunst zu kaufen, auf dem Höhepunkt des Abstrakten Expressionismus. Man hat nie gewartet, bis sich eine Bewegung 20 Jahre später gefestigt und die historische Bedeutung sich leichter offenbart hat. Das Kunstmuseum Basel hat immer versucht, im richtigen Moment zu kaufen – auch heute noch.

Wie haben Sie vor, die Sammlung in die Zukunft zu tragen?

Die Stärkung der Sammlung ist mein Ziel in den nächsten Jahren. Die Kunsthistorikerin in mir freut sich sehr, bei einer Sammlung so in die Tiefe gehen zu dürfen. Sich mit Kunst aus so vielen Jahrhunderten zu beschäftigen, sagt uns viel darüber, wie Künstlerinnen und Künstler, jeweils zu ihrer Zeit, auf soziale oder ökonomische Konflikte, auf Trauer oder Kriege reagiert haben. Ein Museum ist ein Ort, der uns die Welt durch die Augen von Künstler:innen zeigt.

In der Kunsthalle Basel gab es in der Vergangenheit oft politische Ausstellungen. Planen Sie, das im Kunstmuseum fortzusetzen?

Kunst war schon immer ein wichtiges Instrument, um über unsere Zeit nachzudenken. Das wird besonders in Krisenzeiten deutlich. Es ist die Verantwortung eines Museums, Werke auszustellen und zu sammeln, die den jeweiligen Zeitgeist ausdrücken, und das Publikum dabei zu begleiten, sich darauf einzulassen.

Bedeutet das, dass die Verbindung zwischen historischen Krisen und dem Heute eine Ihrer wichtigsten Aufgaben ist?

Absolut. Nur so kann das Kunstmuseum ein zeitgenössisches Museum sein, ohne ein Haus für spezifisch zeitgenössische Kunst zu sein. Wenn wir uns also heute den "Toten Christus im Grabe" von Hans Holbein dem Jüngeren ansehen, dann fragen wir uns, was das Werk aus dem 16. Jahrhundert über Sterblichkeit und den Tod, aber auch über das Leben, die Liebe und den Glauben aussagt. Und welche Bedeutung diese Themen heute haben.

Was wird Ihre erste Ausstellung sein?

Wir zeigen ab Ende März 2025 eine große Medardo-Rosso-Retrospektive in Kollaboration mit dem Mumok in Wien. Dass es die erste Ausstellung ist, die ich als Direktorin für das Kunstmuseum Basel kuratiere, ist auch ein Manifest für das, was meiner Meinung nach die Aufgabe eines Museums ist. Rosso ist nicht Picasso oder Matisse, er ist - noch - kein bekannter Name. Aber er war ein Zeitgenosse von Rodin und Cézanne, und er hat lange mit den bekanntesten Impressionisten gearbeitet und ausgestellt. Er sollte heute bekannter sein, denn sein Einfluss auf die Geschichte der Bildhauerei und auf andere Künstler war immens. Ich möchte in meiner Arbeit als Kuratorin und Direktorin den Finger auf solche Lücken im Kunstkanon legen und Personen hervorheben, die für die Kunstgeschichte wichtig sind, aber trotzdem keinen großen Namen haben. Das möchte ich schaffen, indem wir ihr Werk historisch kontextualisieren und es so zugänglich machen.

Wer ist das Publikum des Kunstmuseums Basel - oder soll es noch werden?

Wir sind in einer Stadt, die Kultur liebt, und wir haben ein starkes lokales, aber auch ein europäisches und internationales Publikum. 2025 werden Events wie der Eurovision Song Contest oder die Fußball-Europameisterschaft der Frauen neben der Art Basel viele Menschen in die Stadt und hoffentlich ins Kunstmuseum bringen. Unser Publikum sind alle, die neugierig sind. Und das nicht einmal unbedingt nur auf Kunst, sondern auch darauf, den Zeitgeist und unsere Gegenwart zu verstehen - denn Kunst ist immer auch ein Spiegelbild dafür.

