Zugegeben, Ästhetik scheint bei der ganzen Impffrage nicht das dringlichste Problem zu sein. Corona ist gefährlich, die Impfung rettet Menschenleben, Ende Gelände. Andererseits scheint die ganze Debatte so ganz rational ja dann doch nicht geführt zu werden – siehe Aluhüte. Vielleicht hat die Frage nach den Bildern, die damit verknüpft sind, deshalb ja doch ihre Berechtigung.
Leider ist bei dem Impfstart, den wir bei einigen Ländern bereits neidisch beobachten konnten, bildmäßig schon mal ein ziemlicher Kollateralschäden zu verzeichnen: Da wurde man mit einer Reihe entblößter Oberarme konfrontiert, die man eigentlich nie hatte sehen wollen. Das weiße, weiche Fleisch von Mike Pence, in das sich eine Spritze versenkt; der nackte Arm des grinsenden Benjamin Netanjahu im Visier der Nadel: Wie soll man diese Bilder jemals wieder loswerden? Abgesehen davon, dass Netanjahu dann noch diesen Spruch brachte: "Ein kleiner Pieks für mich, ein großer Schritt …" Sie wissen schon.
Die Israelis, so hört man, versuchen den Schock mit viral gehenden Memen zu verarbeiten, in denen ihr Premier zu Popeye wird, dem Seemann, dem nach dem Verzehr von Spinat die Armmuskeln schwellen. Wir dagegen hoffen, dass unsere Regierenden uns die visuellen Details ihrer Impfbereitschaft ersparen werden, wenn sie dann mal dran sind.
Bis dahin schauen wir sehnsüchtig nach Italien. Dort nämlich wird die Bevölkerung demnächst nicht in schnöde Turn- oder Messehallen oder in leer stehende Shopping-Center geladen, wenn es an die ersehnte Immunisierung geht, sondern in ein weißes rundes Impfzelt mit einem symmetrischen Blumenmuster auf dem Dach. "Italia rinasce con un fiore", Italien wird mit einer Blume wiedergeboren, so lautet das Motto, das der Mailänder Architekt Stefano Boeri seinen mobilen Impfzentren mitgegeben hat. Boeri, der unter anderem mit den begrünten Hochhäusern "Bosco Verticale" berühmt wurde, beschwört so nichts weniger als eine neue Renaissance herauf.
Klar, wir alle müssen die Ärmel hochkrempeln. Aber bitte mit Stil.