In einer zunehmend von gläsernen Oberflächen und digitalen Bildern geprägten Welt setzen Anna Bochkovas verspielt-nachdenkliche "Conceptual Creatures" sinnlich-haptische Akzente. Inspiriert von osteuropäischen Science-Fiction-Narrativen, vom Kosmismus, utopischen Theorien und eigenen Migrationserfahrungen entspinnt die Künstlerin um ihre figurativen Installationen geradezu symbolistische Erzählungen von Möglichkeitsräumen eines zukunftsträchtigen Miteinanders.
Anna Bochkova, zum einen arbeiten Sie figurativ, zum anderen im Medium Keramik. Beide Aspekte reichen in der Geschichte der Kunst wie auch der Menschheit weit zurück. In der Mythologie sind die ersten Menschen vielfach aus Ton, also dem Urzustand der Keramik vor dem Brennen, entstanden. Gerade in der heutigen Zeit, in der wir uns weit von der Sinnlichkeit haptischer Materialien wie auch der Mythologie entfernt haben, ist diese Kombination äußerst interessant.
Ich bin in einer Plattenbausiedlung in Russland groß geworden, das war über Jahre hinweg alles, was ich gesehen habe. Durch meine eigene Migrationserfahrung und das Leben in einer Platte waren für mich die Architektur und der Mensch in ihr zentrale Fragen. Was macht Raum mit uns? Die minimalistische Kunst konnte das für mich ab einem bestimmten Punkt nicht mehr ausdrücken, sie baut keinen Dialog auf.
Aber Figuration kann das?
Figuration dagegen ist zugänglich. Wenn man etwas sieht, das man schon kennt, zum Beispiel eine menschliche Figur, Blumen oder Häuser, dann hat man sofort eine Assoziation und kann direkt in ein Gespräch einsteigen. Ich schätze solche Gespräche sehr, weil die vor allem dazu führen, dass Kunst ein Raum für Kommunikation wird. Als ich nach meinem Studium in Wien bei Heimo Zobernig an der HfBK in Hamburg angefangen habe figurativ zu arbeiten, hatte ich das Gefühl, das füllt etwas in mir.
Zunächst haben Sie Architekturen und Landschaften gebaut, dann Ihre erste Serie der "Conceptual Creatures" erschaffen, die diese Landschaften bevölkern.
Ja, in meinen keramischen Arbeiten geht es vor allem um die "Conceptual Creatures". In ihnen spiegeln sich meine persönlichen Erfahrungen, insbesondere Migrationserfahrungen. Gleichzeitig sehen viele der Wesen ein bisschen wie Außerirdische aus. Ich arbeite gern mit dem Begriff "Alien". Und damit, dass man sich häufig als ein Alien sieht.
Ist das Alien nicht stetig in akuter Gefahr, vernichtet zu werden, während Ihre Figuren von der Vision eines friedlichen und liebevollen Miteinanders erzählen?
Ich schaue vor allem osteuropäische Science-Fiction, darin ist das Narrativ ein anderes. Die Aliens werden nicht zerstört, sondern man versucht, sich mit ihnen anzufreunden, etwas Schönes zusammen zu schaffen. Und dann lässt man sie zurück zu ihrem Planeten, beziehungsweise verlässt diesen wieder. Obwohl natürlich die Sowjetunion eine koloniale Geschichte hat, die schön im Kommunismus verpackt war. Aber immerhin das Narrativ, das verkauft wurde, war dieses: Man soll sich nicht von Fremden erschrecken lassen, sondern man kann versuchen, ein Gespräch aufzubauen.
Das Miteinander und der respektvoll-liebevolle Umgang scheint das zentrale Thema Ihrer Szenarien und der in ihnen agierenden Figuren zu sein. Wobei die Figuren allein durch ihre im Verhältnis überdimensionale Größe zu Metaphern oder Symbolen werden.
Ja, seit ungefähr einem Jahr arbeite ich sehr viel mit dem Thema Zärtlichkeit und Fürsorge in meine Keramiken. Es kommt zum Ausdruck durch die Kombination von Menschen und Blumen, die in die Schluchten kühler Plattenbauten gestellt sind. Ich habe mich gefragt: Was wäre, wenn in meiner Kindheit diese Zwischenräume, also der Raum zwischen den Platten, mit Zärtlichkeit und Fürsorge gefüllt gewesen wären? Wenn ich nicht Angst vor Garageneinfahrten und der Gewalt hätte haben müssen, die sich zwischen den Blocks abgespielt hat? Und im Großen kann man sich fragen: Was würden diese Räume der Zärtlichkeit mit der Gesellschaft machen?