Das Kunstmuseum Basel besteht aus drei Häusern. Kann ein Museum zu groß sein?

Sicher! Das ist beim Kunstmuseum Basel aber meiner Meinung nach nicht der Fall. Seine drei Häuser haben alle ihre Besonderheiten, und sie zeigen unterschiedliche Epochen. Man kann sie gut nacheinander besuchen, oder sich nur eines heraussuchen.

Das Kunstmuseum Basel ist ein öffentliches Haus. Wie nehmen Sie die Schweizer Kulturpolitik wahr?

Die Betriebskosten des Museums werden vom Kanton Basel-Stadt, also mit Steuergeldern, gedeckt. Darin zeigt sich das kantonale und auch das Schweizer Engagement für Kultur, und das ist nicht selbstverständlich. Aber das Kunstmuseum Basel ist auch auf die großzügigen Spenden von Privatpersonen und Stiftungen angewiesen, um sein Programm finanzieren zu können. Als Amerikanerin komme ich aus einem Land, in dem es im Grunde keine öffentlichen Institutionen gibt. Fast alle Kunsteinrichtungen in den USA sind privat. Auf privates Geld angewiesen zu sein, bedeutet manchmal auch, privaten Interessen folgen zu müssen. Wären wir als Kunstmuseum nicht öffentlich, hätten wir vermutlich nicht die Möglichkeit, Kunst so gründlich zu erforschen, sie sorgfältig restaurieren zu lassen, sie zu kontextualisieren und zu vermitteln. Oder so viele kostenlose oder kostengünstige Angebote zu ermöglichen, zum Beispiel für Studierende. Wir müssen nicht nur profitorientiert denken, sondern müssen darüber nachdenken, was die Zugänglichkeit von Kultur und den Schutz der uns anvertrauten Objekte am meisten fördert.

Sie sind seit einem halben Jahr im Amt. Worauf freuen Sie sich als Direktorin des Kunstmuseums nun besonders?

Ich freue mich, weiter darüber nachdenken zu können, was die älteste öffentliche Kunstsammlung der Welt für die Zukunft bedeutet. Wir müssen immer wieder überdenken, was wir tun, um in diese Zukunft gehen zu können. Dafür dürfen wir uns zum Beispiel nicht den digitalen Entwicklungen wie den sozialen Medien oder KI verschließen, sondern müssen uns auch unbedingt mit wichtigen Themen wie Diversität und Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Ich respektiere die Vergangenheit, will aber nicht darin stecken bleiben.

Dennoch ein letzter Blick in die Vergangenheit: Was ist ihr Lieblingswerk in der Sammlung?

Am liebsten würde ich jetzt antworten: Man kann doch Eltern auch nicht fragen, welches ihr Lieblingskind ist! Es gibt so viele Werke in dieser riesigen Sammlung, die ich besonders schätze. Und natürlich kenne ich auch noch nicht alle. Ich wünsche mir, noch viel mehr Zeit mit den Werken verbringen zu können. Ganz besonders schätze ich aber trotzdem den bereits erwähnten "Toten Christus im Grabe" von Holbein, weil das Bild so ikonisch ist. Es ist 500 Jahre alt, spricht aber immer noch zu uns. Von den neueren Werken liegt mir besonders "Riverhead" (1963) von Helen Frankenthaler am Herzen. Frankenthaler ist ein wunderbares Beispiel für eine wegweisende Malerin, die bisher in der Sammlung fehlte, und ihr Werk war eines der ersten Kunstwerke, die ich zur Sammlung hinzufügen konnte. Ich fühle mich geehrt, dieser ehrwürdigen Sammlung meinen Stempel aufdrücken zu können. Zum Teil, indem ich darauf bestehe, dass ein Museum – gemäß dem Sprichwort "Du kannst nicht sein, was du nicht sehen kannst" – die unabdingbare Verantwortung hat, dafür zu sorgen, dass Frauen, people of color und diverse Positionen an seinen Wänden und in seinen Hallen vertreten sind.