Wer sich in einer Ausstellung unbeobachtet fühlen möchte, sollte im Fall von "On Lies, Secrets and Silence" gleich umkehren, denn schon von der überdimensionalen Vorhang-Installation "Her" am Anfang der größten Halle starren unzählige Augen konfrontativ zurück. Vielleicht sollte man aber doch den Blick der jungen Schwarzen Frau aushalten, die sich in den 1920ern in einem Fotostudio porträtieren ließ und deren Gesicht Frida Orupabo kunstvoll zersplittert. Dann entgeht einem auch nicht ihre neuartige Herangehensweise an die lange Tradition der Fotomontage, die aus persönlichen Erlebnissen schöpft, dabei aber auch mit kollektiven Erfahrungen verflochten ist.
Neutral kann man die hybriden Resultate nicht betrachten, stets schwingen Machtkonstellationen mit, die darüber entscheiden, ob man den historisch gewachsenen Hierarchisierungen erliegt, oder sie in Frage stellt und zu einer Begegnung auf Augenhöhe bereit ist. Wegzuschauen hilft auch nicht weiter, denn direkt gegenüber fühlt man sich bei der Liebesszene zwischen zwei sich küssenden Frauen sogleich als Voyeur ertappt. Die alte Bildwelt, die der Foto-Vorhang "Them" anzapft, stammt nicht etwa aus der Traumfabrik Hollywood, sondern entpuppt sich als Sequenz aus einem alten Porno, bei dem man sich nicht sicher ist, ob nicht auch Gewalt eine Rolle spielt.
Diese Unklarheit gilt nicht für "Trauma Catches Up", eine Skulptur in der Form eines auf einem tiefen Sockel liegenden Würfels, der mit Bildern von Körperöffnungen, Wunden und Auszügen aus Marimba Anis Buch "Yuruga: An African-Centered Critique of European Cultural Thought and Behavior" bedruckt ist. Man kann nur darüber mutmaßen, zu welchem Zweck diese Motive entstanden sind. Ihre Ambivalenz ist so überdeutlich, dass sich das Unbehagen auch ohne das Quellenwissen einstellt.
Körper-Collagen: deformiert und zusammengeflickt
Die Soziologin und ehemalige Sozialarbeiterin mit Schwerpunkt Zwangsprostitution von Schwarzen Frauen wurde 1986 geboren. Bevor sie fremdes Bildmaterial aus dem aufkommenden Internet zu sammeln begann, scannte Orupabo alte Familienfotos und ließ die Collagen zu Büchern binden. Inzwischen verwendet sie Bilder aus eBay, Tumblr, Pinterest und Instagram, aber auch aus Kolonial- und Medizinarchiven, Porno-Magazinen, Renaissance-Gemälden oder B-Movies. Auf den Spuren einer Hannah Höch oder eines Hans Bellmer manipuliert sie das Gefundene und kehrt die ursprüngliche Bedeutung um. Am Anfang dominierten auf den Digital-Collagen noch Schwarze, meist weibliche Körper, die wie deformierte Puppen wirkten, zusammengeflickt aus Gliedmaßen, die in der Kolonialzeit vermessen und klassifiziert wurden.
2013 wurde Arthur Jafa auf das schaurige Puppentheater auf Instagram aufmerksam, wo Orupabo unter dem Pseudonym @Nemiepeba bis heute Bilder-, Film- und Audio-Loops kuratiert. Er lud sie 2017 ein, an seiner Ausstellung "A Series of Utterly Improbable, Yet Extraordinary Renditions" in den Serpentine Galleries in London teilzunehmen – ein Grund mehr für sie, ihre so surrealen wie oft auch brutalen Arrangements aus verrenkten Körperteilen, Tierfragmenten, Waffen oder Requisiten aus Horrorfilmen lebensgroß auf Papier zu drucken und mit Stecknadeln in verstörenden Inszenierungen auf Wänden und Sockeln zu befestigen. Es war der Startpunkt für einen kometenhaften Aufstieg im Kunstbetrieb, der 2019 von der Teilnahme an der Biennale von Venedig gekrönt wurde.
In Oslo lässt sich nun die Weiterentwicklung von Orupabo eindrucksvoll studieren. Sie hat Blut geleckt und ihren haptischen Ansatz weit in den Raum ausgebaut, nicht zu vergessen die Werktitel, die sie in einem breit angelegten poetisch-theoretischen Assoziationsraum findet. Der Titel der Ausstellung ist etwa einer Prosasammlung der feministischen Theoretikerin Adrienne Rich entnommen, in der sie sich mit Themen wie Rassismus, Mutterschaft, weiblicher Erotik oder der Politik der Sprache beschäftigt. Ästhetisch streckt Orupabo ihre Fühler selbstbewusst aus, wenn sie manche der neu zusammengesetzten Frankenstein-Wesen auf Aluminiumunterlagen wandern lässt, um als Skulpturen oder als Filmstills auf flackernden Monitoren zum Leben zu erwecken. Orupabo beschreibt sie bei all ihrer Fragilität als widerständige "Subjekte", die sich der jahrhundertelang den Schwarzen aufgezwungenen Rassenlogik entledigt haben.
Das spiegelt sich nicht zuletzt in der Qualität ihres Blicks, der stets mehrdeutig bleibt und es schwer macht, über die oft mitschwingende Traurigkeit und Ohnmacht hinwegzusehen. Doch dann öffnet sich dank der gewagten Schnitte und ungewöhnlicher Konstellationen wieder eine neue, trotzige Persönlichkeitsschicht. Mitunter geht es auch makaber zu, wenn Orupabo bei "Unidentified Hangers" auf sieben Kleiderbügel Schwarze Gesichter druckt. Die Stimmungsskala der auf einem Kleiderständer "Gehängten" reicht von verängstigt bis geisterhaft entrückt - eine groteske Zuspitzung der rassistischen Entmenschlichung und Ausgrenzung, die Orupabo als Thema nicht loszulassen scheinen.
Um die Härte ihrer Sujets zu konterkarieren, baut sie immer häufiger schwarzen Humor ein, wenn etwa Kritzeleien ihrer Tochter, die weißen Schönheitsidealen nacheifern, auf einer riesigen Fotoleinwand neben dem gefesselten nackten Körper einer Schwarzen Frau auftauchen, oder am Ende der Ausstellung in einer Art nachgebautem Video-Puppenhaus die "House Party" im Obergeschoss in einen sexuellen Übergriff unter weißen Bewohnern entgleist, während unten Schwarze Gäste ausgelassen tanzen und dem Stereotyp Schwarzer Gewaltbereitschaft partout nicht entsprechen wollen. Ihre Zeit läuft unbekümmert ab. Das Leid über ihren Köpfen nimmt in quälenden Wiederholungen grausamer Details so lange kein Ende, bis man den Blick erschöpft abwendet.