Die Straßen in Neapel sind meistens eng und oft steil. Geht man die Via Luigi Settembrini bergan, kommt man irgendwann zum Palazzo Donnaregina, der auffällt, weil der Tuffstein der Fassade nicht von Abgasen und Meeresluft dunkelgrau gefärbt ist. Durch ein großes Tor sieht man den rot-gelben Eingangsbereich, gestaltet vom portugiesischen Architekten Álvaro Siza, schwarz-weiße Streifen bedecken einen Teil des Bodens, unverkennbar: Daniel Buren. Diese Gegend, ein wenig nördlich vom Hafenbezirk gelegen, war ein Arbeiterviertel. Ist sie immer noch, erklärt der Museumsführer. Wenn man durch die Sammlung geht und ins zweite und dritte Stockwerk steigt, kann man über die schmalen Gassen und an den Wäscheleinen vorbei auf die dunklen Wohnungen gegenüber schauen.
Das Museo d’Arte Contemporanea Donna Regina (MADRE) ist das größte Haus für Gegenwartskunst in Neapel. Die hat in der süditalienischen Stadt eigentlich eine lange Tradition: Hier trafen sich einst Joseph Beuys und Andy Warhol, hier porträtierte dieser jenen. Nur eine Institution, die Kunst aus der Nachkriegszeit sammelt, gab es hier lange nicht, bis 2005 das MADRE eröffnet wurde. Nachdem das Haus 2010 eine finanzielle Krise überstand, geht es nun weiter mit der programmatischen Devise "per_formare una collezione". Nach und nach soll eine Sammlung aufgebaut werden.
Das neueste Werk der Sammlung ist die "Passaggio della Vittoria", ein Mosaik des französisch-italienischen Künstlers Paul Thorel. Monopol traf ihn in seinem Atelier in Neapel, um mit ihm über Neapel, über Nostalgie, Kunsthandwerk und digitale Kunst zu sprechen.
Paul Thorel, Ihr Mosaik im MADRE basiert auf digitalen Bildern. Sie haben schon ziemlich früh angefangen, mit elektronischer Verfremdung zu arbeiten, oder?
1979 fing das an, am Institut nationale de l’audiovisuel, dem Archiv für Rundfunk- und Fernsehaufnahmen in Paris. Dort wurde eine Maschine erfunden, die Videosignale verfremden konnte. Ein Freund rief mich an und sagte, du musst dieses Gerät sehen. Er experimentierte mit Videosequenzen und mit Musik. Ich hätte nicht gedacht, dass man in einem Sekundenbruchteil ein Bild herstellen konnte. Nur mit ein paar Knöpfen.
Wie ein Synthesizer?
Ja, das hat mich erst verwirrt: Plötzlich sind da Bilder erschienen. Ich habe realisiert, dass dabei nicht das Machen von Bildern entscheidend ist, sondern die Auswahl. Das war zunächst nur ein verzerrtes Videosignal, noch gar nicht richtig digital. Als Kind war ich fasziniert davon, an der Fernsehantenne herumzudrehen und das Bild zum Rauschen zu bringen. Das fand ich viel besser als das Fernsehprogramm. Und als Künstler machte ich damit weiter.
Aber Sie waren ja nicht immer Medienkünstler.
Bis dahin war ich Maler. Ich habe 1973, 74 mit dem Malen angefangen, aber als ich diese Technologie entdeckt habe, hörte ich sofort damit auf.
Das war damals technisch sehr aufwändig, oder?
Ich lebte in den 70ern in Rom. Dort gab es diese Maschinen gar nicht. 1981 kaufte ich einen Apple II, aber damit konnte man nur Diagramme machen. Die Beta-Version von Photoshop kam erst ein paar Jahre später. Irgendwann rief mich ein Typ vom italienischen Fernsehen an, weil er wusste, dass ich mich für elektronische Bilder interessierte. Ich sollte Hintergründe für eine Fernsehserie herstellen.
Aber irgendwie sind Sie doch Maler geblieben. Wenn ich das Mosaik sehe, das Sie für das MADRE gestaltet haben, sehe ich da eine malerische Qualität.
Das ist aber eine neue Entwicklung. Ursprünglich sind das Fotos vom Meer, die ich durch ein paar von mir selbst programmierte Filter laufen lasse. Das Mosaik, was jetzt im MADRE zu sehen ist, ist durch unablässige Manipulation entstanden.
Das Meer als Motiv bietet sich in einer Stadt wie Neapel ja an. Was aber fasziniert Sie eigentlich am Meer?
Die ganze Verwirrung. Das Meer ist nicht ruhig und eintönig, sondern eine unendliche Kombination von Formen und Kontrasten.
Sieht man sich in der Stadt um, sind überall Mosaike, besonders natürlich im archäologischen Museum, wo die Artefakte aus Pompeji zu sehen sind. Warum haben Sie dieses Medium gewählt?
Als mich Andrea Viliani, Direktor des MADRE, bat, eine Installation für das Haus zu gestalten, habe ich den Durchgang gesehen und wusste gleich: Hier muss etwas hin. Ich hatte keine Ahnung, was ich mit dem Raum machen sollte. Wenig später bin ich mit dem Auto durch einen Tunnel gefahren, der den Westen von Neapel mit dem Osten verbindet. Er wurde um 1930 erbaut, zur Zeit des Faschismus, und er ist ganz mit einem Mosaik ausgekleidet. Winzige Steine, zwei mal zwei Zentimeter. Alles natürlich in einem schlimmen Zustand, aber immer noch sehr schön.
Haben Sie schon vorher ein Mosaik gemacht?
Ja, einmal. Aber in einem viel kleineren Maßstab, damals hat das ein Kunsthandwerker hergestellt. Sarah Cosulich, die frühere Direktorin der Artissima in Turin, hat die Firma Mutina empfohlen. Die sind sehr an Kunst interessiert und haben selbst auch eine umfangreiche Sammlung.
Das berühmte Mosaik von Alexander dem Großen aus Pompeji, hier im archäologischen Museum zu sehen, hat vier Millionen Steine. Eine Referenz?
Die hatten damals aber auch vier Millionen Sklaven! Bei mir hat das ganze von der ersten Idee an zwei Jahre gedauert. Die eigentliche Produktion dann nur fünf Monate.
Ich stelle mir ein Mosaik immer so vor: ein Stein, eine Farbe. Wie Pixel.
Bei meinem ist es anders: Es gibt Farbverläufe. Die Firma kann das so bedrucken, und ich dachte mir: Warum sollte ich zeitgenössische Technologie benutzen, um etwas zu produzieren, was es schon seit Jahrhunderten gibt? Das wäre sonst ein Fake. Ich will, dass es zeitgenössisch ist.