Sarah Slappey, Sie leben in New York. Hat sich Ihr Arbeitsalltag durch Corona verändert?
Mein Studio kann ich zu Fuß erreichen, das Gebäude ist nach wie vor geöffnet. Als Künstlerin arbeite ich sowieso alleine in meinem Studio. Die Situation im ersten Lockdown war beängstigend. Menschen, die krank wurden, wurden sehr krank. Damals bin ich nur ein oder zwei Mal die Woche in mein Studio gegangen. Den Rest der Zeit saß ich in meiner Wohnung auf dem Boden, habe gezeichnet und viel Nervennahrung zu mir genommen. Jetzt arbeite ich wieder acht Stunden sechs Tage die Woche in meinem Studio, um elf Uhr vormittags ist Arbeitsbeginn, gegen 20 Uhr gehe ich nach Hause.
Sie brauchen die Routine?
Ja, ich arbeite wie jemand, der jeden Tag ins Büro geht. Das liegt auch daran, dass ich früher in der Unternehmenswelt tätig war. Ich gehe zur Arbeit, zu Hause ist Ruhe. Ich brauche die Trennung von Arbeit und Privatleben. Das erste Mal seit drei Jahren habe ich etwas Luft zwischen den Deadlines. Endlich habe ich Zeit zum Experimentieren, meine Arbeit hat sich dadurch verändert. Irgendwann langweilt es mich natürlich, wenn ich zu lange versuche, ein Thema zu perfektionieren. Ich male und höre mir dann an, wie Leute meine Gemälde interpretieren. Das gleiche ich mit meiner Interpretation ab und nehme mir dann die Zeit, darüber nachzudenken. Ich frage mich immer, wie ich noch besser ausdrücken kann, was ich darstellen möchte. Mich interessieren der weibliche Körper, Berührungen und Sinnlichkeit, das Groteske und Gewalt.
In ihren Gemälden steht der weibliche Körper im Vordergrund, sie dekonstruieren Körper und setzen sie wieder zusammen. Hände und Brüste schmiegen sich aneinander, man weiß nicht, wer wen berührt.
Das stimmt. Wenn ich experimentiere, arbeite ich beispielsweise mit unterschiedlichen Farben und Gegenständen. Der weibliche Körper ist ein komplexes Thema. Ich versuche, meine Sprache zu finden, um über Weiblichkeit und Sexualität auf der Leinwand zu sprechen.
Sie haben das Thema Gewalt angesprochen. Ihre Gemälde wirken auf den ersten Blick lieblich und süßlich.
Ja, es braucht einen genaueren Blick, um die Momente zu sehen, in denen etwas schief geht. Um ein Beispiel zu nennen: Gerade habe ich angefangen, Haarspangen in meine Komposition zu integrieren. Haarspangen erinnern mich an ein Korsett. Es geht darum, sich als Frau präsentierbar zu machen. Im Leben von Frauen gibt es viele kleine Dinge und Momente, die zu einem gewaltsamen Eingriff werden, wenn sie sich summieren. Und es sind genau diese kleinen Dinge, die Gefühle wie Aggression oder Scham auslösen. Ich adressiere diese Problematik so still und leise in meinen Gemälden, weil all das genau so unscheinbar, aber doch gewaltsam präsent im Leben von Frauen ist.
Sie sind Teil einer Bewegung von Künstler:innen, die sich wieder dem Surrealismus zuwendet. Was oder wer inspiriert Sie?
Ich habe gesehen, dass Sie in dieser Reihe vor mir mit der Künstlerin Shannon Cartier Lucy gesprochen haben. Ich fühle eine starke Verbundenheit zu den Emotionen in ihren Werken, obwohl wir uns sehr unterschiedlich ausdrücken. Auch sie thematisiert Gewalt und Unterdrückung, wenn es um den weiblichen Körper und das Gefühlsleben geht. Körper sind mysteriös und lächerlich, das bringt Genesis Belanger in ihren Skulpturen zum Ausdruck. Wenn ich an den männlich dominierten Zombie Formalismus denke, an die großen Egos und den kleinen Aufwand, dann zögere ich etwas zu sagen, dass der Surrealismus viel handwerkliches Können voraussetzt. Der jetzt weiblich dominierte Surrealismus basiert auf Ideenreichtum und harter Arbeit. Die Stimmen von Frauen wurden so lange nicht gehört, dass es eine Wohltat ist, diese Veränderung mitzuerleben und mitgestalten zu können. Louise Bourgeois ist für mich die Großmutter des Surrealismus. Ihr Werk berührt Themen, die mich heute beschäftigen: das Groteske, Weiblichkeit, Sexualität. Die Künstlerinnen vor uns haben das Fundament geschaffen, auf dem wir heute aufbauen zu können.
Die Generationen von Künstlerinnen vor Ihnen hatten kein Instagram. Hilft Ihnen das heute? Viele der Künstlerinnen, die Sie gerade erwähnten haben, sind sehr erfolgreich auf Instagram wie Genesis Belanger und Shannon Cartier Lucy. Bekommen Frauen so eine Stimme und können sich Gehör verschaffen?
Klar, das hilft. Die Galerie Maria Bernheim in Zürich, mit der ich arbeite, hat mich allerdings nicht über Instagram gefunden. Der Kontakt kam über einen Freund zustande. Auch meine New Yorker Galerie hat mich nicht über Instagram entdeckt. Aber die Sichtbarkeit, die ich über Instagram bekomme, hilft mir natürlich. So ergeben sich immer wieder Dinge. Ich muss nicht einmal mehr in New York sein, um hier gesehen zu werden, weil Leute meine Arbeit online sehen.
Sie stehen in engem Kontakt mit ihren männlichen Kollegen, die auch über Instagram viel Aufmerksamkeit bekommen wie Oli Epp und Brandon Lipchik. Machen Ihre männlichen Kollegen andere Erfahrungen als Sie, wenn es um Feedback in den sozialen Medien geht?
Darüber sprechen wir nicht wirklich. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass Sie von Männern über Instagram kontaktiert werden und Kommentare zu hören bekommen wie: "I love your work. It’s so kinky and erotic." Das höre ich ständig. Es nervt. Ich sehe meine Arbeit selbst überhaupt nicht so. Das Thema ist ja, wie Weiblichkeit für den männlichen Blick performt wird. Mir sind diese Nachrichten sehr unangenehm, es beschämt mich. Eine Frau auf Instagram zu sein, bedeutet, dass man sich wie auf der Straße solchen Kommentaren ausgesetzt fühlt. Auf Instagram lösche ich solche Nachrichten einfach, ich versuche gar nicht erst, ein Gespräch zu führen und einen Sinneswandel herbeiführen zu wollen. Man steckt dann ja doch nur in einer Konversation fest, die nirgendwohin führt.
Was raten Sie jungen Künstler:innen für Ihre Präsenz in den sozialen Medien?
Verwenden Sie Instagram als Werkzeug, um Menschen dann im wirklichen Leben zu treffen. Bleiben Sie nicht in der virtuellen Welt stecken, treffen Sie sich mit Menschen, die Sie via Instagram treffen, gehen Sie zu Eröffnungen und laden Sie andere zu Studiobesuchen ein.