Interview mit Bryant Giles

"Als Künstler wird man schnell zum Argument für eine Debatte pauschalisiert"

Bryant Giles fühlt sich im Hybriden zu Hause: zwischen Kunst und Design, Tokio und Los Angeles. Wir haben ihn vor seiner ersten Einzelausstellung in Berlin zum Gespräch getroffen
 

Bryant Giles, Sie sind Künstler, Designer, Art Director. Wie stellen Sie sich selbst vor? 

Als interdisziplinärer Künstler. Ich male, entwerfe und leite verschiedene Projekte. 

In Berlin stellen sie nun unmissverständlich als Künstler aus. Zu sehen sind Zeichnungen und Malereien auf Grundlage von Mischtechniken. Zu welchem Anlass entstand Ihre erste Einzelausstellung in Berlin?

Die Ausstellung "I'm Alive?" ist eine Art introspektive Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, präsent und lebendig zu sein. Wir leben in einer Zeit des Überkonsums, kurzer Aufmerksamkeitsspannen. Und in dieser Ausstellung hinterfrage ich meine eigene Präsenz und meine Bewusstheit über diesen Zustand.

Wie grenzen Sie die verschiedenen Bereiche Ihrer Arbeit voneinander ab?

Ich trenne meine verschiedenen Tätigkeiten strikt voneinander. Nur so kann ich mich der Projekte auf die dafür nötige Weise annehmen. In jeder meiner kreativen Rollen möchte ich eine eigene Welt erschaffen und aus verschiedenen Perspektiven arbeiten. Diese Vorgehensweise hält mich agil, flexibel und motiviert und hilft mir, meine künstlerische Vision zu erweitern und zu vertiefen.

Und wie trennen Sie? Auch wenn Sie in verschiedene Rollen springen, bleibt es derselbe physische Körper …

Verschiedene Timelines. Und das meine ich weder abstrakt noch konzeptuell, sondern ganz pragmatisch: Jedes Projekt hat einen eigenen Zeitrahmen und entsprechende Zeitfenster. Zeichnungen und Malereien entstehen ausnahmsweise auch mal zwischendurch, sozusagen zur Zerstreuung. 

Vor der Ausstellungseröffnung waren Sie in Tokio, die japanische Hauptstadt geben Sie sogar als zweiten Wohnort an. Woher stammt Ihre Beziehung zur japanischen Kultur und speziell zu Anime? 

Schon als Kind war ich von Büchern und Fernsehsendungen umgeben, und Animes wie "Dragon Ball Z" hatten einen enormen Einfluss auf mich. Die ersten Animes, die aus Japan kommend auch in den Staaten bekannt wurden. Diese frühen, vor allem visuellen Erfahrungen haben mich inspiriert, meine eigene künstlerische Sprache zu entwickeln. 

Ihre aktuelle Ausstellung in Berlin trägt den Titel "I'm Alive?". Können Sie uns mehr darüber erzählen? Woher kommt der Titel und warum das Fragezeichen?

Momentan lebe ich ein sehr nomadisches Leben. Viel unterwegs, viel im Gespräch, aber oft nicht wirklich da. Die Ausstellung ist eine Reflexion über die Momente in meinem Leben, in denen ich mich physisch anwesend, aber mental abwesend fühle. Sie postuliert die Frage, ob wir in einer von Medien dominierten Gesellschaft wirklich im Moment leben können, oder ob wir uns ständig mit anderen vergleichen und dadurch nie wirklich zufrieden sind. Als Frage ist der Ausstellungstitel formuliert, weil ich sowohl selbst den Satz als Frage deute als auch beim Lesen eine syntaktische Irritation ausgelöst wird. Das hat mir gefallen…

Auf Grundlage vergangener Ausstellungen sind Ihnen Themen wie Rassismus, strukturelle Ungerechtigkeit und Benachteiligung sowie Polizeibrutalität zugeordnet worden. Ist "I’m Alive" ein Nachhall der Polizeigewalt an George Floyd? 

Das ist die Gefahr der politischen Vereinnahmung von Kunst. 2020 habe ich mich im Zusammenhang mit einer damaligen Ausstellung zu den Themen geäußert. Wie wäre es auch anders möglich gewesen? Zu der Zeit nahmen rassistische Übergriffe ein besonders krasses Ausmaß an, die Debatte explodierte. Spreche ich in der aktuellen Ausstellung darüber? Nein. Als Künstler wird man schnell zum Argument für eine Debatte pauschalisiert…

Insbesondere als interdisziplinärer Künstler zwischen kommerziellem Anspruch und Freiheit. Bei so vielen gleichzeitigen Projekten und parallelen Existenzen: Gibt es die Möglichkeit einer Hybris? Dass Sie sich eines Projektes annehmen, dem Sie nicht gewachsen sind? 

Ich mache keine Projekte, auf die ich keinen Bock habe. Wenn ich mich auf etwas einlasse, wird es durchgezogen. 

Kunstformen, Genres und Gattungen erfahren ohnehin eine zunehmende Hybridisierung und nähern sich einander an. Wie nehmen Sie die Verschmelzung verschiedener kreativer Disziplinen in Ihrer Arbeit wahr?

Wir leben in einer Zeit, in der alle Menschen auf verschiedene Weise hybrid sind, und das finde ich gut. Niemand ist je nur eine Rolle. Oder sind Sie gerade nur Journalist? Sie sind auch Kunstkenner, Mann, Sohn - das kann ich zumindest oberflächlich annehmen. So wie wir - als menschliche Wesen - Hybride sind, so verschwinden auch die Grenzen zwischen den Kunstformen. 

Was folgt daraus?

Ich habe großen Respekt, vor Menschen die ihre gesamte Energie auf eine einzelne Tätigkeit, auf ein einzelnes Projekt richten können. In meiner Praxis schätze ich die Freiheit, Grenzen zu verwischen, Rollen zu wechseln und verschiedene Formate und Medien auszutesten. Zum Beispiel hege ich den Wunsch, eine orchestrierte Performance zu veranstalten. Das wird die Welt nicht in ihren Grundwerten erschüttern, aber ich habe Lust darauf. Ich wähle bewusst, mich nicht auf eine Disziplin zu beschränken, sondern lege Wert darauf, meine Kreativität in verschiedenen Bereichen auszudrücken und zu entwickeln. Und darum: Wenn du Ballett tanzt und gleichzeitig in einer Metal Band singst - warum nicht? Who cares?