Ihre Figuren verkörpern diese Fragen, bleiben jedoch hinsichtlich ihrer Körperlichkeit auf eine Art auch sehr vage …
Ja, sie haben keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale. Es lässt sich nicht direkt sagen, ob es sich bei einem Wesen um eine Frau oder ein Mann handelt. Sie sind sehr ambivalent, und darum geht es mir auch.
Vielfach werden Ihre Wesen von Blumen begleitet. Was hat es damit auf sich?
Das Motiv der Blumen kommt von einem Vortrag einer Therapeutin, die über Traumata gesprochen hat. Das Trauma, sagt sie, ist wie Beton, der über die Wiesen gegossen wird. Aber die Blumen haben die Fähigkeit, diesen Beton zu zerbrechen. Diese Fähigkeit einer an sich zarten Blume, es nach oben zu schaffen, ist auch eine Fähigkeit, die wir in uns haben.
Neben Science Fiction benennen Sie auch den russischen Kosmismus als Einfluss. Was hat es damit auf sich?
Der Kosmismus sah die nächste Entwicklungsstufe der Menschheit nicht durch weitere Technologie gegeben, sondern durch eine drastische mentale Veränderung. Wir müssen verstehen, so die These, dass wir alle ein großer konzeptueller Körper sind. Das beinhaltet, zu akzeptieren, dass wir als Menschen die Fähigkeit haben, zu denken und deswegen Verantwortung tragen - für uns und auch für die anderen Wesen. Und es soll nicht bei der Erkenntnis bleiben, sondern auch unser schöpferisches Handeln bestimmen.
Schöpfen ist das Stichwort – was fasziniert Sie am Medium Keramik, einem sehr ambivalenten Material, das es einer Künstlerin nicht leicht macht?
Keramik fasziniert mich, weil sie ein zutiefst haptisches Material ist. Ich würde sagen, sie ist wie ein anspruchsvolles Musikinstrument, dem man sich wirklich körperlich anpassen muss. Zunächst ist es einfach eine körperlich anstrengende Arbeit. Ich habe schon größere Installationen gemacht, die um die 400 Kilogramm wiegen, und man geht immer davon aus, dass man sie selber schleppt. Gleichzeitig ist man immer angewiesen auf die Größe des Keramikofens. Es existieren vorgegebene Abmessungen für jedes Einzelobjekt, was man brennen kann. Außerdem gibt es eine intensive Verbindung zwischen der Keramik und der menschlichen Seele. Denn es gibt immer Spannung im fertigen Objekt, das gebrannt werden soll, und du weißt nie, ob und wo es platzen wird. Ist das nicht beim Menschen genauso? Hinzu kommt natürlich noch die immense Bedeutung von Keramik für die Kulturgeschichte.
Bedarf es denn, um erfolgreich mit Keramik zu arbeiten, bestimmter Bedingungen auf Seiten der Künstlerin?
Auf jeden Fall! Man muss ruhig, ausgeglichen und gut drauf sein. Denn wenn man kein Gefühl für sich selbst hat, hat man kein Gefühl für das Material. Und dann ist man genau an dem Punkt, wo es platzen wird.
Ihre Keramiken sind in unterschiedlichen Farben glasiert und erhalten durch diese Glasur eine schimmernde Oberfläche, die ein wenig auf die "Glossyness" der Instagram-Ästhetik verweist.
Ja, das stimmt. Die Glasur verstärkt jedoch gleichzeitig den Unikat-Charakter. Denn auch Glasuren reagieren immer unterschiedlich. Das kann sogar der Fall sein, wenn zwei Glasuren im Ofen ohne Berührungspunkte nebeneinander stehen. Die Abgase können auf die andere Glasur wirken. Es ist faszinierend, dass man die gleichen Glasuren nicht wieder hinkriegt. Genauso, dass man beim Auftragen mit dem Pinsel nicht das Ergebnis sieht. Das ist wie blinde Malerei. Da musst du Vertrauen haben, Intuition und natürlich Erfahrung. Und dann, am Ende des Tages, ist es immer ein unglaublich berührender Prozess. Es hat etwas wirklich Magisches, wenn man den Ofen nach dem Brand aufklappt. Man wird immer überrascht. Meistens positiv, weil ich keine Erwartungen habe, sondern nur hoffe, dass nichts platzt. Das Material macht etwas mit einem, auch fürs Leben. Man wird auch im Alltagsleben stressresistenter.