Kunstmuseum Wolfsburg

Im Stoffwechsel der Systeme

Für Künstler ist er eine Herausforderung: der gigantische, ungegliederte Lichtraum des Kunstmuseums Wolfsburg. Wenn man so viel Platz hat, muss man gegenspielen, muss man klotzen: Nach zuletzt James Turell nutzt nun Gerwald Rockenschaub mit seiner Ausstellung "multidial" die weitläufige Halle für ein spektakuläres Großprojekt. Er schuf ein skulpturales, geknicktes Wandelement von 66 Metern Länge und elf Metern Höhe und mit insgesamt 385 Motive aus farbig bunten Klebefolien, alle etwa ein Quadratmeter groß und keines wie das Andere.

Rockenschaub, der seit 1999 in Berlin lebt, gilt mit seinen streng geometrisch komponierten Bildern als Hauptexponent der Neo-Geo-Bewegung. Bereits 1987 hörte er auf zu malen, und neben seiner Karriere im Kunstbetrieb hat sich der Künstler inzwischen auch einen Namen als Techno-DJ gemacht. Er plant und arbeitet an Computern und Musikanlagen und bewegt sich in einem Stoffwechsel der Systeme Design, Architektur und Musik.

Wie viele seiner Arbeiten bedient sich „multidial“ bestimmter Schemata, vergleichbar mit denen elektronischer Tanzmusik: Rhythmus, Leerstellen, Wiederholungen. Doch es ist eine Art organisiertes Durcheinander, denn zufällig ist hier nichts. Durch die durchstrukturierte Komposition und Nachbarschaft der Motive bekommen die Zeichen Erdung und formen ein Spannungsfeld, das sich dem Besucher wie ein grob gewebter Teppich aus piktogrammartigen Signets offenbart, an dem er Halt sucht.

Doch der Blick wird immer wieder abgelenkt. Ständig entdeckt man Neues und ertappt sich schließlich bei dem Versuch, ein Rätsel zu lösen oder zumindest Muster zu erkennen und diese zu kategorisieren. Die Motive wirken vertraut: bunte Blumen, Flaschen, Wassermelonen, blaue Sofas und grob-gepixelte Figuren aus Computerspielen der 80er-Jahre. Flach wie Schablonen, zusammengesetzt aus knallbunten Folien mit klaren Konturen verfügen die Signets über eine geläufige Designästhetik, so dass ein Museumsbesuch in Wolfsburg schnell wirken kann wie ein Einkaufsbummel bei Vitra.

Der Wechsel von Fülle und Leere, zwischen Be- und Entschleunigung spielt hier eine große Rolle, geht es ja schließlich um die Zusammenwirkung der Dinge. Rockenschaub greift Werbe- und Kommunikationsstrategien auf und trifft so die Alltagserfahrung westlicher Menschen: die Auswahl ist groß, die Reizüberflutung größer. Schnell wird klar: anything goes, aber nicht alles macht Sinn.

Zum Gallery Weekend hat auch die Berliner Galerie Mehdi Chouakri Rockenschaubs Ausstellung „Lady Linda“ eröffnet. Parallel zum Kunstmuseum Wolfsburg zeigt man in Berlin unter anderem eine weniger überladene Miniaturversion von „multidial“ mit neun ausgewählten Motiven in Form von dreidimensionalen MDF-Platten.

Kunstmuseum Wolfsburg, bis 4. September, Galerie Mehdi Chouakri, bis 11. Juni